Unternehmen

Wie Rheinmetall in Ungarn Europas Rüstungsindustrie stärken will

Lesezeit: 3 min
19.02.2024 15:00  Aktualisiert: 19.02.2024 15:00
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán ist für seinen nicht enden wollenden Kampf gegen Brüssel bekannt. Empört zeigten sich viele westliche Staatsleute, als Ungarn die bedingungslose Unterstützung für die Ukraine infrage stellten. Doch jetzt produziert Rheinmetall in Ungarn Panzer und Munition — und könnte so die europäische Rüstungsindustrie auf Vordermann bringen.
Wie Rheinmetall in Ungarn Europas Rüstungsindustrie stärken will
Ungarns Ministerpräsident Orban: Die Ansiedlung von Rheinmetall in Ungarn könnte die europäische Rüstungsindustrie befördern. (Foto: dpa)
Foto: Darko Vojinovic

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Rheinmetall und der Krieg in der Ukraine sind im öffentlichen Bewusstsein fast untrennbar miteinander verbunden. Die Rheinmetall Aktie profitiert maßgeblich von neuen Aufträgen, die von der Lieferung von Bausätzen bis zur Produktion hochmoderner Panzer reicht. Insbesondere der steigende Bedarf der NATO gibt dem Unternehmen einen präzedenzlosen Auftrieb. Denn ob Flugabwehr- oder Kampfpanzersystem — das Düsseldorfer Unternehmen produziert zuverlässig hochmoderne Rüstungsgüter, die eine zunehmende Nachfrage erfahren. Im Ukrainekrieg zeigt sich aber vor allem, dass es nicht an Qualität, sondern an Quantität fehlt. Während Russlands Truppen täglich bis zu 60.000 Artilleriegranaten verschießt, sind es bei den Ukrainern lediglich 6.000 bis 7.000. Um den Bedarf zu decken, bestellen die NATO-Mitglieder große Mengen an Munition bei den Marktführern für Artilleriemunition. Nach dem Spitzenreiter General Dynamics Corporation aus den USA ist die Rheinmetall AG der zweitgrößte Produzent für Artilleriemunition, wie aus einer Studie der Mordor Intelligence hervorgeht.

Fabrik in Ungarn

Um eine schnelle, zuverlässige und günstige Produktion zu gewährleisten, baut Rheinmetall eine große Munitionsfabrik in Várpalota am ungarischen Plattensee aus. Hier sollen Mittel- und Großkalibermunition gefertigt werden, ab 2026 auch für die Panzerhaubitze 2000. Im nahe der österreichischen Grenze gelegenen Zalagerszeg ging im Dezember zudem der erste ungarische Lynx Schützenpanzer vom Band. Das Rheinmetall KF41 System kann zur Flugabwehr und Truppenunterstützung genutzt werden. Laut Rheinmetall wird durch das hochmoderne Entwicklungs- und Fertigungszentrum in Westungarn das weltweite Rheinmetall-Produktionsnetzwerk maßgeblich gestärkt.

Da die US-Lieferungen nicht im versprochenen Tempo erfolgen und mit einer Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA die bisher großzügigen Hilfen für die Ukraine auf Eis gelegt werden könnten, wird die Nachfrage nach deutschen Rüstungsgütern innerhalb der EU mittelfristig stark steigen — was einen Bedeutungsgewinn für Rheinmetall und den Produktionsstandort Ungarn bedeuten dürfte. Doch warum soll ausgerechnet Ungarn zum Produktionsort westlicher Militärtechnik werden und somit maßgeblich zum weiteren Verlauf des Ukrainekonflikts beitragen?

Seit 2010 herrscht eine politische Eiszeit zwischen Budapest und Brüssel, welche nun dramatische Ausmaße annimmt. Die Financial Times berichteten jüngst über einen Plan der EU, Ungarns Wirtschaft zu sabotieren, sollte Budapest weiterhin Hilfen für die Ukraine blockieren. Ungarn gilt neben der Slowakei unter Fico als einer der russlandfreundlichsten Staaten des Wirtschaftsbündnisses. Auch die USA schalten sich ein. So wurde ein bilaterales Steuerabkommen zwischen Washington und Budapest kürzlich wegen mehrerer Bedenken aufgekündigt. Diese Bedenken legen nahe, dass Ungarn scheinbar ein westlicher Partner ist, parallel aber prorussische Politik betreibe. So konstatierte der US-amerikanische

Bottschafter David Pressman, Ungarn lebe in einer Fantasiewelt, in der es von hungarophoben Nachbarn umzingelt sei und von Westeuropa ausgebeutet werde. Infolgedessen würden russische Banken und Propagandakanäle in Ungarn hofiert und weiterhin Energie aus Moskau bezogen werden.

Die Errichtung von Rüstungswerken für Rheinmetall erscheint daher etwas irreführend, denn anstatt Waffen in die Ukraine zu liefern, werden diese in Ungarn produziert und dann, vermutlich über Käufer wie Deutschland, an die Front geliefert. Doch diese Hybris folgt einer Logik, die in Ungarn mittlerweile Konjunktur hat. So lockt das mitteleuropäische Land mit seinen günstigen Standort- und Personalkosten Unternehmen aus aller Welt an. Der chinesische Batteriebauer CATL siedelte sich in der Puszta an und trägt nun dazu bei, dass Ungarn zweitgrößter Produzent elektrischer Batterien weltweit werden könnte.

So fabriziert das Land westliche Rüstungstechnik von Rheinmetall, klassische Verbrennermotoren für Audi und VW, Batterien für Elektroautos von BYD und mehr. Zudem zieht es Investitionen von China an und engagiert sich als eines von wenigen Ländern der EU in der Initiative „Neue Seidenstraße“, baut grüne Energien nach Vorgabe der EU aus und setzt gleichzeitig auf russischen Atomstrom. Das Ziel scheint zu sein, möglichst viel Kapital aus dem Ausland abzuschöpfen und sich nicht von einem Partner abhängig zu machen, seien es Brüssel, Washington, Moskau oder Peking.

Bleibt Ungarn auf der Seite des Westens?

Judit Varga, die ehemalige Justizministerin Ungarns, betonte bei einem Besuch in Düsseldorf, dass Europas Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit eine Priorität in Ungarn darstellen und sie sich im Rahmen der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft 2024 für eine dynamische Zusammenarbeit einsetzen werde. Schon jetzt sei die Verbindung einhellig positiv, was sich etwa an den hohen Investitionen des Landes NRW von rund sechs Milliarden Euro in Ungarn und dem positiven Echo deutscher Unternehmer zeige. Denn in Ungarn investieren und ein Unternehmen aufzubauen, ist insbesondere für den deutschen Mittelstand lohnenswert. Günstige Energiepreise, niedrige Steuern, geringe Personalkosten und eine starke Infrastruktur und Bildung machen das Land zunehmend attraktiv, wie das Beispiel Rheinmetalls zeigt. Die durchweg schwierigen Konflikte Budapests mit Brüssel und Berlin sollten daher nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Ungarn ein günstiges Investitionsklima herrscht.

Orbáns widersprüchlich erscheinenden Schachzüge mögen von einer tiefen Verstrickung mit Moskau und Peking zeugen, doch spricht derzeit nichts dafür, dass diese Verbindungen auch Unternehmensinvestitionen wie die Rheinmetalls gefährden würden. So dürfte die Produktion von gepanzerten Fahrzeugen und Munition in Ungarn maßgeblich zur Rüstungsindustrie Europas und zum Kriegsverlauf in der Ukraine beitragen, auch wenn Budapest seine Nähe zu Moskau nicht aufgeben wird.

 

                                                                            ***

Virgil Zólyom, Jahrgang 1992, lebt in Meißen und arbeitet dort als freier Autor. Sein besonderes Interesse gilt geopolitischen Entwicklungen in Europa und Russland. Aber auch alltagsnahe Themen wie Existenzgründung, Sport und Weinbau fließen in seine Arbeit ein.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Zu Weihnachten Zukunft schenken

Gerade zu Weihnachten wünschen sich viele Menschen, etwas von ihrem Glück zu teilen und sich für diejenigen zu engagieren, die es nicht...

DWN
Technologie
Technologie Webasto-Geschäftsführung: „Der Einsatz von KI ist eine strategische Notwendigkeit“
22.12.2024

Angesichts des wachsenden Drucks durch die Transformation hin zur Elektromobilität und steigender Kosten in der Branche sprechen Markus...

DWN
Panorama
Panorama Vollgas in die Hölle: Arzt gab sich als Islamkritiker und Musk-Fan - wirr, widersprüchlich!
21.12.2024

Er galt bei den Behörden nicht als Islamist, präsentierte sich als scharfer Kritiker des Islams. Er kämpfte für Frauenrechte und...

DWN
Panorama
Panorama Magdeburg: Anschlag auf Weihnachtsmarkt - fünf Tote, 200 Verletzte - Verdächtiger ist verwirrter Islam-Gegner
21.12.2024

Einen Tag nach der tödlichen Attacke auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg sitzt der Schock tief. Erste Details zum Tatverdächtigen werden...

DWN
Immobilien
Immobilien Grundsteuer 2025: Alles rund um die Neuerung
21.12.2024

Ab Januar 2025 kommt die neue Grundsteuer in Deutschland zum Einsatz. Viele Hausbesitzer und künftige Käufer sind besorgt. Und das...

DWN
Immobilien
Immobilien Förderung jetzt auch für Kauf denkmalgeschützter Häuser
21.12.2024

Wer ein altes Haus kauft und klimafreundlich saniert, bekommt oft Hilfe vom Staat. Das gilt künftig auch für Denkmäler.

DWN
Politik
Politik So wollen die Schweiz und die EU enger zusammenarbeiten
21.12.2024

Die Schweiz ist nicht in der EU, aber es gibt etliche Abkommen. Doch die sind teils veraltet. Das soll sich nun ändern. Was bedeutet das...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Eine Erinnerung an ausreichend Risikokontrolle
21.12.2024

Die vergangene Woche brachte einen deutlichen Ausverkauf an den Aktienmärkten, der von Experten als gesunde Entwicklung gewertet wird....

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Kampf gegen Monopole: Europas Schlüsselrolle im Kampf gegen Big Tech und für den Klimaschutz
21.12.2024

Teresa Ribera steht vor einer gewaltigen Herausforderung. Die sozialistische Vizepremierministerin Spaniens wurde im September von der...