Politik

DWN-SERIE zur Europawahl (Teil 6): Das Wahlprogramm der Grünen für die EU

Lesezeit: 4 min
02.06.2024 07:03  Aktualisiert: 30.05.2030 17:00
Am Sonntag, dem 9. Juni, findet in Deutschland die Abstimmung zur Europa-Wahl statt. Erstmals werden auch 16-Jährige über die Zusammensetzung des EU-Parlaments in Straßburg abstimmen können. Wer die EU-Kommission in Brüssel übernehmen wird, ist allerdings eine Entscheidung, bei der die Mitgliedsstaaten der EU, die Regierungen in den jeweiligen Hauptstädten als Rat mitreden werden. Spannend ist in jedem Fall, was die Parteien Europas sich für die Zukunft des Kontinents vorstellen. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten stellen die Programme der deutschen Parteien vor, die sich zur Wahl kommende Woche stellen. Heute in Teil 6: Bündnis 90/Die Grünen.
DWN-SERIE zur Europawahl (Teil 6): Das Wahlprogramm der Grünen für die EU
Terry Reintke ist Spitzenkandidatin der Grünen in der Europawahl (Foto: dpa).

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Klimaschutz, Friedenssicherung und Gerechtigkeit

Am 26. November haben die Grünen auf ihrem Bundesparteitag ihr Programm für die Europawahl verabschiedet. Klimaschutz, Sicherheit in unsicheren Zeiten, soziale Gerechtigkeit in Europa und ein EU-weites Investitionsprogamm, das sind die klaren Ziele der deutschen Grünen in der Europawahl.

Überschriften wie „Was Wohlstand schützt“, „Was Gerechtigkeit schützt“ und „Was Freiheit schützt“ sind in dem Wahlprogramm der Partei enthalten. „Lasst uns jetzt kämpfen, kämpfen dafür, dass wir noch grösser werden im Europäischen Parlament“, so die Spitzenkandidatin Terry Reintke. „Wir brauchen eine EU, die Klimaschutz, gute Jobs und faire Löhne sichert“, fasst Reintke, die seit 2012 ein Mitglied der Grünen ist und im Jahr 2014 mit 27 Jahren als damals jüngste Abgeordnete dem EU-Parlament beigetreten ist, einige der wichtigen Prioritäten zusammen.

„Eine EU, die Frieden und Freiheit verteidigt“

Die Grünen wollen sich für eine EU einsetzen, „die handlungsfähig Frieden und Freiheit verteidigt.“ Laut dem Wahlprogramm soll für den Wohlstand der Bürgerinnen und Bürger gesorgt werden, und dieser soll an eine nachhaltige Klimapolitik geknüpft sein. Diese Ziele können nur in enger europäischer Zusammenarbeit und nicht allein erreicht werden, so die Partei. Dabei wollen die Grünen „Haltung und Verantwortung übernehmen.“

Auch fordern sie eine klimaneutrale EU - ein Ziel, erreichbar durch den Ausbau erneuerbare Energien und einem Ende der Stromerzeugung durch Kohle.

„Infrastrukturunion“ für Europa

Die Partei wirbt auch für das Konzept einer „Infrastrukturunion.“ Dadurch soll Europa durch ein voll ausgebautes und integriertes europäisches Schienen, Strom- und Wasserstoffnetz weiter zusammenwachsen. Für die Friedensicherung fordert sie eine engere Koordinierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zwischen den EU-Ländern und auch eine engere Abstimmung zwischen Mitgliedstaaten, in der Beschaffung und dem Export von Rüstungsgütern.

Europa soll „strategisch investieren“

„Eine Union der Infrastruktur aus Wasserstoff, Netzen, Glasfaserleistungen, Stromstrassen, Schienen, Solarpanels, Windparks, aber auch aus modernen Krankenhäusern und verlässlichen Kitas – als Standards, die Gerechtigkeit stärken und Rechte schützen, “ so der Bundesvorsitzende der Grünen, Omid Nouripour.

„In einer Zeit, in der besonders die USA und China in die klimaneutrale Modernisierung ihrer Wirtschaft investieren, setzen wir uns dafür ein, dass Europa strategisch investiert und dafür sorgt, dass sich unser Kontinent als der erste klimaneutralen Wirtschaftsstandort der Welt durchsetzt.“

In der Sozialpolitik wollen die Grünen europaweit einen verbindlichen Mindestlohn von 60 Prozent des mittleren Einkommens erreichen und, durch eine gemeinsame europäische Asylpolitik einen Umgang mit Geflüchteten sicherstellen, der die Menschenrechte achtet. Fluchtursachen sollen bereits in den Herkunftsländern bekämpft werden.

Politikwissenschaftler Lukas Constantin Wurthmann kommentiert: „Die Grünen sind fokussiert, wohin sie mit Europa in Zukunft wollen: Nämlich ein starkes föderales Europa das stärker zusammenwächst. Damit bilden sie inhaltlich den kompletten Gegenpol zu einer Politik, die die AfD derzeit propagiert: Das heißt, mit einer wirtschaftsliberalen, gesellschaftsliberalen Aussicht und einer Situation, wo man eher zusammenarbeitet als protektionistisch agiert – das ist das Programm der Grünen.“

Wirtschaftspolitik

Das Next-Generation-EU-Wiederaufbauprogramm bis 2026 wird von den Grünen befürwortet. Die Partei will auch den klimaneutralen Umbau der Industrie fördern und die Widerstandsfähigkeit gegenüber Autokratien zu stärken. Hier liegt der Fokus auf dem Aufbau einer europäischen Halbleiterindustrie und der Förderung von Zukunftstechnologien wie Elektrolyseure, Windräder und E-Autos.

Um die Wirtschaft für den globalen Wettbewerb zu rüsten, wird die Nutzung des Binnenmarktregelwerks für übergeordnete Ziele und die Verschärfung des EU-Wettbewerbsrechts vorgeschlagen. Strategische Förderprojekte sollen dabei helfen, um die Industriepolitik der Mitgliedstaaten zu koordinieren.

Die Ausbildung, Gewinnung und Bindung von Fachkräften ist ein weiterer Schwerpunkt, der durch Aus- und Weiterbildungsangebote, Frauenförderung und eine EU-Fachkräftestrategie vorangetrieben werden soll. Schließlich werden Maßnahmen zur Förderung von Innovationen, Start-ups und dem Mittelstand vorgeschlagen, darunter die Verbesserung von Förderinstrumenten und die Digitalisierung der Verwaltung, um bürokratische Hürden abzubauen.

Finanzpolitik

In der Finanzpolitik setzen sich die Grünen für eine Verbesserung der finanziellen Ausstattung der EU durch neue Eigenmittel und höhere nationale Beiträge sowie die Nutzung gemeinsamer europäischer Anleihen. Es wird angestrebt, den Mehrjährigen Finanzrahmen für die Jahre 2028 bis 2035 deutlich zu erhöhen.

Die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion ist ein weiteres Ziel der Grünen, das durch ein neues Investitionsprogramm für Innovation und Resilienz, die Einführung einer Arbeitslosenrückversicherung und die Vollendung der Banken- und Kapitalmarktunion erreicht werden soll.

Die Einführung des digitalen Euros wird unterstützt. In Bezug auf die Bankenunion soll es durch eine europäische Einlagenrückversicherung und Maßnahmen zur Förderung der Klimaneutralität mehr Stabilität geben. Abschließend fordert die Partei die Offenlegung und Berücksichtigung von Klimarisiken und auch die Weiterentwicklung der grünen Taxonomie.

Steuerpolitik

Die Grünen plädieren für Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -Dumping an. Dies umfasst strengere Kriterien für die EU-Liste der Steueroasen, verbesserte grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Steuerbehörden und die Einführung von Quellensteuern auf Dividenden und Zinszahlungen. Nationale Steuervorschriften sollen harmonisiert und ein Mindeststeuersatz für große multinationale Unternehmen eingeführt werden. Die öffentliche Steuerberichterstattung von Großunternehmen soll verbessert werden. Auch strebt die Partei an, hohe Vermögen und Milliardengewinne von Unternehmen gerechter zu besteuern.

Digitalisierung

Die europäische Digitalisierungspolitik der Grünen fordert den Ausbau einer widerstandsfähigen und umweltfreundlichen digitalen Infrastruktur. Auch soll Europa Innovationen und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) fördern, während ethische Standards und gemeinsame Werte gewahrt bleiben.

Die Nutzung von Daten soll verbessert werden, um nicht personenbezogene Daten effektiver zu nutzen und die Datenschutz-Grundverordnung durchzusetzen. Zusätzlich sollen klare digitale Regelungen geschaffen werden, um Vertrauen und Interoperabilität digitaler Systeme zu gewährleisten. In Bezug auf digitale Bürgerrechte werden Massenüberwachung und der Einsatz von KI-Technologien zur Überwachung von Emotionen abgelehnt, während das Recht auf sichere Kommunikation und Verschlüsselung gestärkt werden soll.

Ambitionierte Pläne. Im ZDF-Politbarometer vom 17. Mai kommen die Grünen bisher auf 15 Prozentpunkte. Ob es der Partei noch gelingen wird, mehr Erstwähler, aber auch andere Wähler zu überzeugen, wird sich sehr bald zeigen.

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Vera von Lieres gehört seit September 2022 zum DWN-Team und schreibt als Redakteurin über die Themen Immobilien und Wirtschaft. Sie hat langjährige Erfahrung im Finanzjournalismus, unter anderem bei Reuters und führenden Finanzmedien in Südafrika. Außerdem war sie als Kommunikations- und Marketing-Spezialistin bei internationalen Firmen der Investment-Branche tätig.



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