Politik

Hollands Bauern im Aufstand: Großdemo gegen Enteignungen

Die Niederlande erwarten brennende Strohballen und Trecker-Blockaden auf den Autobahnen. Den Bauern geht es längst nicht mehr nur um die geplanten Enteignungen.
11.03.2023 10:38
Aktualisiert: 11.03.2023 10:38
Lesezeit: 2 min

Die Niederlande wappnen sich an diesem Samstag für einen großen Protest von Bauern und Bürgern. Zehntausende Menschen wollen in Den Haag unter anderem gegen geplante Umweltauflagen für die Landwirtschaft protestieren. Die Bauernorganisation «Farmers Defence Force» rief zur «größten Demo aller Zeiten» auf.

Diesmal soll es nicht nur um Proteste gegen Umweltauflagen gehen. Regierungskritische Parteien, allen voran Rechtsaußen Geert Wilders, wollen das Podium nutzen, um zum Widerstand gegen die Regierung aufzurufen. Außerdem mobilisierte die Bewegung der früheren Corona-Gegner «Samen voor Nederland» (Gemeinsam für die Niederlande) ihre Anhänger.

Im Gegenzug kündigten auch die radikalen Klimaschützer von Extinction Rebellion eine Protestaktion in Den Haag an. Sie wollen einen Autobahnzubringer blockieren. Ihnen gehen die Maßnahmen zum Klimaschutz nicht weit genug.

Bei den Behörden ist die Sorge vor Gewalt groß. Im vergangenen Jahr protestierten Bauern wochenlang im ganzen Land. Sie blockierten mit Treckern Autobahnen, legten Brände oder schütteten Müll, Mist und Asbest auf Straßen. Sie bedrohten außerdem Politiker vor ihren Privatwohnungen.

Anlass für die Bauern-Proteste sind die angekündigten Auflagen zum Schutz der Naturgebiete. Die Mitte-Rechts-Koalition von Premier Mark Rutte will den Stickstoff-Eintrag bis 2030 drastisch reduzieren. Auslöser für diese Entscheidung war ein Urteil des höchsten Gerichts im Jahr 2019. Die Maßnahmen könnten das Ende für etwa 30 Prozent der Höfe bedeuten, schätzt die Regierung.

Die Eigentümer von rund 3000 Höfen, die in der Nähe von bedrohten Naturgebieten die Böden am meisten belasten, sollen zum Verkauf bewegt werden oder zumindest zur drastischen Reduzierung des Viehbestandes. Aber auch Enteignungen werden nicht ausgeschlossen. «Wir haben keine Wahl», sagte die für Stickstoff-Politik zuständige Ministerin Christianne van der Wal. «Die Natur kann nicht warten.»

Wie auch in Deutschland sind in den Niederlanden Grundwasser und Böden stark belastet. Überschüssiger Stickstoff aus landwirtschaftlichen Quellen gelangt laut deutschem Umweltbundesamt als Nitrat in Grund- und Oberflächengewässer und als Ammoniak und Lachgas in die Luft. Lachgas trägt als hochwirksames ⁠Treibhausgas⁠ zur Klimaerwärmung bei. Wird überschüssiger Stickstoff durch Regen aus dem Boden gewaschen, gelangt er als Nitrat ins Grundwasser. Die Folge: Um daraus Trinkwasser zu gewinnen, muss das Wasser teuer aufbereitet werden. Zudem gelangt der Stickstoff auch in Seen, Flüsse und Meere.

Hauptverursacher sind in den Niederlanden Viehbetriebe. Und der Agrar-Sektor ist riesig, einer der größten Exporteure der Welt. Im vergangenen Jahr exportierten niederländische Bauern für 122 Milliarden Euro Waren ins Ausland.

Jahrelang wurden die Umweltbelastungen geduldet oder mit Ausnahmeregeln legalisiert, obwohl Grenzwerte überschritten wurden. Immer wieder wurden Schlupflöcher gefunden, um nur nicht die landwirtschaftliche Produktion einzuschränken. Dass dies ein Fehler war, räumt inzwischen auch die Regierung ein.

Das Urteil des höchsten Gerichts von 2019 hatte große Folgen: Alle Projekte, bei denen Stickstoff freikommt, dürfen nicht genehmigt werden. Das heißt, der Bau von Wohnungen und Straßen stockt, die Industrie kann nicht expandieren, und sogar die Energiewende kommt in Gefahr. «Der große Umbau der Landwirtschaft ist unvermeidlich», sagte Ministerin van der Wal. Grund dafür sei nicht nur der Naturschutz, sondern auch der Klimawandel.

Die Bauern aber fordern eine Zukunftsperspektive, und sie fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Außerdem zweifeln sie die Notwendigkeit der Maßnahmen an.

Am Stickstoff-Thema zeigt sich auch, wie sehr das Land polarisiert wird. Es beherrscht auch den jetzigen Wahlkampf. Am 15. März wählen die Niederländer ihre Provinzparlamente, und sie bestimmen dann auch die Zusammensetzung der Ersten Kammer des Parlaments (vergleichbar dem Bundesrat). Nach Umfragen steht ein deutlicher Rechtsruck bevor, mit der Protestpartei Bauer-Bürger-Bewegung als großem Sieger. Der Koalition aber droht eine riesige Schlappe, und sie kann dann womöglich ihre Pläne nicht länger durchsetzen. (dpa)

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik „Trump ist nur eine Episode“: Boltons Abrechnung mit dem Mann im Weißen Haus
18.05.2025

Während Europa nervös auf jeden Tweet aus Washington reagiert, warnt Ex-Sicherheitsberater John Bolton: Nicht Trump sprengt die NATO –...

DWN
Technologie
Technologie Cyberkriminalität: Nur ein Klick von der Katastrophe entfernt
18.05.2025

Cyberkriminalität ist zur globalen Supermacht aufgestiegen – mit höherem Schaden als die Volkswirtschaften Deutschlands und Japans...

DWN
Panorama
Panorama Whisky – die stets liquide Luxus-Geldanlage
18.05.2025

Wein, Uhren, Schmuck, Handtaschen, Kunst, Oldtimer – es gibt viele Möglichkeiten, in alternative Geldanlagen zu investieren. Die meisten...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Marokko als chinesisches Tor zur EU – doch Handelskrieg könnte Riegel vorschieben
18.05.2025

Peking investiert Milliarden in Marokkos Industrie – doch geopolitische Spannungen und der drohende Protektionismus eines möglichen...

DWN
Politik
Politik Gefängnis, Gericht, Geschichte – Stammheim 50 Jahre nach dem RAF-Prozess
18.05.2025

Vor 50 Jahren begann in Stammheim der RAF-Prozess – ein juristisches Mammutverfahren gegen den Terror. Wie viel Rechtsstaat blieb im...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Analyse: „Die alte Weltordnung ist am Ende – und sie wird nicht zurückkehren“
18.05.2025

Das Zeitalter des freien Welthandels ist vorbei – die Welt wird neu vermessen. China produziert, die USA rüsten sich, und Europa...

DWN
Politik
Politik Handelskriege auf Risiko – Trumps russisches Roulette mit der US-Wirtschaft
18.05.2025

Mit Zöllen, Drohungen und Handelskriegen will Washington die Industrie heimholen. Doch was, wenn der Revolver in der Hand des Präsidenten...

DWN
Finanzen
Finanzen Greg Abel übernimmt: Der stille Stratege hinter Warren Buffetts Milliarden-Imperium
17.05.2025

Mit dem Rückzug von Warren Buffett endet eine Ära. Doch an die Stelle des legendären Investors tritt kein charismatischer Visionär,...