Oberflächlich betrachtet können die jüngsten politischen Entscheidungen wie ein Widerspruch wirken. Auf der einen Seite gibt es in Kürze Erleichterungen für Einwanderer, während auf der anderen Seite über Kürzungen für bereits eingewanderte Flüchtlinge nachgedacht wird. Deutschland braucht Arbeitskräfte und in Zukunft, durch die in Rente gehenden Baby-Boomer-Jahrgänge, umso mehr. Hinzu kommen Fachkräftemangel und geringe Geburtenraten, welche die Situation noch verschärfen.
Der Mittelstand und die Wirtschaft an sich sind auf Personal angewiesen. Doch Deutschland ist laut Studien ein unattraktives Land für hochqualifizierte Fachkräfte. Nicht nur die schwere Sprache schreckt viele ab, es sind auch die vorhandenen bürokratischen Hürden und Hemmnisse sowie ein schwieriger Wohnungsmarkt in Großstädten. All dies hält Talente im außereuropäischen Ausland davon ab, nach Deutschland zu kommen. Daher wundert es nicht, dass die jüngste Kampagne des Integrationsbeauftragten der Bundesregierung im Kurznachrichtendienst X darauf abzielte, den Wirtschaftsstandort Deutschland auch in arabischer Sprache zu bewerben. Der Tweet wurde auf der X-Seite des regionalen Deutschlandzentrums des Auswärtigen Amts in Kairo veröffentlicht.
Kritiker befürchten noch mehr illegale Einwanderer
Konkret geht es um das neue Staatsangehörigkeitsgesetz, welches ab Ende Juni dieses Jahres in Kraft treten soll. Das neue Staatsbürgerrecht wird im Nachrichtendienst X mit den Worten angepriesen „für alle, die Deutsch werden wollen.“ Die Werbung für Migrantinnen und Migranten ging daraufhin Politikern von CSU und CDU zu weit. Einige, vor allem illegale Einwanderer, könnten es missverstehen und es als Einladung sehen, nach Deutschland zu kommen, ist die Befürchtung der Kritiker. Zumal es bereits zuvor Bedenken bezüglich der vorteilhaften Behandlung von Flüchtlingen gab. Es bleiben in Erinnerung die Rede von CDU-Chef Friedrich Merz, der bezüglich Zahnarztleistungen eine Benachteiligung bei den eigenen Landsmännern gegenüber abgelehnten Asylbewerbern sieht.
Die Neuregelungen des anstehenden Gesetzes sehen vor allem folgende Änderungen vor: Die für eine Einbürgerung erforderlichen Zeiten des Aufenthalts in Deutschland verkürzen sich von acht auf fünf Jahre. Unter bestimmten Voraussetzungen lässt sich diese Zeit auch auf drei Jahre verkürzen. Die eigene Staatsangehörigkeit muss nicht mehr für den deutschen Pass aufgegeben werden. Das dürfte der restriktiven Flüchtlingspolitik der AFD, die unter anderem auf die innere Sicherheit Deutschlands hinzielt, alles andere als entgegenkommen. Unkontrollierte Zuwanderung erhöhe die Risiken für Terrorismus und Kriminalität ist ihr Mantra. Auch eine erhebliche Zuwanderung in das deutsche Sozialsystem, welches als zu großzügig angesehen wird, ist ein gerne gesehenes Argument gegen Zuwanderer.
Auf der anderen Seite debattiert der Staat über Leistungskürzungen für Geflüchtete und ändert bereits die Regeln. Erst im Januar reichte die CDU/CSU-Fraktion einen Antrag mit dem Titel „Leistungen für Asylbewerber senken – Rechtliche Spielräume nutzen“ im Bundestag ein. Der Kurswechsel wurde bereits durch die Änderung des Geltungszeitraums des Asylbewerbergesetzes von 18 auf 36 Monate eingeläutet. Dies bedeutet, dass sich der Zugang zu den vollen Sozialleistungen für Geflüchtete künftig deutlich erhöht. Dies führe dazu, dass Leistungen zur Gesundheitsversorgung für Schutzsuchende im Schnitt erst ein Jahr später erfolgen. Gleich drei neue Studien des Instituts für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW) Berlin geben Klarheit darüber, dass es für den Staat keine großen Einsparungen bedeutet, wenn Sozialleistungen für Geflüchtete gekürzt werden.
Spätere Leistungen bedeuten höhere Kosten
Traumatisierte Flüchtlinge mit psychischen oder körperlichen Belastungen, kämen künftig erst in zwei oder drei Jahren an Hilfe, eine Verzögerung, die dem Staat am Ende teurer zu stehen käme, so die Experten. Dass die Gesundheitsprobleme unbehandelt mit der Zeit eher zunehmen, führe dazu, die Kosten des Gesundheitssystems langfristig stärker zu strapazieren. Zu einer Verschlechterung des Gesundheitssystems tragen auch andere Hürden bei, so die Autoren der Studien.
In den meisten Kommunen benötigen Geflüchtete für einen Arztbesuch einen Behandlungsschein des Sozialamts. Sie scheitern in manchen Fällen an fehlenden Sprachkenntnissen oder mangelndem Wissen, um sich ein Schein zu organisieren. Das verschlechtere ihren Gesundheitszustand und führe zu steigenden Kosten. Darüber hinaus bedeuten die Behandlungsscheine der Sozialbehörde einen Verwaltungsaufwand und zusätzliche Ausgaben. Nur in sechs Bundesländern gibt es bisher eine elektronische Gesundheitskarte für Geflüchtete, die ihnen den Weg zum Arzt gewährt. Hamburg bietet solch eine digitale Karte bereits an. Eine Studie zeigt, dass dadurch jedes Jahr mehr als 1,6 Millionen Euro Verwaltungskosten eingespart werden können.
Eine weitere Studie beleuchtet die Hilfe bei der Arbeitssuche von Geflüchteten. Hier gaben 40 Prozent der Befragten an, die benötigte Hilfe nicht erhalten zu haben. Auch bei Asylfragen blieben sie unbeholfen und bei der Anerkennung von Bildungsanschlüssen hätte sich ein Viertel der Befragten ebenfalls mehr Unterstützung gewünscht. Besonders Geduldete oder Personen im Asylverfahren erhalten seltener Hilfe als Personen mit anerkannten Aufenthaltsstatus oder mit einem Bildungsabschluss aus dem Herkunftsland. Dies jedoch führt zu ungleichen Startbedingungen und benachteiligt Personen ohne diese Ressourcen wie bspw. geflüchtete Frauen oder junge Menschen.
Forderungen für eine Asylwende
Marcel Fratzscher, Präsident im Vorstand des DIW, sieht einen gefährlichen Kurs der Politik im Umgang mit Flüchtlingen. Statt mangelnde Unterstützung und Beschneidung der Leistungen, sollten die Verantwortlichen genau das Gegenteil tun. Allen Flüchtlingen einen guten Zugang zu den notwendigen Leistungen einräumen, damit diese die bestmöglichen Chancen auf eine erfolgreiche Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft haben. Bereits länger wird eine Asylwende gefordert, wobei es darüber unterschiedliche Auffassungen gibt.
Aktuell scheint die Migrationspolitik ungerecht und in einer Schieflage zu sein. Integration führt in manchen Fällen entgegen dem, was Deutschland gerade braucht, zu einer leichteren Abschiebung. Immer wieder gibt es Fälle von integrierten Flüchtlingen, die trotz Deutschkenntnisse und Ausbildungsnachweis abgeschoben werden. Dass etwas getan werden muss, um eine gute Integration zu ermöglichen, zeigt auch die jüngste Kriminalstatistik. Die Zahl der Straftaten ist im vergangenen Jahr um 5,5 Prozent gestiegen. Nach dieser habe auch die Zahl der von Ausländern begangenen Straftaten zugenommen. Von den 2,246 Millionen Tatverdächtigen besaßen 923.269 (41 Prozent) keinen deutschen Pass.
Eine Neuausrichtung der Asylpolitik ist mehr als überfällig.