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Gewaltfreie Kommunikation bei Bosch: Wie Empathie die Unternehmenskultur stärkt

Lesezeit: 5 min
02.06.2024 10:00
Bosch, DM-Drogeriemarkt, Bayer, BASF und Vaude sind Unternehmen, die alle etwas gemeinsam haben: Sie nutzen gewaltfreie Kommunikation (GFK) als Teil ihrer Unternehmenskultur und setzen Maßnahmen davon in ihren Arbeitsabläufen um. Das verringert auch das Konfliktmanagement. Interview mit Ebru Scharfe, Kommunikationsmanagerin bei Bosch.
Gewaltfreie Kommunikation bei Bosch: Wie Empathie die Unternehmenskultur stärkt
Andrea Güsewell (li.) und Ebru Scharfe setzen sich für gewaltfreie Kommunikation bei Bosch ein. (Foto: Bosch)

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Das Einsetzen von „Gewaltfreier Kommunikation“ fördert Vertrauen, Respekt und die Zusammenarbeit innerhalb der Belegschaft, denn im Kontakt mit Vorgesetzten, Kollegen, Mitarbeitern oder Kunden können überall Kommunikationsprobleme auftreten. Nimmt die Arbeitsbelastung zu, dann kann auch mal schnell etwas aus dem Ruder laufen. Laut Gallup und KPMG werden 15 Prozent der Arbeitszeit täglich für Konfliktmanagement genutzt. 30-50 Prozent der Arbeitszeit verbringen Führungskräfte wöchentlich damit, Konflikte in Unternehmen zu lösen.

Die Grundidee der Gewaltfreien Kommunikation, entwickelt von Marshall B. Rosenberg, liegt in der Schaffung eines empathischen Verständnisses zwischen den Gesprächspartnern. Und zwar, indem sie sich auf die tiefsten Bedürfnisse und Emotionen konzentriert, die jeder von uns in jedem Austausch mit anderen Menschen erlebt. Dabei geht es nicht nur darum, was wir sagen, sondern auch wie wir es sagen und wie wir auf das Gesagte reagieren.

Unternehmen und Organisationen können von GFK profitieren, zumal 83 Prozent der Beschäftigten eine geringe (68 Prozent) oder keine (15 Prozent) emotionale Bindung zu ihrem Unternehmen aufweisen. Dies wiederum ist auf Ursachen wie innere Kündigung oder Burnout zurückzuführen. Ungelöste Kommunikationsprobleme spielen generell eine zentrale Rolle für eine niedrige Mitarbeiterzufriedenheit in Unternehmen. Auch andere Konzepte wie das „Servant Leadership“, „Feel Good Management“ oder das agile Arbeiten lehnen sich an die Prinzipien der gewaltfreien Kommunikation an, auch wenn sie das Konzept nicht direkt benennen. Krankenkassen wie IKK-Classic sind dazu übergegangen, das Modell „Gewaltfreie Kommunikation“ als Präventionsmaßnahme im Gesundheitswesen anzuerkennen.

Die Robert Bosch GmbH gehört als viertgrößter Arbeitgeber in Deutschland zu den Wirtschaftsunternehmen, die GFK im Unternehmen fördern und unterstützen. Ebru Scharfe ist Kommunikationsmanagerin bei Bosch und im Führungsteam der GFK-Gruppe dabei.

DWN: Können Sie uns vorab uns ein paar Fakten zu GfK bei Bosch geben? Seit wann gibt es GFK bei Bosch? Wie fing alles an?

Ebru Scharfe: 2018 haben sich erstmals acht Kolleginnen und Kollegen in einem Workshop zu gewaltfreier Kommunikation getroffen, der im Rahmen unseres Weiterbildungsprogramms zu selbstgesteuertem Lernen angeboten wird. Zwei Jahre später, im Februar 2020, haben dann sechs Kolleginnen und Kollegen die Initiative ergriffen und die „Nonviolent Communication Community NVC@Bosch“ auf unserer firmeninternen Social-Plattform gegründet. Gerade noch rechtzeitig vor der Pandemie, sodass wir uns darüber vernetzen und austauschen konnten.

DWN: Wie ist diese Einheit aufgebaut? Wie viele Mitarbeiter kümmern sich um GFK im Unternehmen?

Ebru Scharfe: Wir sind eine organisch gewachsene Graswurzelinitiative. Wir wollen Menschen helfen, selbstständiger und eigenverantwortlicher zu handeln, auch in schwierigen Situationen. Wir sind selbstorganisiert und allein durch das Interesse und das Engagement unseres 16-köpfingen Kernteams geleitet. Wir kommen aus verschiedenen Funktionen und Geschäftseinheiten und sind teilweise zertifizierte Coaches, Team-Entwicklerinnen oder -Entwickler, die ihre unterschiedlichen Expertisen einbringen. Sogar ein ehemaliger Kollege unterstützt uns noch mit seiner Expertise als Heilpraktiker für Psychotherapie und systemischer Coach. Inzwischen haben wir über 1.500 Mitglieder in der NVC@Bosch Community, die unsere Angebote nutzen. Es ist nichts verpflichtend, alles ist freiwillig.

DWN: Welche Angebote gibt es im Rahmen der GFK für die Mitarbeiter und wie werden sie angenommen?

Ebru Scharfe: Wir haben regelmäßige Angebote für Einsteiger und Fortgeschrittene, Einführungsseminare und Jahrestrainings, aber auch Dyaden-Arbeit zu empathischem Zuhören. Zudem bieten wir Sessions für Eltern und Führungskräfte an und sogar eine ad-hoc Empathie-Hotline, die bei Bedarf angerufen werden kann.

Zu den Kernangeboten hat sich zusätzlich rund um GFK ein engagiertes und vielfältiges Ökosystem entwickelt. Kolleginnen und Kollegen können so eine Vielzahl weiterer Angebote nutzen: vom Einsatz von Hypnose im Business zur Nutzung des Unterbewusstseins bis hin zu Embodiment-Workshops als ganzheitliches Angebot. Zudem haben unsere Mitglieder die Möglichkeit, sich interaktiv über unsere Blogposts auszutauschen und zu vernetzen.

Unsere Angebote sind online und für alle Mitarbeitenden zugänglich – standortübergreifend und Hierarchie-unabhängig. Wir dokumentieren umfassend und teilen unsere Literaturlisten, Lernmaterialien, einschließlich Gefühl- und Bedürfnislisten zum Thema GFK. Zusätzlich stellen wir ausgewählte Schulungsausschnitte und Präsentationen bereit.

Aufgrund meines eigenen Migrationshintergrunds ist mir der interkulturelle Ansatz besonders wichtig. Daher freue ich mich sehr über unsere zwei englischsprachigen Gruppen für internationale Mitarbeitende. Ich selbst leite eine türkische Gruppe, die ich unmittelbar nach dem verheerenden Erdbeben in Südostanatolien im Februar 2023 als Dialogkreis gegründet habe. Mittlerweile nehmen daran türkischsprachige Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland sowie aus unseren Standorten in Schweden, Ungarn und der Türkei teil.

DWN: Sehen Sie seit der Einführung von GFK einen Wandel im Kommunikationsverhalten der Mitarbeiter? Sind die Maßnahmen messbar?

Ebru Scharfe: Die Messbarkeit unserer Erfolge ist noch schwierig, aber wir erhalten individuelles Feedback und haben einen Überblick darüber, was die Mitarbeitenden an den Sessions schätzen und wie diese ihr Leben beeinflussen. Es gibt starke Aussagen, wie Konflikte gelöst werden konnten und dass die Sessions so motivierend sind, dass sie manchen sogar helfen, morgens gerne aufzustehen, weil sie wissen, dass eine GFK-Session ansteht.

DWN: Wie sieht eine Strategie zur Konfliktlösung bei Bosch konkret aus? Können Sie uns ein Beispiel geben?

Ebru Scharfe: Zunächst sollten die Mitarbeitenden einen Konflikt mit der Führungskraft besprechen, alternativ mit der Personalabteilung, der Sozialberatung und dem Betriebsrat. Natürlich alles im Vertrauen. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, sich innerhalb der GFK-Community Unterstützung zu suchen, in dem man das GFK-Kernteam direkt kontaktiert und in einem Austauschgespräch die nächsten Schritte bespricht: Wie wird die Situation objektiv beschrieben? Wie sind die Gefühle? Welche Bedürfnisse stehen dahinter? Ein zentrales Element dabei ist, das eigene Bedürfnis klar zu erkennen und auch die Perspektive der beteiligten Parteien objektiv zu verstehen. Diese Haltung führt oft zu einer Lösung des Problems, manchmal auf ganz überraschende Weise.

DWN: Konfliktlösung gehört zu den Softskills, die besonders von Führungskräften erwartet wird. Wie nutzen Führungskräfte bei Bosch die Prinzipien der gewaltfreien Kommunikation?

Ebru Scharfe: Wir bieten auch speziell für Führungskräfte entwickelte Sessions an. In diesen Sessions erleben die Führungskräfte Empathie und lernen eine wohlwollende Feedback-Kultur kennen. Nach dem humanistischen Ansatz wird besprochen, wer welche Bedürfnisse hat, anstatt das Dominanzprinzip anzuwenden. Dabei gilt: Ich beurteile und verurteile dich nicht. Ich weiß es auch nichts besser und muss nicht sofort als Chef eine Lösung haben. Ich darf darauf vertrauen, dass es eine Lösung geben wird, wenn ich als Führungskraft einen kreativen und wertfreien Raum öffne.

DWN: Wie viele Konflikte werden durch Sie wöchentlich/monatlich gelöst?

Ebru Scharfe: Zunächst ist es wichtig, den Begriff Konflikt zu definieren: Einerseits kann es sich um eine kritische Auseinandersetzung mit einer anderen Person handeln, andererseits um einen inneren Konflikt mit sich selbst. Dabei will ich anmerken, dass äußere Konflikte oft als innere Konflikte beginnen. Wir bieten in unseren Sessions Unterstützung zur Selbstklärung an und wollen wissen: Was ist mir wichtig? Die Zahl der gelösten Konflikte variiert. Grundsätzlich können wir festhalten, dass pro Session ein bis zwei konkrete Fälle besprochen und geklärt werden. Also mindestens fünf Konflikte pro Woche und zwanzig im Monat.

DWN: Ist die gewaltfreie Kommunikation bei Bosch in der Unternehmenskultur fest verankert? Und wenn ja, wie zeigt sich das in Meetings oder im Umgang mit Beschwerden?

Ebru Scharfe: In unseren Führungsleitlinien ist das humanistische Prinzip verankert, auf dem die GFK basiert. Ein Zitat unseres Firmengründers Robert Bosch lautet: „Sei Mensch und achte die Menschenwürde“. Was wiederum bedeutet, sich mit den Bedürfnissen und Werten einzelner Mitarbeitenden auseinanderzusetzen. Die GFK ist somit in unsere Unternehmenskultur eingebettet und wird auch als offizielles Weiterbildungsangebot geführt.

Die Entwicklung der GFK-Kultur bei Bosch verdanken wir dem gesamten Kernteam. Alle sind mit viel Leidenschaft und Engagement dabei, um dem Thema Sichtbarkeit zu geben.

DWN: Wie sieht es mit Vernetzung aus? Gibt es Zusammenarbeiten mit anderen Unternehmen oder Institutionen?

Ebru Scharfe: Unser Kernteam trifft sich einmal im Monat abwechselnd mit zwei OEMs, um sich über Entwicklungen und Angebote im Zusammenhang mit GFK auszutauschen.

Nach dem Summit-Treffen 2023 der „Pioneers of Change Academy“, wurden wir zum Beispiel eingeladen, um aus der Perspektive eines großen Unternehmens darüber zu berichten, wie Kulturwandel durch Graswurzelbewegungen gelingen kann – unter dem Motto: Mut zu Mut! Im Webinar „Bring den Kulturwandel voran“, hatten zwei Kolleginnen aus dem Kernteam die Gelegenheit, unsere Initiative vorzustellen.

Dieses Netzwerk stärkt unseren gemeinsamen Wunsch, die GFK intern wie auch extern zu verbreiten und gibt uns Zuversicht für den Kulturwandel im Unternehmen und in unserer Gesellschaft. Wir sind glücklich als Beispiel für andere zu wirken!

 

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Sofia Delgado ist freie Journalistin und arbeitet seit 2021 in Stuttgart, nachdem sie viereinhalb Jahre lang in Peking gelebt hat. Sie widmet sich gesellschaftskritischen Themen und schreibt für verschiedene Auftraggeber. Persönlich priorisiert sie die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit, als dringendste Herausforderung für die Menschheit.

 


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