Wirtschaft

Deutschland verliert den Anschluss an die anderen Industriestaaten

Als einziges großes Industrieland verzeichnet Deutschland eine schrumpfende Wirtschaft. Dennoch wird die Bundesregierung die Co2-Steuern weiter anheben. Laut IWF droht das Land, den Anschluss zu verlieren.
14.08.2023 11:42
Aktualisiert: 14.08.2023 11:42
Lesezeit: 4 min
Deutschland verliert den Anschluss an die anderen Industriestaaten
Deutschland verliert den Anschluss an die anderen Industriestaaten, warnt der IWF. (Bild: istockphoto.com/Galeanu Mihai) Foto: Galeanu Mihai

Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft blicken mit großer Sorge auf die Lage der Konjunktur. Industriepräsident Siegfried Russwurm sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Deutschland befindet sich wirtschaftlich auf der Verliererstraße, insbesondere im internationalen Vergleich." Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sagte der dpa: "Wenn wir eine der führenden Industrienationen bleiben wollen, müssen wir an vielen Stellschrauben drehen." Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, betonte, es bestehe ein großer Handlungsdruck, um nicht in eine tiefe Krise hineinzusteuern.

Die deutsche Wirtschaft steckt in einer Flaute. Der erhoffte Frühjahrsaufschwung ist ausgeblieben. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stagnierte im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt anhand vorläufiger Zahlen mitgeteilt hatte. Die Aussichten für die kommenden Monate haben sich nach Einschätzung von Ökonomen zudem eingetrübt. Der Internationale Währungsfonds erwartet für dieses Jahr ein Schrumpfen der deutschen Wirtschaft um 0,3 Prozent. Die Bundesregierung geht nach der im April vorgelegten Frühjahrsprojektion hingegen für dieses Jahr von einem BIP-Plus von 0,4 Prozent aus.

Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland stieg im Juli auf 2,617 Millionen. Das waren laut Bundesagentur für Arbeit 62 000 mehr als im Juni und 147 000 mehr als vor einem Jahr. Die Arbeitslosenquote erhöhte sich im Juli um 0,2 Prozentpunkte auf 5,7 Prozent.

"Die Konjunkturindikatoren zeigen leider alle nach unten, also komplett in die falsche Richtung", sagte Russwurm als Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Laut aktuellem IWF-Wachstumsausblick sei die deutsche Volkswirtschaft die einzige unter den 22 untersuchten Ländern und Regionen, in der das Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr zurückgehe. "Das muss ein Industrie- und Exportland, wie es Deutschland ist, alarmieren."

Dulger als Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sagte: "Wir befinden uns in einer Rezession. Auch die Inflation hält sich hartnäckiger als gedacht. Wir haben mit die höchsten Energiekosten, wir haben mit die höchsten Steuern und Lohnzusatzkosten. Wir haben eine marode Infrastruktur. Diese Probleme mischen sich mit Fachkräftemangel, verschlafener Digitalisierung und der Dekarbonisierung." Die Stimmung in den Unternehmen trübe sich ein, das Investitionsklima sei nicht gut. Deutschland müsse vor allem schneller und digitaler werden, nötig seien zudem weniger Steuern und Lohnzusatzkosten.

Lesen Sie dazu: Weik: „An diesen neun Punkten wird Deutschland scheitern“

Handwerkspräsident Dittrich sagte, den meisten Betrieben gehe es aktuell noch gut. "Allerdings ist die Stimmung schlecht - sogar bei denen, die wirtschaftlich gut dastehen. Die Kostenschübe durch höhere Materialkosten, Inflation, Lohnsteigerungen und vor allem durch weiter steigende Sozialabgaben sind gewaltig." Darunter leide die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe und ihre Zukunftsperspektiven gerieten unter Druck. "Die Transformation wird nur leistbar sein, wenn es weiter ausreichend zahlungsfähige Handwerksbetriebe gibt."

Dittrich sagte, die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP habe im vergangenen Halbjahr nicht zu einer positiven Grundstimmung im Land beigetragen. Er nannte als Beispiel den Streit um das Heizungsgesetz. Russwurm sagte, substanzielle Unterstützung aus dem politischen Umfeld, gerade in einer so schwierigen Situation, sei noch Mangelware. "Es geht längst nicht nur um Geld: Wir machen keine Fortschritte beim Bürokratieabbau. Wir machen keine Fortschritte beim Thema Genehmigungsbeschleunigungen." Es gebe zu kleine Fortschritte, das Energiesystem der Zukunft und seine Kosten in den Griff zu bekommen. Die Koalition müsse "Zielkonflikte" lösen und klären, ob und wie sie die richtigen Prioritäten setze.

CO2-Steuer wird angehoben

Die Bundesregierung will die CO2-Sondersteuer beim Tanken und Heizen mit fossilen Energien trotz der Rezession im kommenden Jahr stärker anheben als bisher geplant. Der Preis soll zum 1. Januar auf 40 Euro pro Tonne steigen, wie die Deutsche Presse-Agentur am vergangenen Mittwoch aus Regierungskreisen erfuhr. Bisher waren 35 Euro geplant. Derzeit liegt er bei 30 Euro. In der Bundesregierung war zunächst über eine Erhöhung der CO2-Steuer im Jahr 2024 auf 45 Euro debattiert worden.

Das Bundeskabinett beschloss den Entwurf des Wirtschaftsplans des Klima- und Transformationsfonds für 2024 sowie den Finanzplan bis 2027, wie das Finanzministerium mitteilte. Dieses Sondervermögen speist sich unter anderem aus der nationalen CO2-Bepreisung im Verkehrs- und Wärmebereich. Die Einnahmen daraus sollen laut Entwurf um rund 2,3 Milliarden auf rund 10,9 Milliarden Euro steigen.

Finanzminister Christian Lindner sagte laut Mitteilung: "Wir müssen bei der CO2-Bepreisung mit Augenmaß vorgehen, gerade angesichts der aktuellen Wachstumsschwäche."

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm und der Verbraucherschützer Thomas Engelke bemängelten, dass die Bundesregierung das Klimageld noch nicht eingeführt habe. SPD, Grüne und FDP hatten diese Leistung für die Menschen im Land als Ausgleich für die Belastung durch steigende CO2-Preise vereinbart.

Grimm sagte, der CO2-Preis müsse schneller steigen und schnellstens das Klimageld gezahlt werden. "Wenn man jetzt die Rahmenbedingungen beim Emissionshandel glaubhaft verschärft und auch die Entlastung durch das Klimageld konzipiert und gesetzlich verankert, dann würde sofort der Anreiz steigen, in klimafreundliche Alternativen zu investieren - eben um die zukünftigen Kosten zu vermeiden."

Eine Erhöhung der CO2-Steuer ab Anfang 2023 hatte die Koalition wegen der Energiekrise verschoben. Über den Klima- und Transformationsfonds, ein Sondervermögen des Bundes, investiert der Bund in den klimagerechten Umbau - zum Beispiel gehen Milliarden in die energetische Gebäudesanierung, die Dekarbonisierung der Industrie und den Ausbau der Elektromobilität. Vorgesehen sind 2024 Programmausgaben von rund 57,6 Milliarden Euro. Das sind 21,6 Milliarden Euro mehr als die Soll-Ausgaben des Jahres 2023.

"Mit dem KTF-Wirtschaftsplan fördern wir Innovationen am Wirtschaftsstandort Deutschland", sagte Lindner. "Wir schaffen Grundlagen, damit aus Dekarbonisierung und Digitalisierung Zukunftschancen erwachsen."

Trübe Aussichten

In Deutschland zeichnet sich laut Bundesregierung derzeit keine nachhaltige Belebung der mauen Wirtschaft ab. Die noch schwachen außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen dämpften Produktion und Exportentwicklung, heißt es in dem am Montag veröffentlichten Monatsbericht des Wirtschaftsministeriums: "Aktuelle Frühindikatoren wie Auftragseingänge und Geschäftsklima, aber auch die verhaltende Entwicklung der Weltkonjunktur, deuten vorerst nicht auf eine nachhaltige wirtschaftliche Belebung in Deutschland hin." In den kommenden Monaten sei zudem mit einer verminderten Dynamik am Arbeitsmarkt zu rechnen. Die Unternehmen planten weniger Neueinstellungen.

Der private Konsum habe sich im zweiten Quartal nach den deutlichen Rückgängen im Winter zwar zunächst stabilisiert. Insgesamt sprächen die Frühindikatoren "am aktuellen Rand" jedoch für eine gedämpfte Entwicklung.

Die Wirtschaft in Deutschland dümpelte zuletzt vor sich hin: Das Bruttoinlandsprodukt stagnierte im Frühjahr nach zuvor zwei Quartalen mit schrumpfender Wirtschaftsleistung in Folge. Frühindikatoren wie das Ifo-Geschäftsklima deuten darauf hin, dass die Konjunkturflaute noch nicht überwunden wurde. Deutschland schneidet dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge im Vergleich mit anderen Industrienationen außerordentlich schlecht ab - als einziges großes Land mit einer dieses Jahr wohl schrumpfenden Wirtschaftsleistung. Der IWF sagt in seiner Sommerprognose ein Minus beim Bruttoinlandsprodukt von 0,3 Prozent voraus.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Vermögen der Deutschen auf Rekordhoch – aber die Ungleichheit wächst mit
25.04.2025

Private Haushalte in Deutschland verfügen so viel Geld wie nie zuvor – doch profitieren längst nicht alle gleichermaßen vom...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschland am Wendepunkt: Wirtschaftsmodell zerbricht, Polen rückt vor
25.04.2025

Deutschlands Wirtschaftsmaschinerie galt jahrzehntelang als unaufhaltsam. Doch wie Dr. Krzysztof Mazur im Gespräch mit Polityka...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft China im Handelskrieg: Regierung bereitet sich auf das Schlimmste vor
25.04.2025

Chinas Führung bereitet sich inmitten des eskalierenden Handelskonflikts mit den USA auf mögliche Härtefälle vor. In einer Sitzung des...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Pharmazeutische Abwanderung: Wie Europa seine Innovationskraft verloren hat – und sie zurückgewinnen kann
25.04.2025

Europas einst führende Rolle in der Pharmaforschung schwindet – während andere Regionen aufholen, drohen Abhängigkeit und...

DWN
Politik
Politik Trump deutet historischen Kompromiss an: Russland will Ukraine nicht vollständig besetzen
25.04.2025

Moskau signalisiert Rückzugsbereitschaft – wenn der Westen zentrale Forderungen erfüllt.

DWN
Finanzen
Finanzen Sozialleistungen belasten Haushalt: Staatsquote steigt erneut
25.04.2025

Höhere Ausgaben des Staates für Sozialleistungen wie Renten, Pflege- und Bürgergeld haben den Anteil der Staatsausgaben im Verhältnis...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Hat Trump mit seiner Einschätzung des deutschen Überschusses recht?
25.04.2025

Trumps Zollpolitik trifft auf deutsche Überschüsse – doch die wahren Ursachen für das Handelsungleichgewicht liegen tiefer.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Crash-Gefahr an den US-Börsen: Fondsmanager warnt vor historischem Einbruch von bis zu 50 Prozent
25.04.2025

Die Unsicherheit an den globalen Finanzmärkten nimmt spürbar zu. Ein renommierter Fondsmanager schlägt nun Alarm: Der US-Aktienmarkt...