Das Stammrestaurant hat weniger Tage in der Woche geöffnet, Firmen müssen Aufträge ablehnen, Roboter übernehmen mehr Aufgaben: das sind konkrete Folgen des Fachkräftemangels in Deutschland. Dieser erfasst nach einer Firmenumfrage längst die Breite der deutschen Wirtschaft. Jeder zweite Betrieb kann offene Stellen zumindest teilweise nicht besetzen, weil er keine passenden Arbeitskräfte findet. Das ergab der am Mittwoch vorgestellte neue Fachkräftereport der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK).
Die Fachkräftesituation bleibe trotz wirtschaftlicher Stagnation sehr kritisch, sagte der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. Die Personalengpässe zögen sich mittlerweile durch nahezu alle Branchen und Berufe. Für den Report wurden laut DIHK Angaben von mehr als 22 000 Unternehmen ausgewertet.
Viele offene Stellen bleiben unbesetzt
Am häufigsten fehlen laut DIHK beruflich Qualifizierte mit dualer Ausbildung. Am größten seien Stellenbesetzungsprobleme in Industriebetrieben, etwa im Werkzeugmaschinenbau, im Maschinenbau oder bei Herstellern elektrischer Ausrüstungen. Personalengpässe gibt es auch aber am Bau, in der Sicherheitswirtschaft, bei Reinigungsdiensten, Gesundheits- und Sozialdienstleistern.
Branchen, in denen vergleichsweise selten von Stellenbesetzungsproblemen berichtet werde, seien etwa Werbung und Marktforschung, die Immobilienwirtschaft und das Druckgewerbe. Allerdings resultiere das nicht in erster Linie daraus, dass Personal leicht zu finden sei, sondern aus dem im Vergleich eher geringen Personalbedarf.
Insgesamt bleiben laut DIHK nach einer aktuellen Schätzung 1,8 Millionen Stellen unbesetzt. Rechnerisch gingen dadurch mehr 90 Milliarden Euro an Wertschöpfung in diesem Jahr verloren. Das entspreche mehr als 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Die Arbeits- und Fachkräfteengpässe dürften wegen der demografischen Entwicklungen weiter zunehmen, so der DIHK. Es rücken weniger Jugendliche in den Arbeitsmarkt nach als ihn Ältere verlassen - rund 400 000 weniger pro Jahr.
Die Folgen des Fachkräftemangels
82 Prozent der Unternehmen erwarten laut Umfrage negative Folgen des Fachkräfte- und Arbeitskräftemangels. Diese kämen zu ohnehin aktuell erheblichen Herausforderungen und Unsicherheiten hinzu, wie etwa hohe Energiekosten. Konkrete Folgen sind: 16 Prozent der Unternehmen investieren laut Umfrage weniger in Deutschland. Der DIHK nannte das alarmierende Werte. Die Engpässe gefährdeten den Erfolg in wichtigen Schlüsseltechnologien.
Sechs von zehn Unternehmen sehen eine Mehrbelastung der vorhandenen Belegschaft. Knapp 60 Prozent der Firmen sagten, sie erwarteten steigende Arbeitskosten. Dercks sprach von einem «Arbeitnehmermarkt»: Im Zuge von Personalknappheiten steigen Gehälter, um Arbeits- und Fachkräfte zu gewinnen und zu halten - aus Sicht der Beschäftigen also eigentlich eine positive Entwicklung.
Vier von zehn Unternehmen erwarten laut DIHK, dass sie Aufträge ablehnen müssen und diese verlieren, weil dafür das nötige Personal fehlt - und dass sie ihr Angebot einschränken müssen. Das bedeutet also zum Beispiel verringerte Öffnungs- und Servicezeiten und längere Wartezeiten. Um den Fachkräftemangel zu verringern, erwartet fast jede vierte Firma eine verstärkte Digitalisierung, den Einsatz Künstlicher Intelligenz und von Robotern.
Was tun gegen Personalengpässe
«Bei großen Fachkräftelücken bestehen oft auch strukturelle Probleme wie schlechte Bezahlung und schlechte Arbeitsbedingungen», sagte Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds. «Für die Unternehmen heißt das: Wer Fachkräfte sucht, muss zuallererst für bessere Bedingungen und tarifliche Bezahlung sorgen. Auch für Aus- und Weiterbildung, mehr Beschäftigung von Frauen und Älteren, Integration von Arbeitslosen und attraktive Arbeitszeitmodelle können kluge Unternehmen etwas tun.»
Für die Ampel-Koalition gelte, politisch alles zu tun, um vorhandene Potenziale am Arbeitsmarkt besser auszuschöpfen. «Für Menschen, die es nicht auf den Arbeitsmarkt schaffen oder gerne arbeiten würden, aber nicht können, weil Familienangehörige gepflegt oder Kinder betreut werden oder das Aufenthaltsrecht Schwierigkeiten macht, müssen Hürden abgeräumt werden», so Piel. Auch eine Fachkräfteeinwanderung zu fairen und guten Bedingungen könne einen nachhaltigen Beitrag leisten.
Laut DIHK-Umfrage kommt es für 55 Prozent der Firmen in Betracht, Menschen aus sogenannten Drittstaaten einzustellen. Die Bundesregierung will die Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten mit dem neuen Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung erleichtern. «Es kommt entscheidend auf die Umsetzung an», sagte Dercks. So müssten Visaverfahren beschleunigt werden, es gebe monatelange Wartezeiten. Das gesamte Verwaltungsverfahren der Zuwanderung müsse digitalisiert werden.