Um den Wirtschaftsstandort Deutschland ist es bekanntlich nicht mehr allzu gut bestellt. In der IWF-Wachstumsprognose belegt man den letzten Platz unter allen Industriestaaten. Im aktuellen Jahresbericht der Stiftung Familienunternehmen beschreiben Experten, wie der Standort Deutschland und damit unsere gesamte Wirtschaft wieder erheblich an Dynamik gewinnen kann.
Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, fasste die Ergebnisse der Studie wie folgt zusammen: „Deutschland braucht eine wirtschaftspolitische Strategie zur mittelfristigen Stärkung der Angebotskräfte. Mehr Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, Entlastungen von Steuern und Bürokratie für private Investitionen und Reformen im Steuer- und Abgabensystem, damit Erwerbsarbeit sich lohnt, weniger kleinteilige und dirigistische Klima- und Umweltpolitik und nicht zuletzt ein Ausbau des Energieangebots in Deutschland“. Im Einzelnen geht es dabei um folgende Maßnahmen:
Bürokratieabbau und Reform der Unternehmenssteuern
Die deutsche Wirtschaft hat jährlich Bürokratiekosten in Höhe von 65 Milliarden Euro zu tragen. Durch den im März verabschiedeten vierten Gesetzentwurf zum Bürokratieentlastungsgesetz sollen die Unternehmen um circa 944 Millionen Euro entlastet werden. Nach dem Entwurf müssen künftig dann auch Buchungsbelege nur noch 8 statt 10 Jahre aufbewahrt werden. Allerdings sind die verabschiedeten Maßnahmen aus Sicht der Unternehmen nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, der ihnen keinerlei spürbare Entlastung bringt.
Die wirklichen Probleme im deutschen Bürokratie-Dschungel bleiben beim Entlastungsgesetz unbeachtet und es kommen fortlaufend wieder neue Vorschriften hinzu. Notwendig wäre ein umfassender Bürokratieabbau und eine Reform der Unternehmensbesteuerung, die private Investitionen von Unternehmen stärken könnte. Wichtige Maßnahmen könnten hier beschleunigte Abschreibungen und eine Förderung von Risikokapitalmärkten für Unternehmensgründungen sein.
Um den Fortbestand von Familienunternehmen zu sichern und einen Ausverkauf an ausländische Investoren zu verhindern, müssen ferner bessere Rahmenbedingungen für die nächste Generation geschaffen werden. Eine wichtige Maßnahme wäre hierbei eine für Familienunternehmen freundliche Ausgestaltung der Erbschaftssteuer, so die Autoren des Berichts.
Arbeitsmarkt attraktiver machen
Der Arbeitsmarkt braucht neue Anreizsysteme. Durch den demografischen Wandel, bei dem die Babyboomer jetzt bald in Rente gehen und die jüngere Generation diese Lücke nicht füllen kann, fehlen überall Fachkräfte. Laut Ifo-Präsident Fuest müssten die verschiedenen Sozialtransfers wie Bürgergeld und Kindergeld besser abgestimmt werden, um Erwerbsanreize zu schaffen. Sanktionen für Bürgergeldempfänger könnten hierbei eine Maßnahme sein, um zu gewährleisten, dass Menschen, die arbeiten können, auch wirklich arbeiten.
Auch eine Reform der Einkommensteuer könnte wichtige Impulse für den Arbeitsmarkt bringen. Die hohe Inflation als kalte Progression sorgt für eine überproportionale Steuerbelastung. Aus diesem Grund werden bereits Steuerentlastungen für die Bürger durch das Finanzministerium geplant.
Ein weiterer wichtiger Hebel sei eine einfachere Integration von Zuwanderern in den Arbeitsmarkt, so der Ifo-Präsident. Das gerade verabschiedete Fachkräfteeinwanderungsgesetz sei dabei zwar ein erster Schritt, der jedoch noch nicht ausreiche. Es sei zu bürokratisch und viele weitere Bedingungen in Deutschland seien für qualifizierte Zuwanderer nicht attraktiv genug.
Digitalisierung vorantreiben und Infrastruktur ausbauen
Die voranschreitende Digitalisierung von Unternehmen und auch Behörden soll eine bürokratische Entlastung ermöglichen, dafür ist der Glasfaserausbau ein wichtiger Faktor. Dieser kommt jedoch nicht schnell genug voran. Beim derzeitigen Ausbautempo könnte es nach Expertenmeinung noch fast zwei Jahrzehnte dauern, bis ein Großteil der Kunden auch wirklich das Netz nutzen kann. Auch wollen viele Verbraucher die hohen Kosten für den Anschluss nicht tragen. Eine Glasfaserförderung für Haushalte, analog der Förderung für Elektroautos, könne hier Abhilfe schaffen, so ein Telekommunikationsexperte.
Energieversorgung stabilisieren und sichern
Die ausgefallenen Gaslieferungen aus Russland mit Beginn des Ukraine Krieges haben der deutschen Wirtschaft schwer zu schaffen gemacht – Gasmangel und hohe Energiepreise brachten viele Unternehmen in schwere Bedrängnis. Energieintensive Unternehmen fuhren die Produktion zurück und haben sich bislang auch noch nicht erholt. Der Wirtschaftsstandort Deutschland hat für energieintensive Branchen bereits dauerhaft an Attraktivität eingebüßt.
Nach Meinung von Fuest muss sich Deutschland deshalb beim Energieangebot engagieren und sich auch breiter aufstellen. Insbesondere im Bereich der erneuerbaren Energien seien Maßnahmen erforderlich, wie etwa eine schnellere Baugenehmigung für Windräder, für die heute noch bis zu zwei Jahre benötigt werden. Auch müssten mehr geeignete Flächen erschlossen werden.
Produktivität verbessern
Deutschlands Produktivität stieg zuletzt nur noch um weniger als ein Prozent im Jahr. Dies ist ein strukturelles Problem, das die anhaltende Wirtschaftsschwäche verschärft. Durch den Einsatz von neuen Technologien und eine Förderung von Innovationen sowie Forschung und Entwicklung kann die Produktivität wieder gesteigert werden.
Wichtig sind dabei auch Unternehmensneugründungen, die durch Reformen einfacher und unbürokratischer gestaltet werden können. Auch eine Stärkung des Mittelstandes ist eine wichtige Maßnahme, so Fuest. Alleine die Hidden Champions, also mittelständische Unternehmen, die in einer speziellen Nische Marktführer sind, beschäftigen über eine Million Menschen in Deutschland. Sie alleine hätten bereits „ein erhebliches, volkswirtschaftlich relevantes Potenzial“, so Fuest weiter. Außerdem gäbe es in Deutschland noch viele weitere Unternehmen, die zu einem Hidden Champion aufsteigen könnten. Hierfür müssten jedoch die grundlegenden Bedingungen für das Unternehmertum verbessert werden, schreibt Fuest in seiner Analyse.
Exporte ankurbeln
Die deutschen Exporte waren im vergangenen Jahr rückläufig und sanken nach den vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes um 1,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Insbesondere auch die Kernindustrien im Automobil- und Maschinenbausektor erwarten auch weiterhin sinkende Exporte. Laut Fuest müssen hier neue Außenhandels-Abkommen vorangetrieben werden, wie zum Beispiel das Projekt Mercosur. Durch dieses Abkommen würde eine der größten weltweiten Freihandelszonen zwischen Südamerika und der Europäischen Union entstehen, die Europa auch unabhängiger von China machen könnte.
Staatsfinanzen überdenken und neu aufstellen
Für den kommenden Bundeshaushalt 2025 sieht Fuest Reformbedarf, der eine Umschichtung der Budgets für notwendig hält. Insbesondere die Bereiche Infrastruktur, Verteidigung und Bildung bräuchten eine stärkere Priorisierung. Auch hält er die sozialen Sicherungssysteme für reformbedürftig. Deutschland sei auf das Altern der Gesellschaft nicht ausreichend vorbereitet. Ein neuer Tragfähigkeitsbericht der Bundesregierung weist einen zukünftigen Fehlbetrag von bis zu 194 Milliarden Euro aus. Ansätze könnten eine Koppelung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung sein. Das aktuelle Rentenpaket der Bundesregierung sei nicht ausreichend, um die Rentenlücke zu schließen und die Rentenlücke könnte sich noch weiter vergrößern. Auch eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters wäre eine Lösung, erklärt Fuest.