Finanzen

Der große Schuldenerlass wirft seinen Schatten voraus

Angesichts stark steigender Schulden erwarten einige Analysten einen großen Schuldenerlass. Möglich sei, dass dieser global ausfällt. Erste Vorboten dafür sehen sie in den USA.
05.06.2023 15:02
Aktualisiert: 05.06.2023 15:02
Lesezeit: 4 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..
Der große Schuldenerlass wirft seinen Schatten voraus
Kommt es zu einem chuldenschnitt? (Foto: istockphoto.com/MarianVejcik) Foto: MarianVejcik

Die Schulden von Staaten, Haushalten und Unternehmen steigen weltweit seit Jahrzehnten stark an. Inzwischen sollen sich die gesamten Verbindlichkeiten global auf rund 300 Billionen US-Dollar beziehungsweise ein Vierfaches der jährlichen Wirtschaftsleistung des Planeten belaufen.

Angesichts der Problematik rechnen einige Beobachter mit Blick auf die nähere Zukunft damit, dass überschuldete Staaten irgendwann dazu übergehen werden, den Schuldendienst einzustellen beziehungsweise ihren Schuldnern in großem Umfang die Verbindlichkeiten zu erlassen, um einen Neustart im Weltfinanzsystem zu ermöglichen.

Biden gewährt Studenten Schuldenerlass

Einer dieser Beobachter ist der Investor und Analyst Nick Giambruno. Auf dem Blog Souvereign Man beschreibt Giambruno, dass es aus seiner Sicht bereits erste Vorboten eines größeren Schuldenerlasses in den Vereinigten Staaten gebe – nämlich den Erlass der Regierung, hochverschuldeten amerikanischen Studenten, die im Jahr weniger als 125.000 US-Dollar verdienen, 10.000 Dollar an Bildungskrediten zu erlassen. Studenten aus besonders prekären Verhältnissen sollen bis zu 20.000 Dollar erlassen werden, wie aus einer Bekanntmachung des Weißen Hauses vom August 2022 hervorgeht.

Zudem sieht der Schuldenerlass der Biden-Administration vor, dass Studenten oder ehemalige Studenten nicht mehr als 5 Prozent ihres monatlichen Netto-Einkommens für Zinszahlungen ausgeben dürfen (bislang waren es bis zu 10 Prozent) und dass Angestellte bestimmter staatlicher Behörden in den Genuss eines Schuldenerlasses kommen können.

Giambruno schätzt, dass im Rahmen des Schuldenerlasses bei Studentenkrediten Verbindlichkeiten in der Größenordnung von 590 Milliarden Dollar gestrichen werden könnten. Andere Quellen, welche die BBC zitiert, erwarten eine Streichung von rund 300 Milliarden Dollar über zehn Jahre hinweg.

Die US-Zentralbank Federal Reserve System schätzt, dass etwa 43 Millionen Amerikaner nach Abschluss ihres Studiums mit durchschnittlich 17.000 Dollar verschuldet sind, weil sie Kredite aufnehmen mussten, um die extrem hohen Kosten für hochklassige Bildung und die dazugehörige Unterkunft auf dem Universitätscampus bezahlen zu können. Schätzungen des Bildungsministeriums belaufen sich sogar auf durchschnittlich 25.000 Dollar.

Das Volumen der Studenten-Schulden hat sich seit dem Jahr 2007 mehr als verdreifacht – von rund 500 Milliarden Dollar auf derzeit etwa 1,6 Billionen Dollar. Im Frühjahr 2020 verfügte die Regierung angesichts der Corona-Krise ein Rückzahlungsmoratorium, das Biden bis Ende des vergangenen Jahres verlängert hatte und das nun durch den Schuldenerlass fortgesetzt wird.

„Ein Präzedenzfall“

„Der Schuldenerlass bei Studentendarlehen setzt einen Präzedenzfall. Ich denke nicht, dass es lange geht, bis es dann auch Schuldenerlasse bei Kreditkarten-Schulden, Autokredit-Schulden und Hypotheken geben wird. Wie wird die Regierung all diese Schuldenerlasse finanzieren? Es ist unwahrscheinlich, dass sie die Steuern derart anheben kann, um diese Ausgaben zu bezahlen. Es würde auch keinen Sinn machen, neue Staatsschulden aufzunehmen, um Schulden anderswo zu begleichen. Das bedeutet, die Gelddruckerei bleibt als einziges Mittel übrig, um diese Schuldenerlasse zu finanzieren. Ich schätze also, dass sie genau das tun werden“, schreibt Giambruno.

Giambruno weist darauf hin, dass ein mithilfe Liquiditätsausweitung von der Zentralbank finanzierter Schuldenerlass für in Bedrängnis geratene Studenten den inflationären Tendenzen neue Nahrung in Form gestiegener Kaufkraft und einer ausgeweiteten Geldmenge geben würde.

Tatsächlich haben die Amerikaner so viel Schulden wie nie zuvor. Rechnet man Hypotheken, Auto-Kredite, Bildungsdarlehen, Kreditkartenschulden und andere Privatverbindlichkeiten zusammen, belaufen sich die Schulden derzeit auf 16 Billionen Dollar – ein Allzeit-Höchststand.

Zinswende und Schuldenturm

Die Problematik rapide wachsender Schulden betrifft aber nicht nur die Bürger, sondern auch den Staat – und verlangt nach Einschätzung von Giambruno ähnliche Lösungsansätze wie die ausufernden Bildungskredite.

Die Staatsschulden der amerikanischen Bundesregierung hatten vor einigen Monaten die Marke von 30 Billionen Dollar hinter sich gelassen und steigen weiter rasch an. Die Finanzierung der beträchtlichen Handels- und Haushaltsdefizite mithilfe neuer Schulden war für Washington in den vergangenen Jahren einfach, weil an den Märkten unnatürlich tiefe Zinsen herrschten.

Gleichzeitig pumpte die Federal Reserve im Rahmen mehrere Ankaufprogramme für Wertpapiere Billionen aus dem Nichts geschaffener Dollar ins Finanzsystem.

Seitdem die Notenbank aber die Leitzinsen anhebt und dadurch das Refinanzierungsniveau für Banken, Haushalte, Firmen und den Staat verschärft, ist eine neue Dringlichkeit entstanden. Giambruno glaubt, dass die steigenden Zinsen den Schuldendienst zunehmend unmöglich machen werden.

„Der Umfang der Schulden ist so extrem, dass selbst eine Rückkehr der Zinsen zu ihrem historischen Durchschnittswert bedeuten würde, dass mehr als die Hälfte der gesamten Steuereinnahmen des Staates für den Zinsdienst verwendet werden müssten. Die Zinszahlungen würden sowohl die Sozialausgaben als auch die Rüstungsausgaben übertreffen und zum größten Posten im Bundeshaushalt aufsteigen. Zum Zweiten würde eine Rückkehr der Zinsen zu ihrem historischen Durchschnittswert nicht einmal ansatzweise ausreichen, um die Inflation zu bekämpfen. Es bedarf eines drastischen Anstiegs der Zinsen. In diesem Fall könnte das Ergebnis sein, dass die US-Regierung mehr für Zinskosten ausgeben muss, als sie über Steuern und Abgaben einnimmt. Kurzum, die Federal Reserve sitzt in der Falle. Die Zinsen auf ein inflationshemmendes Niveau anzuheben, bedeutete den Bankrott der US-Regierung. In anderen Worten: das Spiel ist aus. Sie haben keine andere Wahl, als das System herunter- und neu hochzufahren – das machen Regierungen, wenn sie in der Falle sitzen.“

Schuldenabbau über Inflation

Bemerkenswert ist Giambrunos Prognose, wie die US-Regierung das Schuldenproblem aus seiner Sicht höchstwahrscheinlich zu lösen versuchen wird – nämlich über die Inflation:

„Ich schätze, dass sie das nicht offensichtlich machen werden. Das würde zu sehr nach einem Bankrott aussehen. Es würde die Stellung der USA als Zentrum des Weltfinanzsystems zerstören. (…) Wir sollten deshalb annehmen, dass sie ihren Schuldenschnitt heimlich mithilfe der Inflation implementieren werden. Inflation stellt einen großen Bonus für Schuldner dar. Sie ermöglicht es, in Dollar Geld auszuleihen und dieses in Pfennigen zurückzuzahlen. Und weil die US-Regierung der größte Schuldner in der Weltgeschichte ist, ist sie auch der größte Profiteur der Inflation. Aus diesem Grund denke ich, dass der große Schuldenerlass für die Bundesregierung in Form einer großen inflationären Welle kommen wird.“

Vor diesem Hintergrund sei es ratsam, so Giambruno, seine Bankeinlagen mittelfristig zu reduzieren und in Werte zu investieren, die unter dem direkten eigenen Zugriff stehen und selten beziehungsweise in ihrer Zahl begrenzt sind. Die größten Verlierer eines Schuldenschnitts – sollte er über die Inflation bewerkstelligt werden – seien hingegen „Gläubiger im Allgemeinen, Anleihebesitzer und jene, die ihr Vermögen in staatlichen Währungen halten.“

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Lohnt es sich, Kryptowährungen zu besitzen?

Jeder deutsche Finanzvorstand scheint sich insgeheim diese Frage zu stellen: Kann ich einen Teil meines Kapitals in Kryptowährungen...

DWN
Politik
Politik Nato rüstet auf: Bündnis verstärkt Luftabwehr wegen russischer Drohnen
15.09.2025

Angesichts wiederholter (mutmaßlicher) Verletzungen des Nato-Luftraums durch russische Militärdrohnen intensivieren die Bündnisstaaten...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Asien wird zum globalen Zentrum des Finanzbetrugs
15.09.2025

Asien ist zum globalen Zentrum des Finanzbetrugs geworden – mit Hightech, Zwangsarbeit und Milliardenumsätzen. Warum auch Deutschland...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Femtech: Das neue, unerschlossene Milliardengeschäft
15.09.2025

Von Zyklustrackern bis Hightech-Implantaten: Femtech entwickelt sich vom Nischenmarkt zum Billionen-Sektor. Doch Investoren müssen Tabus...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienpreis-Entwicklung: 2027 sollen laut IfW die Immobilienpreise explodieren
14.09.2025

Nach dem Crash 2023 blicken Immobilienbesitzer und Interessierte nervös auf den Markt. Wann ist der richtige Zeitpunkt gekommen, zu kaufen...

DWN
Technologie
Technologie Finnisches Start-up: „Wir bauen Computer, die es noch nie gegeben hat“
14.09.2025

Ein finnisches Start-up kassiert 275 Millionen Euro und will Computer bauen, „wie es sie noch nie gegeben hat“. Doch steckt dahinter...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Reichtum für alle?
14.09.2025

Da Bundeskanzler Friedrich Merz kürzlich auf dem CDU-Parteitag Niedersachen die Frage aufgeworfen hat, warum Leute, die für 530 Euro...

DWN
Finanzen
Finanzen Gefälschtes Gold: So schützen sich Anleger vor wachsenden Risiken
14.09.2025

Vertrauen allein reicht nicht: Jeder zwanzigste Käufer von Goldbarren wird getäuscht. Wir zeigen, wie Sie gefälschtes Gold erkennen und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Unternehmenskrise: Generationenwechsel gefährdet deutschen Mittelstand
14.09.2025

Noch nie wollten in Deutschland so viele Unternehmensinhaber ihr Unternehmen an eine jüngere Generation abgeben oder ihren Betrieb...