Finanzen

Der nächste Finanzsturm? Teil 2: Die Zombie-Unternehmen kippen

Die Börsen erklimmen neue Allzeithochs, obwohl das wirtschaftliche Umfeld eher negativ ist. Sogar Schrott-Anleihen erfreuen sich wieder einer gewissen Beliebtheit. Das ist gefährlich: Denn zeitgleich fordert die radikale Zinswende ihre ersten Opfer.
10.07.2023 09:54
Aktualisiert: 10.07.2023 09:54
Lesezeit: 5 min
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Der nächste Finanzsturm? Teil 2: Die Zombie-Unternehmen kippen
Die erste Welle an Zombie-Unternehmen geht gerade pleite. (Foto: Pixabay)

In Teil 1 dieser Artikel-Serie haben wir versucht zu erklären, warum Investoren wieder vermehrt auf Schrottanleihen („Junkbonds“) setzen. In einem fragilen makroökonomischen Umfeld mit hoher Inflation, hohen Zinsen und Rezessionsängsten ergibt es eigentlich keinen Sinn, dass sich die Risikoaufschläge („Spreads“) auf Hochzins-Anleihen ungefähr im historischen Durchschnitt bewegen. Nachfolgender Chart zeigt die Risikoaufschläge für Hochzins-Anleihen von Unternehmen aus den USA, Europa und Schwellenländern.

Nach dem Zwischenhoch zum Jahreswechsel sind die Spreads merklich zurückgegangen - Finanzexperten sind ob dieser Entwicklung ratlos. Viele Händler und Analysten erwarten aber, dass der Markt für Hochzinsanleihen letztendlich die makroökonomische Realität widerspiegeln wird.

Ein langsameres Ertragswachstum und steigende Zinsausgaben dürften die Nachfrage dämpfen und die Risikoaufschläge wieder nach oben treiben, analysiert Lotfi Karoui, Chef-Kreditstratege bei Goldman Sachs, gegenüber der Financial Times. Diese Konstellation sei „wirklich problematisch für Unternehmen, die einen großen Teil ihrer Verbindlichkeiten in Form von variablen Zinssätzen haben.“

Hochzins-Papiere werden in aller Regel von finanziell maroden Unternehmen emittiert, die nicht genügend verdienen um ihre Kosten zu decken und deshalb ständig auf Fremdkapital angewiesen sind. In Finanzkreisen spricht man auch von den sogenannten „Zombie-Unternehmen“.

Der Junkbonds-Markt umfasst allein im Dollarraum einen Wert von knapp 1,4 Billionen Dollar (1.400 Milliarden). Grob die Hälfte des Marktes machen variabel verzinste Anleihen aus, deren Kupon von einem Referenzzinssatz abhängt. Das war lange Zeit der „Libor“, neuerdings orientiert man sich am „Sofr“-Zins. Zombies, die überwiegend kurzfristig mit variablen Zinsen verschuldet sind, können in der aktuellen Konstellation kaum überleben.

Die ersten Zombies kippen

Es kommt nun schon zu ersten Verwerfungen in diesem gigantischen Markt. Gerade unter den Emittenten mit variablen Kreditkosten ist es zuletzt vermehrt zu Ausfällen gekommen. Laut einer Analyse von Goldman Sachs, die sich auf Daten der Research-Firma PitchBook bezieht, gab es seit Jahresauftakt 18 Zahlungsausfälle bei Anleihen und Krediten in Höhe von insgesamt 21 Milliarden Dollar. Das ist ein höheres Ausfallvolumen als 2021 und 2022 zusammen.

Manche strauchelnde Firmen wie zum Beispiel Heartland Dental konnten sich vorerst vor einem Ausfall retten, indem der Tilgungsdienst nach vorne geschoben oder die Schulden zu schlechteren Konditionen umstrukturiert wurden.

„Bei den schwächsten Emittenten auf dem Kreditmarkt ist ein Zahlungsschock im Gange“, kommentiert Goldmans Karoui. Mit dieser Einschätzung ist Goldman Sachs nicht alleine. „Wir stehen hier vor einem ziemlich bedeutenden Ausfallzyklus“, sagte Steve Caprio, leitender Kreditstratege bei der Deutschen Bank, gegenüber der Financial Times.

Zwischen 2019 und 2021 wurden variabel verzinste Emissionen im Wert von 615 Milliarden Dollar abgeschlossen. Die radikale Zinswende wird einigen besonders finanzschwachen Schuldnern nun zum Verhängnis. Hinzu kommt, dass die zögerliche Haltung der Banken in der Kreditvergabe die am riskantesten eingestuften Firmen (CCC-Rating) quasi dazu zwingt, den Weg über den Anleihemarkt zu suchen.

Noch sind die jährlichen Ausfallraten auf Schrottanleihen in den USA mit 1,3 Prozent auf einem niedrigen Level, wie Bloomberg berichtet. Die annualisierten Ausfallraten von Schrottkrediten, die in Branchenkreisen als noch riskanter gelten, erhöhten sich im Mai leicht von 3,2 auf 3,4 Prozent. Die Qualität der Schulden ist nicht identisch, aber vergleichbar und somit müssen die Gläubiger von Hochzins-Anleihen im Schnitt mit zunehmenden Zahlungsausfällen rechnen. Von Februar bis April ist der Wert schon auf 3 Prozent hochgeschossen.

Die Ratingagentur Moody's geht davon aus, dass der weltweite Anteil an Zahlungsausfällen bei spekulativ eingestuften Unternehmens-Schulden bis Ende des Jahres von 3,4 Prozent auf 4,6 Prozent steigen wird (langfristiger Durchschnitt: 4,1 Prozent) und dann bis Mitte April 2024 einen Höchststand von 5 Prozent erreicht. Eine eher optimistische Annahme.

Die zunehmenden Ausfall-Ereignisse sind indes ein erstes Anzeichen dafür, dass die berüchtigten „Zombie-Unternehmen“ anfangen zu kippen. Etwas, das manche Experten schon seit mehr als fünf Jahren erwarten, was aber erst jetzt durch die massiv erhöhten Zinsen einzutreten scheint. Wenn jetzt noch die USA in eine größere Wirtschaftskrise laufen (worauf die zuletzt positiven Meldungen nicht hindeuten) dann könnte das Ganze böse enden.

Auch in Europa steigen die Insolvenzzahlen rapide an. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform misst einen Anstieg um knapp 25 Prozent für das Jahr 2022. Im rezessiven Deutschland gab es im Juni so viele Insolvenzfälle (1058) wie seit sieben Jahren nicht mehr, schreibt das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Allein im Vergleich zum Vormonat stiegen die Fallzahlen laut IWH um 16 Prozent, im Vorjahresvergleich ergibt sich ein Plus von 48 Prozent.

Experten schätzen Zombie-Anteil auf 15 Prozent

Es könnte sein, dass wir hier den Anfang einer Pleitewelle unter den Zombie-Unternehmen sehen. Welche Auswirkungen hätte ein solches Szenario? Die Tragweite der Zombie-Erosion ist abhängig von deren Gewicht in der Volkswirtschaft. Und hier zeigt sich einer der großen Kollateralschäden der jahrelangen Nullzinspolitik.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) schätzte in einer Ende 2020 veröffentlichten Studie, dass sich der Zombie-Anteil unter den börsennotierten Firmen in 14 Industrieländern zwischen 1980 und 2017 von 4 auf 15 Prozent fast vervierfacht hat. Die BIZ definiert Zombies hier als Unternehmen, deren operativer Gewinn (EBIT) im Betrachtungszeitraum zwei Jahre in Folge zu gering war, um die Zinskosten auf das Fremdkapital zu decken.

In den USA liegt der Schätzwert bei überdurchschnittlichen 20 Prozent, in Europa sind es 10 bis 15 Prozent. Laut BIZ ist der Zombie-Anteil unter kleineren Firmen besonders hoch, was keine guten Aussichten für den Junkbond-Markt implizieren. Denn die Emittenten von Schrottanleihen sind kaum unter den großen Konzernen zu finden.

Wenn die Schätzungen grob richtig sind und die Zombies jetzt durch die Zinswende unter die Räder kommen, dann ergäbe das keinen temporären Schock mehr, sondern einen finanziellen Tsunami. Bemerkung am Rande: J.P.Morgan-Boss Jamie Dimon hatte schon vor einem Jahr vor einem „Finanzsturm“ gewarnt – zwar ohne konkret von Zombiefirmen zu sprechen, aber unter dem Überthema der schnellen Zinserhöhungen, auf deren Auswirkungen viele Marktteilnehmer und Unternehmen nicht vorbereitet seien.

Einiges deutet auf einen neuen Finanz-Crash hin

Investoren und Kleinanleger haben am Junkbond-Markt im Zuge des Corona-Hypes kräftig zugegriffen. Dass Schrottanleihen jetzt wieder an Beliebtheit gewinnen, reiht sich nahtlos in das aktuelle Börsenumfeld ein, wo Technologie-Aktien jüngst einen massiven Aufschwung hatten (Stichwort: KI-Hype). Der breitgefasste SP500-Index ist trotz fehlender Marktbreite auf einem neuen Allzeithoch, obwohl die Zinsen hoch sind und die Wirtschaft schleppend läuft. Die globale Geldmenge sinkt und fällt damit als wichtigster Treiber der Börsenkurse aus, der sie viele Jahre lang gewesen war.

Für die Stabilität der Aktienmärkte gibt es in Expertenkreisen keine vernünftige Erklärung. Genauso wenig wie für den niedrigen Spread der Hochzins-Anleihen, welche selbst auf die zuletzt vermehrten Ausfälle kaum reagieren. Sind Aktien und Anleihen schlichtweg fehlbepreist und steht demnach eine erhebliche Korrektur bevor?

Wir wollen den Teufel nicht an die Wand malen, zumal man die aktuelle Anlegerstimmung trotz wieder steigenden Kursen nicht als typisch irrationale Börsen-Euphorie bezeichnen kann. Aber eine so auffällige Divergenz zwischen Makro-Daten und Wertpapier-Kursen ist häufig ein Warnzeichen für einen kommenden Crash. Hinzu kommt, dass die US-Regierung chronisch überschuldet ist und den Markt beständig mit Staatsanleihen flutet.

Der Crash kann natürlich auch ausbleiben. Wer weiß schon mit Sicherheit, wie sich die Konjunktur entwickeln wird und wie gut die Unternehmen in der Not agieren werden? Man darf auch nicht vergessen, dass Politik und Zentralbanken bei größere Turbulenzen Gegenmaßnahmen einleiten werden, wie etwa Zinssenkungen. Prognosen sind bekanntlich schwierig, wenn sie die Zukunft betreffen. Es hatte auch kaum jemand mit der schnellen Erholung nach dem Corona-Crash und der momentanen Rally gerechnet.

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Jakob Schmidt

                                                                            ***

Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.

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