Unternehmen

Erhöhtes Sicherheitsbedürfnis: Personalpolitik bei Rüstungsbetrieben in Zeiten der Krise

Lesezeit: 4 min
31.05.2024 06:56
Mit dem Ukraine-Krieg hat sich auch unser Image gewandelt, sagt Benedikt Viedenz, Leiter Personalentwicklung und Recruiting bei Thyssenkrupp Marine Systems im DWN-Interview – und gibt Einblicke in die Personalpolitik eines Unternehmens der Verteidigungsindustrie im Kontext der Zeitenwende.
Erhöhtes Sicherheitsbedürfnis: Personalpolitik bei Rüstungsbetrieben in Zeiten der Krise
Thyssenkrupp Marine Systems ist mit rund 7.500 Mitarbeitenden eines der weltweit führenden Marineunternehmen (Foto: dpa).
Foto: Jens Büttner

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

DWN: Herr Viedenz, seit der „Zeitenwende“-Rede des Bundeskanzlers im Februar 2022 hat sich die deutsche Sicherheitspolitik grundlegend verändert. Wie hat sich dieser Wandel auf die Personalpolitik in Ihrem Unternehmen ausgewirkt?

Benedikt Viedenz: Als Unternehmen merken wir natürlich, dass auch in den Medien vermehrt über die Zeitenwende berichtet wird und auch über die Krisenherde dieser Welt, die leider nicht weniger werden. Das hat direkten Einfluss auf die wehrtechnische Industrie und unsere Branche insgesamt. Wir merken in Gesprächen, dass wir deutlich positiver wahrgenommen werden, sowohl als Branche insgesamt als auch als Unternehmen. Das spiegelt sich auch in der gestiegenen Resonanz auf unsere Stellenanzeigen wider - die Zahl der Bewerbungen ist um sieben Prozent gestiegen. Im vergangenen Geschäftsjahr haben wir insgesamt 1.300 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom externen Arbeitsmarkt eingestellt. Das entspricht einem Personalzuwachs von 12 Prozent auf nun insgesamt 7.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

DWN: Wie ist es Ihnen gelungen, in so kurzer Zeit so viele neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzustellen?

Viedenz: Dazu braucht es eine professionelle Infrastruktur. Außerdem muss man genügend qualifiziertes Personal an Bord haben und ein leistungsfähiges digitales Rekrutierungssystem bereitstellen. All das haben wir. Deshalb funktioniert unser Bewerbermanagementsystem sehr gut. Zudem stehen wir in engem Kontakt mit unseren Führungskräften, die offene Stellen zu besetzen haben. Das geht Hand in Hand. Dazu nutzen wir verschiedene Rekrutierungskanäle, die auf die Bedürfnisse unserer Bewerberinnen und Bewerber zugeschnitten sind. Mit diesen Maßnahmen sind wir gut aufgestellt und können auch in Zukunft schnell auf die steigende Nachfrage reagieren.

DWN: Auf welche Herausforderungen sind Sie dabei gestoßen?

Viedenz: Es gibt Zielgruppen, die schwieriger zu finden sind als andere. Kaufmännische Funktionen können wir relativ schnell besetzen, aber bei den MINT-Berufen ist es deutlich schwieriger. Hier stehen wir im Wettbewerb mit anderen Unternehmen. Gerade im IT-Bereich gibt der Markt aktuell nicht genügend Arbeitskräfte her. Trotzdem ist es uns gelungen, die meisten Stellen zu besetzen. Das ist eine echte Herausforderung, aber durch gezielte Maßnahmen und Anreize sind wir auch hier erfolgreich.

DWN: Was sind die Beweggründe der Kandidatinnen und Kandidaten, sich bei Ihnen zu bewerben?

Viedenz: Wir stellen fest, dass sich Menschen bei uns bewerben, die sich vor einigen Jahren wahrscheinlich noch nicht bei uns beworben hätten. Die Themen Sicherheit und Stabilität werden heute auch von der jüngeren Generation anders wahrgenommen. In den Bewerbungsgesprächen registrieren wir ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis, sowohl bei jüngeren als auch bei älteren Bewerberinnen und Bewerbern. Darüber hinaus haben wir unsere Personalinstrumente stärker auf die Einzelne und den Einzelnen ausgerichtet. Wir suchen das persönliche Gespräch und stimmen unsere Maßnahmen auf die Bedürfnisse der Bewerberinnen und Bewerber ab. Dieser individuelle Ansatz hat sich als sehr erfolgreich erwiesen.

DWN: Haben sich mit dem gestiegenen Sicherheitsbedürfnis auch die Qualifikationen verändert?

Viedenz: Die Qualifikationen sind dynamischer geworden. Früher hatten die Bewerber oft klassische Hochschulabschlüsse, heute setzen sie sich zunehmend ihre Ausbildung aus verschiedenen Bausteinen zusammen. Diese Entwicklung spiegelt sich in den Zusatzqualifikationen wider, die viele Bewerberinnen und Bewerber heute mitbringen. Beispielsweise haben Informatiker oft zusätzliche Programmiersprachen gelernt, die nicht Teil ihres Studiums waren. Auch praktische Fähigkeiten wie Schweißen oder Löten von Leiterplatten sind häufig vertreten. Um diesen Lernbedürfnissen gerecht zu werden, haben wir ein eigenes Learning Management System aufgebaut, das dynamische und interaktive Online-Weiterbildungsangebote bereitstellt. So können sich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter flexibel weiterbilden.

DWN: Welche Qualifikationen und Fähigkeiten suchen Sie derzeit besonders?

Viedenz: Wir sind ein sehr projektorientiertes Unternehmen und sind dauerhaft auf der Suche nach Projektmanagement-Erfahrung. Praktische Erfahrungen auf verschiedenen Ebenen sind hier besonders wertvoll. Darüber hinaus sind Qualifikationen in den MINT-Berufen, insbesondere Informatik und Elektrotechnik, sehr gefragt. Auch im Bereich Schiffbau und Konstruktion suchen wir nach Fachkräften. Schweißtechnik ist für uns ebenfalls eine wichtige Qualifikation. Neben den formalen Qualifikationen legen wir großen Wert auf Soft Skills. In einer komplexen und unsicheren Welt sind Fähigkeiten wie Problemlösungskompetenz, Anpassungsfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit entscheidend. Wir erwarten von unseren Mitarbeitenden, dass sie sich intensiv mit Themen auseinandersetzen und in der Lage sind, Herausforderungen selbstorganisiert zu meistern.

DWN: Auch die Verteidigungsbranche ist vom Fachkräftemangel betroffen. Wie geht thyssenkrupp Marine Systems damit um?

Viedenz: Wir suchen den persönlichen Kontakt zu potenziellen Mitarbeitenden dort, wo sie sich aufhalten, zum Beispiel an Universitäten. Ein erfolgreiches Mitarbeitenden-Empfehlungsprogramm (MEP) und Werftbesuche sind weitere Maßnahmen. Insgesamt nutzen wir eine Vielzahl unterschiedlicher Rekrutierungskanäle, die auf die verschiedenen Fachbereiche zugeschnitten sind. Unser MEP läuft seit letztem Jahr sehr erfolgreich. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter empfehlen proaktiv externe Kandidatinnen und Kandidaten, die dann in den Bewerbungsprozess integriert werden. Das wird belohnt und hat sich als sehr effektiver Rekrutierungskanal erwiesen. Darüber hinaus sind wir dauerhaft an Universitäten präsent und werben an ungewöhnlichen Orten, um mit potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten in Kontakt zu kommen.

DWN: Lassen Sie uns noch einmal auf die „Zeitenwende“ im Februar 2022 zurückkommen. Wie hat Ihr Unternehmen seitdem seine Personalstrategie angepasst?

Viedenz: Wir haben unsere Personalstrategie aus unserer Unternehmensstrategie abgeleitet. Diese sogenannte „People and Culture Strategy“ umfasst den gesamten Employee Lifecycle von der Einstellung bis zur Pensionierung. Dazu haben wir Maßnahmen definiert, die zu dieser Strategie beitragen, und unsere Angebote entsprechend angepasst. Zu diesen Maßnahmen gehören etwa Gesundheitsförderung, Jobrad-Leasing sowie Vorsorgeangebote. Auch Tariflöhne, Home-Office, das Deutschland-Ticket und viele weitere Maßnahmen tragen zu dieser Strategie bei. Wichtig ist uns dabei, die Bedürfnisse der Zielgruppen zu verstehen und Angebote auf Augenhöhe zu entwickeln.

DWN: Zum Abschluss noch ein kurzer Blick in die Zukunft: Welche Perspektiven bieten Sie Ihren Bewerberinnen und Bewerbern und wie bereitet sich Ihr Bereich auf künftige Entwicklungen vor?

Viedenz: Zunächst einmal ist unser Unternehmen wirtschaftlich gut aufgestellt. Maritime Sicherheit ist ein globales Thema und es gibt einen hohen Investitionsbedarf für U-Boote, Überwasserschiffe und unbemannte Schiffe. Vor diesem Hintergrund haben wir neue Produktionsstandorte und Werften erworben, um größere Programme abwickeln zu können. Deshalb planen wir, die Zahl unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im laufenden Geschäftsjahr um 550 auf über 8.000 zu erhöhen. Auch langfristig bemühen wir uns um neue Aufträge und die Lieferung unserer Produkte und Dienstleistungen in der gewohnt hohen Qualität. Wir als Business Unit Marine Systems werden diesen Prozess wie gehabt begleiten und für sichere und attraktive Arbeitsplätze sorgen.

DWN: Herr Viedenz, vielen Dank für das Gespräch.

Über Thyssenkrupp Marine Systems: Thyssenkrupp Marine Systems ist mit rund 7.500 Mitarbeitenden eines der weltweit führenden Marineunternehmen und als Systemanbieter im Unter- und Überwasserschiffbau sowie im Bereich maritimer Elektronik und Sicherheitstechnologie tätig. Rund 3.100 Mitarbeitende arbeiten am Standort Kiel, der damit der größte Werftstandort Deutschlands ist.

 


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Zu Weihnachten Zukunft schenken

Gerade zu Weihnachten wünschen sich viele Menschen, etwas von ihrem Glück zu teilen und sich für diejenigen zu engagieren, die es nicht...

DWN
Politik
Politik Studie: Elterngeld seit Einführung deutlich weniger wert
27.12.2024

Die Kaufkraft des Elterngelds sei seit 2007 um 38 Prozent gesunken, schreibt das Institut der deutschen Wirtschaft in einer aktuellen...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutsche Flugsicherung erhöht Gebühren: Gründe, Auswirkungen und Forderungen
27.12.2024

Die Deutsche Flugsicherung (DFS) hat angekündigt, zum Jahreswechsel die Gebühren für Fluggesellschaften deutlich zu erhöhen. Während...

DWN
Politik
Politik Normenkontrollrat plant Empfehlungen für neue Regierung
27.12.2024

Eine Institution, von der man viel zu wenig hört: Ohne ein verbessertes Datenmanagement, einfachere Gesetze und mehr digitale Prozesse...

DWN
Immobilien
Immobilien Die teuersten deutschen Immobilien in 2024: Welche Städte sind die Spitzenreiter?
27.12.2024

Der deutsche Luxusmarkt scheint wieder gesund und munter zu sein, nachdem das Segment im Jahr 2023 unter Druck geraten ist als Verkäufe...

DWN
Politik
Politik In der deutschen Wirtschaft überwiegt Pessimismus
27.12.2024

Wohin steuert die deutsche Wirtschaft nach dem zweiten Rezessionsjahr in Folge? Viele Verbände blicken mit Sorgen nach vorn. Die Gründe...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Clean Industrial Deal: Warum die EU jetzt handeln muss
26.12.2024

Vor fünf Jahren setzte die EU mit dem Europäischen Green Deal neue Maßstäbe im globalen Klimaschutz. Heute, angesichts wachsender...

DWN
Politik
Politik „Atomkraft? Nein Danke“: Habeck-Ministerium manipulierte wohl AKW-Studie für Atomausstieg
26.12.2024

Manipulation im Wirtschaftsministerium? Wie interne Unterlagen jetzt aufdecken, soll das Wirtschaftsministerium unter Robert Habeck gezielt...

DWN
Politik
Politik Papst eröffnet Heiliges Jahr mit Hoffnungsbotschaft
26.12.2024

Ein strammes Programm hatte der gesundheitlich angeschlagene Papst an Weihnachten zu stemmen: Er eröffnete das Heilige Jahr der...