Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB) in den USA sorgt weltweit für Unruhe. Es handelt sich um den größten Bankenkollaps seit der Finanzkrise von 2008.
Die US-Regulierer schlossen am Sonntag zusätzlich die in New York ansässige Signature Bank, die Aktiva in Höhe von rund 120 Milliarden Dollar auf ihrer Bilanz hält. Der US-Einlagensicherungsfonds (FDIC) wird ab sofort als Verwalter des Geldhauses fungieren. Darüber hinaus vergab das System der Federal Home Loan Banks am Montag kurzfristige Schuldverschreibungen im Wert von 89 Milliarden Dollar, berichtet die Financial Times. Die FHLB gilt als Kreditgeber der zweitletzten Instanz, bevor eine Bank eine Notfinanzierung durch die Fed in Anspruch nehmen kann und hatte bereits der Silicon Valley Bank 15 Milliarden zur Verfügung gestellt.
FDIC, das Finanzministerium und die Zentralbank Federal Reserve (Fed) haben eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in der es heißt, dass man mit den jüngsten Maßnahmen das „öffentliche Vertrauen in unser Bankensystem“ stärken würde. Man werde sicherstellen, dass die Banken sämtlichen Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden nachkommen könnten.
Der neue Bailout-Mechanismus „erfolgt über ein neues Bank Term Funding Program (BTFP), das Banken, Sparkassenverbänden, Kreditgenossenschaften und anderen zugelassenen Einlageninstituten Darlehen mit einer Laufzeit von bis zu einem Jahr anbietet, die mit US-Staatsanleihen, Schuldtiteln und hypothekarisch gesicherten Wertpapieren sowie anderen qualifizierten Vermögenswerten besichert sind.“ Das BTFP stelle eine zusätzliche Liquiditätsquelle für hochwertige Wertpapiere dar, so dass ein Institut diese Wertpapiere in Stresssituationen nicht mehr schnell verkaufen müsse.
Der Finanzblog Zerohedge beschwert sich über die Tatsache, dass die Banken damit de facto Kredite für nicht realisierte Verluste bekommen. „Noch bemerkenswerter ist, dass die BTFP-Fazilität Sicherheiten zum Nennwert und nicht zum Marktwert verpfändet, wodurch den Banken all die Hunderte von Milliarden an nicht realisierten Nettoverlusten gutgeschrieben werden und sie auf der Grundlage von Verlusten, die nun von der Fed und dem Finanzministerium abgesichert werden, "Liquidität freisetzen" können!“
Vertrauensverlust
Das Vertrauen der Öffentlichkeit ist aber weiterhin angeknackst und nun drohen weitere Bankruns. Vor Filialen der First Republic Bank bilden sich lange Schlangen und hierbei handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Aktuell kursieren sogar Berichte über eingefrorene Konten bei der Großbank Wells Fargo. Geld abzuheben oder zu überweisen sei teilweise unmöglich. Ähnliche Gerüchte gibt es bei der Bank of Amerika. Wells Fargo verweist auf potentielle technische Probleme, die dazu führen können, dass Kunden falsche Kontostände sehen oder Transaktionen nicht angezeigt werden, aber die Gelder seien weiterhin sicher. Andere Banken haben sich noch nicht zu den Berichten geäußert.
Auf Twitter und anderen sozialen Netzwerken macht sich Panik breit. Nutzern wird dazu geraten, so schnell wie möglich ihr Geld von den Banken abzuziehen. Wer nicht den Großteil seines Vermögens in Sachwerte investiert habe, der sei eigentlich schon zu spät dran. Entscheidend zur Panik beigetragen hat Hedgefonds-Legende Bill Ackman, der in einem Tweet vor Bankruns bei nicht systemrelevanten Banken warnte.
Neubewertung von Assets bringt Banken ins Wanken
Wird der Kollaps der Silicon Valley Bank das System zu Fall bringen? Das bleibt abzuwarten. Viele Banken sind solider aufgestellt. Fakt ist hingeben: Das Portfolio von SVB und manch anderen schlecht gemanagten Finanzhäusern ist nicht gut für die Zinswende gerüstet. Das lässt sich im Wesentlichen durch zwei Faktoren erklären.
1. Bei stark steigenden Zinsen kommt es zu enormen Wertverlusten bei Anleihen und anderen festverzinsliche Wertpapieren - etwa verbriefte Kredite (CDOs) - sofern diese zu Marktpreisen bilanziert werden, was natürlich nicht praktiziert wird. Aber wenn die Zinspapiere verkauft werden müssen, um Liquidität aufzutreiben, dann fallen sofort enorme Verluste an.
2. Die Zinswende drückt erst mal auf die Nettozinsmarge, weil die Banken im Wettbewerb um Kunden untereinander und in Konkurrenz mit nunmehr attraktiv verzinsten kurzfristigen Staatsanleihen direkt mehr Zinsen bezahlen müssen. Währenddessen muss man noch mit relativ niedrigen Zinscoupons des eigenen Kredit- und Wertpapier-Portfolios planen, weil die gestiegenen Zinserträge größtenteils erst in der Zukunft liegen.
Wer in der Vergangenheit das Zinsänderungsrisiko schlecht gemanaged hat, schaut nun in die Röhre. Der Ökonom Folker Hellmayer kommentiert den Sachverhalt in seinem täglichen Report folgendermaßen: „Fakt ist, dass die Neubewertung an den westlichen Rentenmärkten zu massiven unrealisierten Verlusten geführt hat. Ein Großteil fällt bei den Zentralbanken an. Diese können auch mit Negativkapital weiterarbeiten. Damit ist dieses Risiko zunächst nicht systematisch. Für den privatwirtschaftlichen Raum (Banken, Versicherungen) sieht das anders aus.“
Nicht nur SVB sitzt auf massiven Verlusten durch die Neubewertung von Anleihen und sonstigen Assets. Nach Zahlen der Einlagensicherungsbehörde belaufen sich die unrealisierten Verluste aller US-Banken auf 620 Milliarden Dollar – vor der Zinswende waren es gerade mal 8 Milliarden. Die vier größten Banken J.P. Morgan (37 Milliarden), Bank of America (110 Milliarden), Wells Fargo (41 Milliarden) und Citigroup (25 Milliaden) repräsentieren mehr als 200 Milliarden Dollar dieser nicht bilanziell sichtbaren Buchverluste. Die großen Banken sind aber nicht so anfällig wie SVB. Einerseits sind sie nicht so sehr auf Einlagen angewiesen – bei SVB bestanden 89 Prozent der Verbindlichkeiten aus Kundengeldern, bei der Bank of America sind es hingegen nur 69 Prozent. Andererseits haben die Großbanken mehr Finanzierungsmöglichkeiten über Derivatemärkte und können im schlimmsten Fall immer darauf bauen, gerettet zu werden.
Es wird nun rege diskutiert, welche die nächsten Geldhäuser sein könnten, die auf gewaltigen Buchverlusten sitzen und damit ähnliche Probleme bekommen dürften wie SVB und Signature Bank. Glaubt man dem Urteil des Aktienmarkts, so sind insbesondere kleine regionale Banken gefährdet, was die Befürchtungen von Ackman bestätigt. Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass es im Gegensatz zu großen systemrelevanten Finanzhäusern („too big too fail“) im Zweifelsfall eben keine Garantie auf Rettung gibt. Bei den Aktien von First Republic Bank, Pac West Bancorp und anderen kleinen börsennotierten Banken kam es zu dramatischen Kursverlusten von 20 bis 60 Prozent.
Analysten ziehen Parallelen zur „Savings-and-Loan“-Krise in den späten 1980er-Jahren, als zahlreiche Regionalbanken Konkurs gingen. Seinerzeit waren der Krise auch starke Zinserhöhungen unter dem damaligen Fed-Chef Paul Volcker vorausgegangen. Eine übermäßige Deregulierung des Sektors und – mit Zeitverzug – die Volcker-Zinswende waren dann in Kombination mit anderen Faktoren für die Konkurswelle im Bankensektor verantwortlich. Die kleinen Banken expandierten zu stark im Kreditgeschäft. Außerdem mussten sie zunehmend mit hohen Zinsen um Einlagen werben, die sie irgendwann nicht mehr ausreichend beziehungsweise nur noch mit zu riskanten Krediten und übermäßigen Käufen von hochverzinsten Schrottanleihen gegenfinanzieren konnten.
US-Banken sind zwar im Durchschnitt besser kapitalisiert als die Konkurrenz in Europa, aber trotzdem sind nur circa 10 Prozent der Kundeneinlagen durch Eigenkapital gedeckt. Einen Ansturm auf die Bankguthaben würde keine Bank überleben, ohne Kredite von anderen Banken oder der Zentralbank in Anspruch nehmen zu müssen. Insgesamt geht es um 20 Billionen (Tausend Milliarden) Dollar an Kundengeldern, die US-Banken verwalten, davon 7 Billionen bei kleineren Banken.
Laut Fed wird das Finanzministerium 25 Milliarden Dollar aus dem Börsenstabilisierungsfonds als Absicherung für das BTFP-Programm zur Verfügung stellen wird. Zerohedge hält die Höhe der Notfallgelder in diesem Kontext für nahezu wirkungslos. Die notwendige Liquidität für eine Stabilisierung des gesamten Bankensystems schätzt man stattdessen auf über 2.000 Milliarden.
Die FDIC schützt Einlagen in Höhe von bis zu 250.000 Dollar. Darüber hinausgehende Summen sind nicht staatlich gesichert. Es ist indes fraglich, wie viel das Geld noch wert ist, wenn Federal Reserve und Regierung im großen Stil das gesamte Bankensystem stützen müssen. In der letzten Finanzkrise 2008 wurden tausende Milliarden in den Bankensektor gesteckt. Allerdings kam es damals nicht zu einem Ansturm der Kunden auf ihre Bankguthaben und die Inflation war niedrig. Wenn das Vertrauen in den Dollar erodieren sollte, dann dürfte es diesmal nicht so glimpflich ablaufen.
Erste Anzeichen existieren bereits. Der Volatilitätsindex (VIX) stieg zuletzt von unter 20 Punkte auf über 30. Dass Aktien von US-Banken massiv abverkauft wurden und den Sektor weltweit mit nach unten rissen, ist in diesem Umfeld keine Überraschung. Edelmetalle und Bitcoin reagierten auf die Nachrichten dagegen mit deutlichen Kursgewinnen. Offenbar hat die Masse der Anleger mehr Vertrauen in solche Vermögenswerte als in Papierwährungen, wobei der US-Dollar auch gegenüber dem Euro und anderen Währungen an Boden verlor. Zudem waren vermeintlich sicherere US-Staatsanleihen, die in kurzer Zeit Kursanstiege von vier Prozent verzeichneten, in den letzten Tagen ein beliebter Fluchthafen.
Ein verfrühtes Ende der Zinswende scheint forciert zu sein
Bis vor wenigen Tagen wusste die US-Zentralbank scheinbar noch nichts von einer Bankenkrise. Fed-Chef Jerome Powell hatte erst vor wenigen Tagen eine Zinserhöhung von 0,5 statt 0,25 Prozent in den Raum gestellt. Jetzt braucht es Milliarden an Steuergeldern, um Banken zu retten, die zusammengebrochen sind oder kurz davor stehen, weil sie nicht einmal das aktuelle Niveau von 4,75 Prozent verkraften konnten. Es ist zu erwarten, dass die Fed die Zinsen wieder senken und große Summen bereitstellen muss, um das Finanzsystem zu festigen. Die Finanzierungsbedingungen müssen sich wieder lockern und die Dollarliquidität alten Zeiten annähern. Die Ereignisse der letzten Tage markieren wahrscheinlich genau das verfrühte Ende der Zinswende, über welches wir bei den DWN schon mehrfach spekuliert hatten (siehe zum Beispiel hier und hier).
Die Finanzszene rechnet außerdem schon jetzt mit einer neuen Konsolidierungswelle – also einer Einverleibung zahlreicher kleiner Banken durch große kapitalstarke Institute. Ständig wird dabei der Platzhirsch J.P. Morgan als potentiell größter Profiteur genannt. Dessen CEO Jamie Dimon hatte bereits im Frühsommer 2022 vor einem kommenden „Finanzsturm“ gewarnt.