Politik

Produktivität sinkt: Das sind die Ursachen

Lesezeit: 5 min
22.07.2023 08:55  Aktualisiert: 22.07.2023 08:55
Die Arbeitsproduktivität nimmt in Deutschland ab. Das bedroht den Wohlstand des Landes. Was die Ursachen laut Forschern sind – und die Lösungen.
Produktivität sinkt: Das sind die Ursachen
Ein Schweißroboter bei der Arbeit: Trotz des technischen Fortschritts und zunehmender Automatisierung erlahmt das Produktivitätswachstum in Deutschland bereits seit Jahrzehnten. (Foto: iStock.com/Thossaphol)
Foto: Thossaphol

Deutschlands Wirtschaft schwächelt. Etwa ist das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in den fünf Jahren seit dem ersten Quartal 2018 um 0,8 Prozent gesunken. Auch das BIP pro gearbeiteter Stunde sank im ersten Quartal um 1,0 Prozent zum Vorjahresquartal, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kürzlich mitteilte.

„Nachdem die Produktivität schon zu Beginn des Ukrainekrieges deutlich gesunken war, sackt sie Anfang 2023 noch einmal ab. Die Inflation drückt auf den Konsum, die hohen Energiepreise lassen die Produktion sinken“, erklärte der Mitarbeiter Enzo Weber laut einer Mitteilung.

Dabei handelt es sich nicht bloß um eine Folge der Energiekrise und der Inflation. Laut der KfW haben sich die Zuwächse der Arbeitsproduktivität in den letzten sechs Jahrzehnten „erheblich verringert“. Wuchs das inflationsbereinigte BIP pro Erwerbstätigem und pro gearbeiteter Stunde in den Sechziger Jahren noch um 4 bis 5 Prozent pro Jahr, waren es in den Achtzigern nur noch 2 bis 3 Prozent.

Wohlstand geht zurück

Seit den 2000er-Jahren war das Wachstum besonders gering und lag kaum noch über 1 Prozent. „Im Durchschnitt des Zeitraums 2011 bis 2019 stieg die Stundenproduktivität in Deutschland nur noch um durchschnittlich 0,9 Prozent pro Jahr an“, berichtet die KfW.

Das Problem: Wenn die Produktivität sinkt, werden die Leute immer ärmer und der Spielraum für staatliche Umverteilung wird kleiner. Verteilungskonflikte nehmen zu.

Wissenschaftler verweisen nicht nur auf den wachsenden Dienstleistungssektor, der weniger produktiv ist als etwa die Industrie. Das sei bloß eine der Ursachen, erklärt etwa der Volkswirt Thomas Mayer vom Flossbach von Storch Research Institute.

Zu nennen seien unter anderem die alternde Erwerbsbevölkerung, der Mangel an Neugründungen von Unternehmen, zu wenige Investitionen in die Infrastruktur und die abnehmende Leistungsfähigkeit des Bildungssystems, schreibt Mayer auf DWN-Anfrage.

Weitere Ursachen seien die Zuwanderung vieler wenig leistungsfähiger Menschen aus dem Ausland, „die Wucherung von Regulierung und Bürokratie“ sowie die Aufblähung des Staatsapparats und der Steuerlast. „Die Punkte ‘Wucherung von Bürokratie und Regulierung’ und ‘Aufblähung des Staatsapparats und der Steuerlast’ verstärken den Punkt ‘Mangel an Neugründungen von Unternehmen’ und veranlassen Unternehmen, ihre Investitionen ins Ausland zu verlagern“, erklärt Mayer weiter.

Sinkende Intelligenz drückt Produktivität

Der Evolutionspsychologe Gerhard Meisenberg sieht unter anderem sinkende Intelligenz als eine Ursache. „Produktivität ist primär eine Konsequenz von Humankapital“, schreibt der Professor auf DWN-Anfrage. Im 20. Jahrhundert seien Intelligenz und Bildung und somit die Produktivität noch gestiegen. Doch nun stagniere das Humankapital, wie die Ergebnisse von IQ-Tests und Schulleistungstests wie PISA zeigten.

Grund sei unter anderem, dass intelligente Menschen weniger Kinder hätten als Menschen mit geringerem IQ. Außerdem sei das Bildungssystem in den hoch entwickelten Ländern bereits so sehr optimiert, dass sich nicht viel zusätzliches Talent herausholen lasse. Es gebe denn auch Anzeichen, dass die Intelligenz zumindest in den weitest entwickelten europäischen Ländern zu sinken beginne – und zwar seit der Generation, die nach den Siebziger Jahren geboren sei.

Absackende Produktivität sei daher nicht verwunderlich, sondern „unvermeidlich“, erklärt Meisenberg. „Die Leute werden sich daran gewöhnen müssen, dass es ,Fortschritt' nicht mehr gibt. Natürlich wird es noch ein paar nützliche Erfindungen geben, aber die auszunutzen erfordert wiederum Intelligenz, und wenn die Intelligenz sinkt, dann kann der Nettoeffekt sehr wohl ein Abfall der Produktivität sein.“

Der Psychologe Heiner Rindermann berichtete denn auch gegenüber DWN, dass deutsche Schüler immer weniger leistungsfähig sind. „In der jungen Generation in Deutschland haben wir ganz eindeutig ein Absinken kognitiver Fähigkeiten“, erklärte er.

Rindermann verweist etwa auf das MINT-Nachwuchsbarometer 2023 der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften. Demnach haben sich die Mathematikleistungen von Viertklässlern zwischen 2011 und 2021 deutlich verschlechtert. Umgerechnet entsprach der Leistungsrückgang einem IQ-Verlust von über 4 Punkten – und zwar sowohl bei einheimischen Kindern als auch bei Migrantenkindern der zweiten Generation. Bei Migrantenkindern der ersten Generation betrug das Minus sogar umgerechnet neun IQ-Punkte.

Schulleistungsforscher würden zwar argumentieren, Schulleistung sei nicht IQ, erklärt Rindermann. „Da gibt es aber einen sehr großen Überlappungsbereich.“

Zunehmende Bürokratisierung

Kritische Psychologen sehen eine wesentliche Ursache für den Intelligenzrückgang in asymmetrischen Geburtenraten. Intelligente Menschen bekämen weniger Kinder als Menschen mit geringem IQ. Da Intelligenz stark erblich sei, sinke das kognitive Leistungsniveau von Generation zu Generation.

Das Ergebnis könnte laut Forschern eine sich selbst antreibende Abwärtsspirale sein, bei der immer weniger qualifizierte Arbeitskräfte verfügbar seien, die für das reibungslose Funktionieren politischer, wirtschaftlicher und sozialer Institutionen nötig seien. Aufgrund der Folgen wie weniger soziales Vertrauen, Korruption und vieler dummer Fehler werde man vieles nicht mehr tun können, was früher normal gewesen sei, sagte ein Forscher gegenüber DWN.

Thomas Mayer sieht derweil in der zunehmenden Bürokratisierung eine wesentliche Ursache für die Produktivitätsschwäche. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) berichtete dementsprechend in einer Untersuchung aus dem Jahr 2019, dass immer mehr Beschäftigte mit bürokratischen Tätigkeiten betraut sind.

Demzufolge gibt es viel mehr Beschäftigungsverhältnisse in der Gesamtwirtschaft, bei denen schwerpunktmäßig Gesetze, Verordnungen und Vorschriften angewandt werden. Der Anteil dieser Jobs an allen Jobs stieg um 20 Prozent zwischen 1996 und 2015 (von 2,5 auf 3,0 Prozent). Besonders hoch war der Anstieg im verarbeitenden Gewerbe: Hier waren im Jahr 1996 noch 0,1 Prozent aller Stellen vorwiegend mit bürokratischen Aufgaben befasst. Im Jahr 2015 hatte sich der Anteil auf 0,4 Prozent vervierfacht.

Laut dem DIW-Autor kann die wachsende Bedeutung der weniger produktiven Dienstleistungen bloß einen „kleinen Teil“ der Produktivitätsverlangsamung erklären. Außerdem stehe die Entwicklung im Widerspruch zum Rückgang einfacher Tätigkeiten durch technologischen Fortschritt.

Alternder Kapitalstock

Auch der Kapitalstock altert immer mehr, was die Produktivität dämpfen dürfte, wie eine Studie des Verbands „Die forschenden Pharma-Unternehmen“ kürzlich berichtete. Demnach sank der Modernitätsgrad von Maschinen, Gebäuden, Straßen und anderen Produktionsmitteln seit dem Jahr 1991 um insgesamt 12 Punkte (von 100). Das war so viel wie in keinem anderen der neun untersuchten Industrieländer, darunter die USA, Österreich und Südkorea.

Betroffen waren vor allem die öffentliche Infrastruktur, aber auch die Industrie. „Nur wenige Branchen können den Modernitätsgrad halten“, heißt es in einer Mitteilung. Dabei zeige sich der Zusammenhang zwischen Produktivität und Kapitalstock auch in der deutschen Industrie. „Je moderner der Kapitalstock, desto höher die Wertschöpfung je Beschäftigten“, heißt es.

Eine Analyse der Deutschen Bank führt den Kapitalschwund in den energieintensiven Industrien auf die Energiewende zurück. Ursache sei nicht ein hoher Strompreis, heißt es in dem Papier aus dem Jahr 2021. Der Strompreis sei für diese Industrien vielmehr aufgrund von Ausnahmen im Erneuerbaren-Energien-Gesetz „recht niedrig“ und „international konkurrenzfähig“.

„Wichtig ist vielmehr die Unsicherheit der Unternehmen, ob diese Sonderregelungen auch in fünf, zehn oder mehr Jahren noch gelten“, schreibt der Autor. Aufgrund dessen würden energieintensive Unternehmen seit Anfang der 2000er-Jahre Neuinvestitionen zunehmend im Ausland tätigen und die Fabriken in Deutschland veralten lassen.

Thomas Mayer hält denn auch ein Umdenken bei der Politik für dringend nötig. „Die naheliegenden und kurzfristig wirkungsvollsten Maßnahmen wären Verringerung der Einwanderung in das Sozialsystem, Deregulierung und Bürokratieabbau sowie Steuerreform und Verschlankung des Staatsapparats“, erklärt Mayer gegenüber DWN.

Chancen sieht der Ökonom außerdem in technologischen Innovationen wie der Künstlichen Intelligenz. KI könnte etwa im Gesundheitssektor, in Medien oder in der öffentlichen Verwaltung viele Aufgaben übernehmen, die derzeit von Menschen erledigt würden. Das könnte die Produktivität im Dienstleistungssektor erheblich erhöhen.

Weniger Innovation

Gerhard Meisenberg rechnet indes mit einem weiteren Absinken der kognitiven Fähigkeiten, weil Intelligente relativ wenige Kinder hätten. Außerdem werde es künftig aufgrund des demographischen Wandels immer weniger Jüngere geben, führt Meisenberg aus. „Das heißt auch weniger Talent, das zur Innovation fähig ist. Fachkräftemangel ist ein Zeichen davon.“

„Niedrigere Intelligenz führt zu dümmerer Wirtschafts- und Bildungspolitik, was wiederum zu Produktivitätsrückgang und zu weiter sinkender Intelligenz führt“, erklärt der Evolutionspsychologe. Die Hauptgefahr sei dabei nicht mangelnde technologische Innovation. Fortschritt werde es weiter geben, aber in geringerem Tempo.

Der Schwachpunkt liege im Bildungssystem und im Management. Diese würden direkt von der Intelligenz der Beteiligten abhängen und seien nicht kumulativ wie Technik und Wissenschaft, wo man weiter von den Errungenschaften der Vergangenheit zehren könne. Daher werde etwa die Fähigkeit nachlassen, Innovationen effektiv einzusetzen. Fehlentscheidungen in der Politik und in Unternehmen würden zunehmen. „Wohlfühlpolitik statt rationalem Management, das ist ein Zeichen sinkender Intelligenz“, schreibt Meisenberg, der Studien zum Zusammenhang von BIP pro Kopf und dem durchschnittlichen IQ in einem Land veröffentlicht hat.

Evolutionspsychologen schlagen als Lösung die Förderung von Genies vor, die mit ihren Erfindungen und wissenschaftlichen Entdeckungen die Gesellschaft massiv voranbringen können. Andere argumentieren für Steuernachlässe für Kinder, um die intelligenten Besserverdiener zu motivieren, mehr Kinder zu bekommen. Auch Embryoselektion könnte laut manchen Autoren den Intelligenzrückgang zumindest verlangsamen.

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Elias Huber arbeitet als freier Journalist in Frankfurt am Main und schreibt vor allem über Konjunktur, Edelmetalle und ETFs sowie die ökonomische Lehre der Österreichischen Schule. 

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