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Auswandern nach Serbien: Schmelztiegel zwischen West und Ost

Lesezeit: 7 min
22.10.2023 12:09  Aktualisiert: 22.10.2023 12:09
Serbien ist ein chronisch unterschätztes Land mit überaus freundlichen, konservativen Menschen. Zwischen Zentraleuropa und östlichem Balkan findet man hier traumhafte Landschaften, pulsierende Großstädte und ein attraktives unternehmerisches Umfeld. Im Folgenden schildern wir Vor- und Nachteile des Nicht-EU-Staates und warum es für deutsche Auswanderer besonders attraktiv sein kann, sich hier niederzulassen.
Auswandern nach Serbien: Schmelztiegel zwischen West und Ost
Serbiens Hauptstadt Belgrad ist im Aufwind, die meisten Auswanderer tummeln sich hier. (Foto: DWN privat)

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Serbien hat nicht den besten Ruf, obwohl es ein sehr schönes, vielfältiges Land mit ausgesprochen netten Menschen ist. In Kombination mit attraktiven unternehmerischen Rahmenbedingungen macht es das zu einem Geheimtipp für Auswanderer, die relativ günstig in Europa außerhalb der EU leben möchten und eher konservativ veranlagt sind.

Schmelztiegel zwischen West und Ost

Wer den größten Staat des Westbalkans bereist, kann sich an rauen, gebirgigen Landschaften mit schönen Panoramen, traumhaften Nationalparks und zahlreichen historischen Sehenswürdigkeiten erfreuen. Das Wetter ist gemäßigt kontinental, was heiße Sommer und kalte Winter (Januar bis März) bedeutet.

Die Hauptstadt Belgrad, wo das Leben mit 1,7 Millionen der insgesamt rund 7 Millionen Einwohner pulsiert, erinnert architektonisch bisweilen an vergleichbar geschichtsträchtige Ballungsorte Europas wie Prag und Wien. Auch was das Lebensgefühl angeht, könnte man die Hauptstadt glatt mit einer typischen mitteleuropäischen Metropole verwechseln. Belgrad und ganz Serbien ist ein einzigartiger Schmelztiegel der Kulturen. West-, Ost- und Südeuropa, die Überreste von Habsburger Monarchie und Osmanischem Reich, die Flüsse Donau und Save, slawische Tradition und orientalische Einflüsse, christlich-orthodoxe Religion und Moderne treffen hier friedlich aufeinander.

Auch die zweitgrößte Stadt Novi Sad, Subotica oder Novi Pazar machen optisch einiges her. Wen es hin und wieder ans Meer zieht, der kann in das früher zu Serbien gehörende Montenegro übersiedeln. Die kleineren Städte und Dörfer sind zwar stets charmant, aber auf den ersten Blick selten eine Augenweide. Wie allen ehemaligen Sowjetrepubliken haftet auch Serbien ein gewisser Ostblock-Charme an.

Schwellenland-typisch besteht eine große Kluft zwischen den relativ reichen Städtern und den armen Dorfbürgern. Serbien zählt zu den ärmerem Ländern Europas und kämpft mit Emigrations-Tendenzen seiner jüngeren Bevölkerungsschicht. Nach Angaben der Weltbank lebt fast ein Viertel der Einwohner unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt beträgt umgerechnet rund 900 Euro. Am meisten verdienen die Menschen in Belgrad, besonders niedrig ist das Auskommen in den strukturschwachen Regionen im Osten und Süden des Landes.

Die Lebenshaltungskosten sind geringer als in Deutschland. Dies gilt besonders für ländliche Regionen, wo der Lebensstandard entsprechend niedriger ist und Tourismus überhaupt keine Rolle spielt. In den größeren Städten hingegen, vor allem im boomenden Belgrad, nähern sich die Preise zunehmend deutschen Niveaus an.

Überall günstig sind etwa Obst und Gemüse von lokalen Märkten und die Gastronomie. Privathaushalte bezahlen für Strom knapp 10 Eurocent pro Kilowattstunde und damit nur circa ein Drittel der deutschen Preise. Relativ teuer ist das Einkaufen im Supermarkt und es dürfte eher noch teurer werden, wenn man sich die hohe Lebensmittelpreis-Inflation von 58 Prozent innerhalb der letzten drei Jahre (aktuelle Rate: 15 Prozent) und die allgegenwärtigen Mogelpackungen ansieht. Ähnlich wie Ungarn und Bulgarien leidet Serbien an einer strukturellen Inflation im Nahrungsmittel-Bereich und anderen Sektoren, weil der Wettbewerb oligopolistische Tendenzen aufweist und bei weitem nicht so feingliedrig ist wie etwa in Deutschland. Immerhin ist die breitgefasste Inflation rückläufig und beträgt derzeit im Vergleich zum Vorjahresmonat nur noch 10,2 Prozent, nachdem es im März noch über 16 Prozent waren.

Brückenkopf für Chinas „Neue Seidenstraße“

Serbien ist ein bedeutendes Transitland zwischen Westeuropa und dem östlichen Balkan. Das weitläufige Autobahn-Netz ist in gutem Zustand und wird stetig ausgebaut – zuletzt auch mit Unterstützung aus China, für die das größte Land des Westbalkans ein wichtiger Brückenkopf der „Neuen Seidenstraße“ ist. Die Chinesen investieren darüber hinaus auch in die Industrie, vor allem in den Kupfer-Bergbau und die Stahlverarbeitung. Weiterhin offen bleibt, was mit dem riesigen Lithium-Vorkommen im Jadar-Tal passieren wird, welches Schätzungen zufolge bis zu 90 Prozent des europäischen Bedarfs an Lithium decken könnte. Eine Erschließung scheiterte bislang an heftigen Umweltprotesten der Bevölkerung.

Das Bussystem deckt fast jede Ortschaft ab, aber die Fahrvehikel sind nicht gerade modern und die Landstraßen mitunter sehr holprig. Es existieren Zugverbindungen zwischen den großen Städten, die aber aufgrund des modernisierungsbedürftigen Schienennetzes meist ziemlich langsam und verspätet unterwegs sind und viele Dörfer gar nicht abdecken. Jüngst wurde eine Schnellbahn zwischen Belgrad und Novi Sad in Betrieb genommen. Das neueste Vorzeigeprojekt ist eine Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Budapest (Ungarn), die wiederum mit chinesischer Hilfe entsteht. Von Belgrad aus gibt es internationale Züge etwa nach Bar (Montenegro) oder Zagreb (Kroatien).Vorsicht: Der Hauptbahnhof im Zentrum der Hauptstadt ist seit vielen Jahren außer Betrieb, die grenzüberschreitenden Verbindungen fahren stattdessen beispielsweise vom Bahnhof Topčider.

Die Gesundheitsversorgung ist solide, wenn auch – insbesondere im ländlichen Raum – nicht flächendeckend vergleichbar mit deutschen Standards. Im „Euro Health Consumer Index 2018“ belegte Serbien Platz 18 von 35 Ländern in Europa. Mit der europäischen Krankenversicherungskarte ist eine kostenlose Behandlung in staatlichen Krankenhäusern möglich. Eine bessere Versorgung gibt es in Privatkliniken, vor allem in Belgrad, wobei Ausländer teilweise höhere Gebühren zahlen müssen als Einheimische.

Das Internet ist in Bezug auf Abdeckung und Geschwindigkeit mit Deutschland vergleichbar. Übrigens: Wer touristisch in Serbien unterwegs ist, sollte sich schnellstmöglich eine serbische Sim-Karte besorgen, weil man sonst ein Vermögen fürs Roaming bezahlt.

Die Wirtschaft brummt, auch dank ausländischer Investoren

Der Immobilienmarkt ist gespalten zwischen den strukturschwachen Regionen und den pulsierenden Großstädten. Wie in Georgien hat der Zustrom von russischen Bürgern und Unternehmern die Mieten in den Ballungszentren massiv nach oben getrieben. Laut serbischen Statistikbehörden sind seit Kriegsbeginn im Februar 2022 schätzungsweise 100.000 Russen ins Land gekommen. Auch chinesische und arabische Investoren kaufen immer mehr auf. In Belgrad ist es inzwischen schwierig geworden, bezahlbaren Wohnraum zu finden.

Das ausländische Kapital hat auch seine positiven Seiten. Nicht zuletzt dank Investitionen aus dem Ausland erlebt Serbien einen Wirtschaftsaufschwung. Der größte Investor der letzten Jahre ist dabei gar nicht Russland oder China, sondern Deutschland. Zahlreiche deutsche Konzerne haben hier Produktionsstätten und Geschäfte errichtet. Um ein paar Namen zu nennen: Lidl, Bosch, Continental, Siemens, Stada. Sie alle sind nach Serbien expandiert, brachten Arbeitsplätze und damit verbunden auch einen gewissen Wohlstand ins Land. Deutsche Unternehmen, ihre Produkte und Technologien genießen hier einen sehr guten Ruf.

Auch 2022 verzeichnete man wieder rekordhohe ausländische Direktinvestitionen in Höhe von 4,4 Milliarden Euro. Das Land ist Teil der mitteleuropäischen Freihandelszone (CEFTA) und unterhält Handelsabkommen mit zahlreichen weiteren Staaten wie Russland, Kasachstan und der Türkei. Serbien lockt mit seiner geografischen Lage, niedrigen Lohnkosten und selektiven Investitionsanreizen durch Steuersenkungen. Gegenwärtige Herausforderungen sind bürokratische Hürden, Rechtssicherheit und Korruption. Zudem hemmt das hohe Median-Alter von 43 Jahren die wirtschaftliche Dynamik.

Für Ausländer ist es nicht einfach, eine Arbeit zu finden. Gute Chancen haben etwa IT-Experten, Ingenieure und Geschäftsleute mit weitgefächerten Sprachkenntnissen (zum Beispiel Chinesisch). Als Auswanderer sollte man idealerweise schon über ein Einkommen verfügen oder konkrete unternehmerische Pläne haben. Immerhin stellt die Sprachbarriere kein großes Problem dar. In den Städten sprechen fast alle Menschen gutes Englisch.

Die Steuerlast ist relativ gering. Die serbische Körperschaftsteuer liegt mit 15 Prozent mittlerweile recht hoch, dafür wird Einkommen jeglicher Art mit einer Pauschalsteuer von nur 10 Prozent belegt. Mit Deutschland besteht ein Doppelbesteuerungsabkommen. Eine Firmengründung ist schnell möglich und erfordert kein Startkapital.

Der typische Serbe: Freundlich, konservativ und rebellisch

„Die wichtigste Währung ist Vertrauen“, sagen die Menschen auf dem Balkan – seinem Nachbarn muss man vertrauen können. Entgegen mancher Vorurteile sind die Serben ein sehr nettes, herzliches, authentisches und überaus gastfreundliches Volk. Ausländern begegnen sie in aller Regel freundlich und zuvorkommend.

Der durchschnittliche Serbe ist sehr konservativ eingestellt. Die LGBTQ-Gemeinschaft konnte hier noch nicht Fuß fassen, Gendern ist unvorstellbar. Denunziantentum ist verpönt. Man zieht es vor, Privates als Privatsache zu behandeln. „Leben und leben lassen“ ist zentral in der serbischen Gesellschaft verankert.

Die Skepsis gegenüber staatlicher Autorität ist enorm. Das zeigte sich etwa in der Corona-Krise, als sich nur 48 Prozent der Bevölkerung impfen ließen. Zudem kam es zu einer Serie von heftigen Demonstrationen gegen die Regierung – in Serbien hat das gewissermaßen Tradition. Der seit 2017 amtierende Präsident Vucic wird regelmäßig mit Großdemos konfrontiert, die sich unter anderem gegen seine zunehmend autoritäre Herrschaft, die omnipräsente Korruption, Wahlbetrug und die Unterdrückung der Pressefreiheit stellen.

Der ungelöste Kosovo-Konflikt schwelt weiterhin und man sollte die entsprechenden Grenzregionen meiden. Davon abgesehen ist die innenpolitische Lage stabil. Kriminalität ist vorhanden, aber kein großes gesellschaftliches Problem. Serbien ist eines der sichereren Länder auf der Welt, der schlechte Ruf ist hier nicht ganz gerechtfertigt. Die Hauptstadt Belgrad befindet sich in der „Numbeo-Kriminalitätsrangliste“ europäischer Großstädte im Mittelfeld. Weniger sicher sind beispielsweise Berlin, Frankfurt, Stockholm, Mailand, London, Brüssel und Paris.

Schulterschluss mit dem „großen Bruder“ Russland

Serbien ist seit 2012 EU-Beitrittskandidat. Eine Mitgliedschaft scheiterte bisher vor allem am Dauer-Konflikt mit dem Kosovo und rechtsstaatlichen Defiziten. Die heimische Währung hat gegenüber dem Euro in den letzten zwanzig Jahren knapp die Hälfte ihres Wertes verloren. Seit 2016 oszilliert der Dinar in einem Währungsband um die 120 je Euro.

Eine Mehrheit der Bevölkerung ist pro-russisch eingestellt. Umfragen der Belgrader Denkfabrik „CRTA zufolge unterstützen 58 Prozent der Bürger Russland im Krieg, nur 22 Prozent sind demnach auf der Seite der Ukraine. Serbien ist einer der ganz wenigen europäischen Staaten, die sich bislang weigern, die Wirtschafts-Sanktionen gegen Russland mitzutragen.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass das Land fast vollständig vom Import von russischem Gas abhängig ist, welches neben Klimaanlagen die bevorzugte Heizquelle darstellt. Die Stromversorgung basiert größtenteils auf Kohlekraft, Kernreaktoren gibt es keine, der Ausbau erneuerbarer Energie steckt noch in den Kinderschuhen. Insgesamt ist Serbien hochgradig von Energieträgern aus dem Ausland abhängig und erwirtschaftet darum große Handelsbilanzdefizite.

Einwanderung relativ unkompliziert

Fazit: Für wen lohnt es sich also nach Serbien auszuwandern? In erster Linie für Digitalnomaden und Selbstständige, die Geldflüsse in Deutschland und Zentraleuropa generieren, aber außerhalb der EU leben möchten. Man kann natürlich auch vor Ort arbeiten, muss sich dann aber im Regelfall für denselben Job mit einem erheblich niedrigeren Einkommen als in Deutschland zufriedenstellen. Auf gut Glück ohne Arbeitsstelle oder konkrete berufliche Perspektive im pulsierenden und teuren Belgrad aufzuschlagen, ist hingegen nicht die beste Idee.

Deutsche genießen in Serbien ein hohes Ansehen, gelten als fleißig und zuverlässig. Man fühlt sich willkommen. Das landschaftlich traumhafte Land ist bislang vom Massentourismus verschont geblieben. Derweil kann man vom Drehkreuz Belgrad aus schnell und billig ganz Europa bereisen. Eine zweite Heimat werden dort am wahrscheinlichsten Menschen mit konservativem Gedankengut finden.

Die Einwanderung ist prinzipiell nicht kompliziert, obwohl das größte Land des Westbalkans weder in der EU noch Teil des Schengenraums ist. Die Visapolitik ist vergleichbar zu den osteuropäischen EU-Ländern. Deutsche Staatsbürger können problemlos 90 Tage am Stück bleiben.

Im Unterschied zu EU-Ländern muss jeder, der sich nach 90 Tagen offiziell dauerhaft anmelden möchte, entweder eine Firma gründen oder eine Immobilie erwerben, außerdem sind ausreichende finanzielle Mittel (Kontoauszug und Einkommensbeleg) und eine Krankenversicherung nachzuweisen. In Serbien angestellte Personen können über ihre Arbeit ein Visum bekommen. Eine weitere Option ist es, sich an einer Universität einzuschreiben. Die Aufenthaltserlaubnis ist in der Regel auf 1 Jahr beschränkt und muss dann verlängert werden. Sobald man mindestens 5 Jahre am Stück in Serbien gelebt hat, kann eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung beantragt werden.

Alternativ kann man auch versuchen, immer wieder auszureisen und danach wieder für 90 Tage einzureisen. Uns sind Fälle von Auswanderern bekannt, bei denen dies jahrelang so praktiziert wurde. Weil es dadurch aber zu Problemen bei den Immigrations-Behörden kommen kann, empfehlen wir diese Vorgehensweise auf Dauer nicht.

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.


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