In Zeiten zunehmender Globalisierung und wachsendem Wettbewerbsdruck stehen Unternehmen vor der Herausforderung, den optimalen Standort für ihre Geschäftstätigkeit zu wählen. Doch trotz Deutschlands Ruf als Wirtschaftsmotor Europas sehen sich viele Unternehmen mit einer Reihe von Hindernissen und Herausforderungen konfrontiert, die den Standort zunehmend unattraktiv machen. Von bürokratischen Hürden über steigende Energiekosten bis hin zum Fachkräftemangel – dies alles spiegelt sich in der aktuellen Bewertung der Standortattraktivität Deutschlands wider.
Deutschland ist als Standort für Unternehmen derzeit so unattraktiv wie nie zuvor. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Bundesrepublik im Ranking weiter abgerutscht. In einer Umfrage des ifo-Instituts unter Wirtschaftsexperten erreicht Deutschland bei der Standortattraktivität für einheimische Firmen nur 61,3 von 100 möglichen Punkten und liegt damit im europäischen Mittelfeld hinter Österreich (72,4) und der Schweiz (72,6).
Das hat negative Auswirkungen auf die Wirtschaftsaktivität. In der neuesten IWF-Wachstumsprognose belegen wir den letzten Platz unter allen Industriestaaten. Die Kündigungswellen in der Großindustrie und deren Zulieferern häufen sich und im gesamten Mittelstand rumort es.
Es besteht dringender Handlungsbedarf. Das ist zusammenfassend das Ergebnis der ifo-Studie. Denn die Akkumulation mangelnder Rahmenbedingungen führt aktuell zu einer Abwärtsspirale. Ob Regulierung, Bürokratie, Steuern, Energiekosten, Infrastruktur, Digitalisierung, Fachkräftemangel, Bildungspolitik oder übergeordnet die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, alles bedarf einer Überholung und Neuausrichtung. Die Vernachlässigung der unterschiedlichen Handlungsfelder in den vergangenen Dekaden kommt nun wie ein Bumerang zu uns zurück. Es sind große und kostenintensive Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. 78 Prozent der befragten deutschen Experten meinen, der Wirtschaftsstandort sei in den letzten 10 Jahren unattraktiver geworden. 48 Prozent erwarten sogar eine weitere Verschlechterung. Das sind keine guten Aussichten. Dazu fehlt ein wenig das Vertrauen und die Zuversicht in die aktuelle Politik.
Überregulierung und Bürokratie
Ein Hauptkritikpunkt betrifft die Regulierungen und die bürokratischen Hindernisse. Allein die deutschen Arbeitsmarktregulierungen, wie Tarifverträge, Arbeitszeitgesetze oder Mindestlohnvorschriften können Unternehmen in ihrer Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit einschränken. Doch auch der Verwaltungsaufwand durch die komplexen Steuergesetze stellt insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen eine Belastung dar. Hinzu kommen arbeitsrechtliche Regulierungen, die bei Missachtung zu rechtlichen Risiken für Unternehmen führen können. Alles in allem wird es den Unternehmen in Deutschland nicht leicht gemacht.
Diese Ergebnisse fördern auch andere Studien zutage. Das Internationale Standortranking der Managementhochschule IMD in Lausanne bilanziert Deutschland ebenfalls eine negative Entwicklung seiner Wettbewerbsfähigkeit in den vier Subkategorien ökonomische Leistungsfähigkeit, Infrastruktur, Effizienz des Regierungshandelns sowie Leistungsstärke der Unternehmen.
Doch es muss unterschieden werden. Nach Einschätzung der Experten gibt es einen Unterschied zwischen der Standortattraktivität für nationale Unternehmen und für internationale. Für hiesigen Unternehmen bescheinigen sie deutlich besser Noten. So sehen sie die Attraktivität des Standorts bei 60-70 Prozent. Für internationale Unternehmen liegt ihre Bewertung nur bei 40 bis 50 Prozent auf der Skala. Ganz anders als die Schweiz, dessen Attraktivität für Unternehmen bei 70 bis 80 Prozent gesehen wird. Knapp 50 Prozent der deutschen Befragten sehen die Attraktivität Deutschlands durch die (mangelnde) Digitalisierung, Energie und Ressourcen sowie den Fachkräftemangel gefährdet. Steuern und infrastrukturelle Aspekte führen noch rund 20 Prozent der Expertinnen und Experten als Hemmnisse ins Feld.
Argumente für den Standort Deutschland
Es stellt sich schnell die Frage, wo die positiven Aspekte bleiben. Was kann auf der anderen Seite in die Waagschale geworfen werden? Bildung und Humankapital gelten als positive Einflussfaktoren, auch mit über 60 Prozent politische Institutionen. Trotz der insgesamt überwiegenden düsteren Prognosen gibt es sie weiterhin, die Unternehmen, die an den Wirtschaftsstandort Deutschland festhalten. Nicht zuletzt deshalb, weil Deutschland bei Zukunftstechnologien weltweit ganz vorne mit dabei ist.
René Ruhland, Gründer und Geschäftsführer von Myposter ist einer dieser Befürworter des heimischen Standorts. „Unsere Unternehmensgruppe ist stark von Software geprägt und auf Technologie gegründet worden. Wir legen großen Wert auf den Standort Deutschland, der für uns nicht nur für die Produktion von enormer Bedeutung ist. Wir produzieren bewusst ausschließlich in unserem Land. Mit unserer führenden hauseigenen Software können wir nicht nur international mithalten, sondern auch Maßstäbe setzen. All unsere Produktionsanlagen in Deutschland nutzen unsere maßgeschneiderte Softwarelösung, die es uns ermöglicht, effizienter zu arbeiten und innovative Produkte schneller auf den Markt zu bringen. Die reine Produktion von Produkten wie Fotobüchern oder Kalender wäre natürlich woanders um ein Vielfaches günstiger. Unser Anspruch ist es, stets an der Spitze der Technologie zu stehen und technologisch immer besser zu werden. Dieser Anspruch erstreckt sich über die nahtlose Verbindung zwischen den physischen Maschinen bei uns und den digitalen Benutzeroberflächen bei den Kunden hinaus. Daher ist die räumliche Nähe zu unseren Produktionsstätten von entscheidender Bedeutung, um eine reibungslose Integration und optimale Leistung unserer Systeme sicherzustellen“, begründet er seine Entscheidung.
Doch einzelne Unternehmen reichen nicht für das große Vorwärtskommen. Gerade erst wurden die ifo-Investitionserwartungen der Unternehmen in Deutschland veröffentlicht. Sie fielen auf -0,1 Punkte. Fast in allen Branchen fand eine Korrektur nach unten statt. Auffallend stark dabei die Automobilhersteller. Sie haben ihre Investitionserwartungen für das Jahr 2024 von 34,0 Punkten im November 2023 auf nur noch 1,3 Punkte im März 2024 gesenkt. Nur beim Maschinenbau sieht es umgekehrt aus. Von -0,2 Punkte stiegen die Erwartungen auf 7,5 Punkte. Es bleiben zu viele offene Punkte, die als Katalysator wirken könnten, wie zum Beispiel genügend Fachkräfte, um den Bedarf an Aufträgen zeitnah gerecht zu werden.
Ruhland berichtet diesbezüglich entgegen vieler anderer von positive Erfahrungen. „Unsere technologische Vorreiterrolle führt zu sehr komplexen Herausforderungen. Wir benötigen hochqualifizierte Talente, die in der Lage sind, innovative Lösungen zu entwickeln und umzusetzen. Diese Talente finden wir hier in Deutschland und wir können sogar Menschen aus dem Ausland für uns begeistern, weil wir so viel mehr sind als ein Produzent.“
Es mangelt an kollektiver Zuversicht
Unternehmen müssen begeistern in schwierigen Zeiten, Ruhland weiß anscheinend erfolgreich, wie es geht. In nur wenigen Jahren hat er gemeinsam mit seiner Frau und seinem Bruder aus einem kleinen Startup ein florierendes mittelständisches Unternehmen erschaffen. 350 Mitarbeiter in neun Märkten und an zwei eigenen Produktionsstandorten in Deutschland bearbeiten täglich bis zu 15.000 Bestellungen an digitalen Druckerzeugnissen. 40 Entwickler arbeiten dafür und nutzen die neueste Hard- und Software. Groß geschrieben wird auch der Bereich Weiterbildung im Unternehmen von Ruhland. Im zweiwöchentlichen Jour Fixes tauschen sich die Tech-Teams zu aktuellen Entwicklungen, Tools, Standards und anderem aus. In der eigenen Myposter Academy stellen sich die Softwareentwickler regelmäßig gegenseitig Themen aus den Grundlagen der Informatik vor.
Innovation, Agilität und Leistungsanspruch sind Begriffe, die myposter erfüllt und es zeigt sich, dass es funktionieren kann. In einem Land, welches eigentlich die besten Voraussetzungen haben könnte, braucht es mehr solcher Unternehmen, die trotz äußerer schwieriger Rahmenbedingungen für sich selbst die Maßstäbe definieren, um ganz vorne mit dabei zu sein. Und es braucht Nachahmer, die sich nicht abschrecken lassen und noch mehr die Mentalität „geht nicht, gibt’s nicht!“ leben. Es braucht Mut für Veränderung, allerdings braucht es auch ein positiveres gesellschaftliches Mindset. Mehr „Wir schaffen das!“- Attitüde neu und im Wirtschaftskontext gedacht, wäre wünschenswert.
Wenn die Politik dazu den Bürokratieabbau unterstützt, Investitionen in die Infrastruktur und bei der Digitalisierung tätigt, eine Erleichterung der Arbeitsmigration vorantreibt und noch die eine oder andere Hausaufgaben erledigt, dann könnte die ehemalige Wirtschaftswunder-Nation wieder auferstehen.