Politik

EU-Treffen in Kiew: Baerbock erwartet Erweiterung "bis Luhansk"

Alle 27 EU-Staaten sind beim Außenministertreffen in Kiew vertreten. Bundesaußenministerin Baerbock sieht schon ein neues Europa "von Lissabon bis Luhansk". Luhansk befindet sich seit über einem Jahr unter russischer Kontrolle.
02.10.2023 14:15
Aktualisiert: 02.10.2023 14:15
Lesezeit: 3 min

Bei einem historischen gemeinsamen Besuch in Kiew haben die Außenminister der EU-Staaten ein Zeichen der Unterstützung für die von Russland angegriffene Ukraine gesetzt. Es sei das erste Mal, dass es ein solches Treffen der Vertreter aller 27 EU-Staaten außerhalb der EU gebe, schrieb der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell auf Twitter. Bei den Beratungen ging es seinen Angaben nach um die Lage angesichts der russischen Invasion und die Unterstützung der EU für die Ukraine. "Die Zukunft der Ukraine liegt in der EU", fügte er hinzu.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bekräftigte ihre Forderung nach einem «Winterschutzschirm» für die Ukraine. Dazu gehöre der Ausbau der Luftverteidigung, die Lieferung von Strom-Generatoren und die Stärkung der Energieversorgung, sagte die Grünen-Politikerin. Im vergangenen Winter hatte Russland mit systematischen Angriffen auf die Energieversorgung versucht, die Ukrainer niederzuzwingen.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sagte, Botschaft des Treffens sei, dass sich die Europäische Union in die Ukraine ausweite; dafür sei man sehr dankbar. Das «historische Ereignis» finde zwar außerhalb der derzeitigen EU-Grenzen statt, «aber innerhalb der zukünftigen EU-Grenzen».

Die Außenministerinnen und Außenminister kamen am Montag mit dem Nachtzug nach Kiew. Wie üblich während des russischen Angriffskriegs wurde die Reise aus Sicherheitsgründen nicht vorher angekündigt. Seit Russland im Februar 2022 in das Nachbarland einmarschiert ist, ist noch nie eine so große Gruppe ranghoher ausländischer Politikerinnen und Politiker angereist.

Borrell hatte vor dem Treffen vorgeschlagen, der Ukraine längerfristig Geld zur Rüstung zuzusagen und mit EU-Geld auch die Lieferung moderner Kampfjets und Raketen zu finanzieren. So will er von 2024 bis Ende 2027 jährlich fünf Milliarden Euro mobilisieren.

Der dänische Außenminister Lars Løkke Rasmussen sagte, sein Land unterstütze den Vorschlag. Mit Blick auf möglicherweise sinkende US-Hilfen für die Ukraine sagte er, Europa leiste aus seiner Sicht bereits jetzt seinen Teil. Es müsse aber bereit sein, noch mehr zu tun. Das Treffen solle ein starkes transatlantisches Signal senden und zeigen, dass man bereit sei, für Geschehnisse auf dem eigenen Kontinent Verantwortung zu übernehmen. Viele Minister äußerten sich besorgt, dass die Finanzierung der US-Hilfen für die Ukraine wegen eines Haushaltsstreits derzeit in der Schwebe ist.

Die niederländische Außenministerin Hanke Bruins Slot sagte, die Ukrainer sollten auch deswegen weiter mit guten Waffen und Munition unterstützt werden, weil sie für die Freiheit ganz Europas kämpften. «Das ist nicht nur der Krieg der Ukrainer, sondern auch ein Krieg Europas als Kontinent», betonte sie.

Finnland wisse, wie schwierig es sei, neben einem Nachbarn wie Russland eine demokratische und offene Gesellschaft aufzubauen, sagte Außenministerin Elina Valtonen aus Helsinki. «Für uns Finnen ist es deshalb umso wichtiger, die Ukrainer und Ukrainerinnen auf ihrem Weg zur Europäischen Union und zur Nato eines Tages zu unterstützen.»

Man habe im vergangenen Winter gesehen, «in welcher brutalen Weise der russische Präsident diesen Krieg auch führt, indem er bewusst Elektrizitätswerke angreift», sagte Baerbock. Wladimir Putin setze darauf, dass bei 20 Grad Frost auch die Wasserversorgung einbreche. «Das müssen wir gemeinsam mit allem, was wir haben, so weit es geht verhindern.» Deutschland hat die Ukraine bereits umfangreich mit Luftverteidigungssystemen wie Iris-T und Patriot unterstützt.

Baerbock bekräftigte das Versprechen der EU, die Ukraine zu einem noch unbestimmten Zeitpunkt in die Staatengemeinschaft mit ihren derzeit 27 Mitgliedern aufzunehmen. «Die Zukunft der Ukraine liegt in der Europäischen Union, in dieser Gemeinschaft der Freiheit. Und die wird sich bald erstrecken von Lissabon bis Luhansk.»

Die Ukraine ist seit Juni 2022 offiziell Beitrittskandidat. Über die Aufnahme von Verhandlungen müssen die EU-Staaten aber noch einstimmig entscheiden. Ein positives Votum soll es dann geben, wenn die Ukraine bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Dazu zählen Erfolge im Kampf gegen die Korruption.

Baerbock war zuletzt am 11. September in der Ukraine gewesen. Während aus den meisten EU-Ländern der Minister oder die Ministerin anreiste, war das wichtige Nachbarland Polen durch einen Vizeaußenminister vertreten. Das enge Verhältnis ist derzeit belastet wegen eines polnischen Importstopps für ukrainisches Getreide. Auch aus dem russlandfreundlichen Ungarn kam nur ein ranghoher Diplomat. (dpa/Reuters)

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Geldanlage: Mit einem Fondsdepot mehr aus dem eigenen Geld machen

Wer vor zehn Jahren 50.000 Euro in den Weltaktienindex investiert hat, kann sich heute über mehr als 250.000 Euro freuen! Mit der...

DWN
Politik
Politik Wie wähle ich bei der Bundestagswahl? Deutschland verweigert wahlberechtigten Auslandsdeutschen ihre Stimme abzugeben
22.02.2025

Mehrere Auslandsdeutsche berichten, zu spät oder bislang noch gar keine Wahlunterlagen erhalten zu haben. Nun drohen die Stimmen dieser...

DWN
Politik
Politik Rente mit 63: Wer wirklich von der abschlagsfreien Rente profitiert
22.02.2025

Die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren ist für Menschen gedacht, die beruflich sehr stark belastet sind. Doch aktuelle DIW-Zahlen...

DWN
Politik
Politik Alternativen zu Trumps Appeasement-Politik gegenüber Russland
22.02.2025

US-Präsident Donald Trump sagt, er wolle der Ukraine Frieden bringen. Aber sein Ansatz kann nicht funktionieren, weil er das Problem der...

DWN
Panorama
Panorama Deutschland "kaputt": Münchaus düstere Prognose für die Wirtschaft
22.02.2025

Deutschland steckt in der Krise – und es gibt kaum Hoffnung auf Besserung. Der deutsch-britische Autor Wolfgang Münchau sieht das Land...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Kündigung rechtssicher zustellen: So vermeiden Sie teure Fehler
22.02.2025

Wie Sie eine Kündigung korrekt übermitteln – von der persönlichen Übergabe bis zum Gerichtsvollzieher. Welche Methoden wirklich...

DWN
Panorama
Panorama Kaffee bald Luxus? Wie durch ein EU-Gesetz, Abholzung und das Wetter die Preise explodieren
22.02.2025

Der Preis für Kaffee ist an den Börsen in den letzten fünf Jahren um das Vierfache gestiegen. Die Ursachen für die Rekordpreise, die...

DWN
Technologie
Technologie Mobilfunk Bahn: Empfang unterwegs verbessert sich endlich
22.02.2025

Wer im Zug telefoniert oder surft, stößt oft auf Funklöcher und langsames Internet. Jetzt verbessert eine neue Technik die Verbindung...

DWN
Politik
Politik 630 Sitze, 29 Parteien, 4.506 Kandidaten: Zahlen zur Wahl
22.02.2025

Die Bundestagswahl 2025 bringt große Veränderungen mit sich: weniger Kandidaten, ein neues Wahlrecht und eine alternde Wählerschaft. Wer...