Wirtschaft

Die gemeinsame EU-Plattform zur Gas-Versorgung funktioniert (noch) nicht

Der Europäische Rechnungshof hat sich mit der im April 2023 eingeführten Gas-Plattform der EU beschäftigt und am Montag erste Ergebnisse vorgelegt. „Aggregate EU“, so der Name, ist demnach alles andere als ein Erfolgsmodell: Bei der nächsten Krise wird es wohl wieder zu heftigen Preisschwankungen in der EU kommen - daran ändert auch das viel gepriesene Solidaritätsprinzip der Mitgliedsstaaten nichts. Es müssten erst noch Hausaufgaben erledigt werden, so die Warnung.
24.06.2024 17:16
Lesezeit: 3 min
Die gemeinsame EU-Plattform zur Gas-Versorgung funktioniert (noch) nicht
Gasleitungen mit Absperrventilen führen in einen Erdgasspeicher der Ungarischen Gasspeicher Gesellschaft im Dorf Zsana. (Foto: dpa) Foto: Attila Volgyi

Der Startschuss 2023 war laut und vernehmlich: Die Staaten der Europäischen Union sollte nicht noch einmal so eiskalt von einen Energie-Krise erwischt werden - wie im Winter 202272023 durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine und die dadurch verursachte Gaskrise in Europa. Die Kommission schlug vor, dass sich die Länder zu einer gemeinsamen Plattform zusammenschließen, um nicht in einem Wettbewerb und Bieterstreit um rare Ressourcen wie Erdgas zu geraten. Die Geburtsstunde von „Aggregate EU“.

Doch es kann wohl wieder passieren: Es bleibt dabei, Europa ist zu über 80 Prozent von Gas-Importen abhängig und weder Solar-, Wind- oder gar Atomenergie werden dies in den kommenden Jahrzehnten großartig ändern können. Um auf eine neue Gaskrise umfassend vorbereitet zu sein, muss die EU noch etliche Hausaufgaben erledigen, warnt ein heute vom Europäischen Rechnungshof veröffentlichter Bericht. Zwar habe die EU eine Reihe von Sofortmaßnahmen ergriffen, damit Russland Gaslieferungen nicht als Waffe einsetzen könne, doch sei der Nutzen dieser Maßnahmen nicht immer eindeutig. Der Rechnungshof spricht davon, dass die europäische „Gasversorgung weiterhin Lecks“ aufweist

Immerhin hat Deutschland als Nationalstaat mit dem Bau von LNG-Terminals reagiert

Glück im Unglück ist, dass sich einzelne Mitgliedsstaaten wie Deutschland beim Import von LNG-Flüssiggas schnell geöffnet und entsprechende Infrastruktur genehmigt und in Betrieb genommen haben. Dadurch ist freilich der Preis für Gas nicht wirklich günstiger geworden. LNG-Flüssiggas ist eine weltweit frei gehandeltes Gut, dessen Preis dadurch auch nicht wirklich zu kontrollieren ist. Wer die Ware bestellt, muss sie auch bezahlen - den Preise regelt Angebot und Nachfrage. Die Hoffnung ist dabei, dass die USA ihren Exporten nicht per Schieber abriegeln, wenn es mal wieder darum geht, politisch in Konflikten Einfluss zu nehmen. Doch sicher ist das alles keineswegs. Das ist die Erkenntnis des Europäischen Rechnungshofes (ECA).

„Die Krise, die durch den Großangriff Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 ausgelöst wurde, hat die Widerstandsfähigkeit der EU gegenüber einer abrupten Veränderung bei der Gasversorgung auf die Probe gestellt. Zwar stiegen die Preise stark an, was für Familien und Unternehmen mit erheblichen Kosten verbunden war, doch kam es erfreulicherweise nicht zu einem einschneidenden Gasmangel“, sagt João Leão, für die Prüfung zuständiges Mitglied des Rechnungshofs. Seine Forderungen an die EU.Kommission liegen auf dem Tisch: Die angestrebte Versorgungssicherheit ist bislang nicht erreicht worden, die EU müsse hier weitere Anstrengungen unternehmen. Entscheidend wird dabei sein, Transparenz herzustellen, wie die Infrastruktur in Gesamteuropa funktioniert und sich harmonisieren lässt. Von gut 80 angestrebten bilateralen Abkommen zwischen EU-Mitgliedssaaten seien bislang gerade mal acht zustande gekommen. Die versammelte Presse hat dies Ungläubigkeit zur Kenntnis genommen auf der ECA-Pressekonferenz am Montag. Gut möglich, dass sich die Verantwortlichen in Russland wieder einmal ins Fäustchen lassen, wie schwerfällig Europa agiert - und wie uneinheitlich.

Die unzureichenden Mittel und Wege , die gegen Russland gerichteten Sanktionen im Energiebereich durchzusetzen, sind ja durch unzählige Medienberichte bereits hinlänglich bekannt. Fakt ist, dass Russland immer noch für 15 Prozent des Gases in der EU sorgt - deutlich weniger als jene noch 45 Prozent vor dem Angriff 2022. Doch weiterhin genug, um ein einträgliches Geschäft zu machen und die eigene Kriegswirtschaft zu subventionieren. Die EU hat daraufhin diese Woche angekündigt, die Schlupflöcher im LNG-Bereich stopfen zu wollen und dafür entsprechende Sanktionswerkzeuge zu schärfen. Die Umgehungsstrecken sollen geschlossen werden,, ein mühsames Unterfangen, zumal etliche Anrainer-Staaten Russlands nicht mitziehen, sondern ordentlich Marge machen dabei.

Ein weiterer Kritikpunkt: Schließlich weisen die Prüfer darauf hin, dass bei der Technik zur Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2 (Carbon capture use and storage - CCUS) zu wenige Fortschritte erzielt werden. Dies könne langfristig auch die Versorgungssicherheit gefährden. Angesichts der Klimaziele der EU (insbesondere Netto-Null-Emissionen bis 2050) werde die Verringerung der durch Gas verursachten CO2-Emissionen in diesem Zusammenhang immer wichtiger. Bisher könne mit den vier in der EU kommerziell betriebenen CCUS-Projekten eine Abscheidung von 1,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr erreicht werden. Dies sei jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein im Vergleich zu den 450 Millionen Tonnen CO2, die mithilfe von CCUS bis 2050 jährlich abgeschieden werden müssten, um die Klimaziele der EU zu erreichen.

Wie geht es weiter? Diese Woche startet die nächste Bestell-Runde, in der Unternehmen ihren Gasbedarf für die kommende Heizperiode anmelden können. Die EU setzt auf geballte Marktmacht, um international bei Anbietern niedrigere Gaspreise zu erreichen. Außerdem soll vermieden werden, dass sich die Staaten sich gegenseitig überbieten, wie es im vergangenen Jahr zum Ärgernis wurde. Die EU-Länder haben zugesagt, mindestens 15 Prozent ihrer nationalen Speicherziele über die Plattform zu ordern. Nachdem die Unternehmen ihren Bedarf angemeldet haben, wird die Gesamtmenge am Weltmarkt ausgeschrieben. Anschließend sollen Angebote der Gaslieferanten verglichen werden, bevor die teilnehmenden Unternehmen in Verhandlungen gehen. Unternehmen, die sich in russischem Besitz befinden, sind laut EU-Kommission vom Programm ausgeschlossen.

Wo der Sonderbericht zur Gasversorgung abgerufen werden kann

Der Sonderbericht 09/2024 „Sicherheit der Gasversorgung in der EU: Der EU-Rahmen hat den Mitgliedsländern geholfen, auf die Krise zu reagieren, doch die Auswirkungen einiger Krisenreaktions-Maßnahmen können nicht nachgewiesen werden" ist auf der Website des Europäischen Rechnungshofs ([www.eca.europa.eu]) abrufbar.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
avtor1
Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

DWN
Finanzen
Finanzen Nvidia-Aktie: Weshalb selbst starke Zahlen ein strukturelles Problem nicht lösen
07.12.2025

Die Nvidia-Aktie glänzt mit beeindruckenden Ergebnissen, doch Anleger übersehen oft ein zentrales Risiko. Die enorme Größe des Konzerns...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Mautkosten in Europa steigen: Wie sich Speditionen jetzt Wettbewerbsvorteile sichern
07.12.2025

Trotz wachsender Belastungen im europäischen Transportsektor zeigt sich immer deutlicher, dass Mautgebühren weit mehr sind als ein...

DWN
Panorama
Panorama Weihnachten mit kleinerem Budget: Viele Menschen müssen bei Weihnachtsgeschenken sparen
07.12.2025

Weihnachten rückt näher, doch viele Haushalte kalkulieren strenger als je zuvor. Eine neue Umfrage zeigt, wie stark Preissteigerungen die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft OpenAI-Bilanz: Deloitte prüft Milliardenpläne und Michael Burry entfacht Debatte
07.12.2025

OpenAIs rasanter Aufstieg und die enormen Investitionspläne des Unternehmens rücken die Transparenz der OpenAI-Bilanz in den Mittelpunkt....

DWN
Politik
Politik Elektromobilitätssteuer Großbritannien: Wie London die E-Auto-Revolution abbremst
07.12.2025

Großbritannien setzt mit einer kilometerbasierten Abgabe ein hartes Signal an alle E-Autofahrer und stellt die finanzielle Logik der...

DWN
Politik
Politik Russlands Desinformationskampagnen: Wie Europa gegen Putins Trolle kämpft
06.12.2025

Europe wird zunehmend Ziel digitaler Einflussoperationen, die gesellschaftliche Stabilität, politische Prozesse und wirtschaftliche...

DWN
Immobilien
Immobilien Baufinanzierung Zinsen: Entwicklung des Bauzinses 2025 - und wie es 2026 weitergeht
06.12.2025

Nachdem die Zinsen – darunter der Bauzins – in Deutschland seit 2019 eine gewisse Schieflage erreicht haben, scheint nun Ruhe...

DWN
Finanzen
Finanzen Marktausblick 2026: Internationale Aktien und Small-Cap-Aktien sind am besten positioniert
06.12.2025

KI treibt Teile der Weltwirtschaft nach vorn, während andere Branchen stolpern. Gleichzeitig locken Staaten mit neuen Ausgabenprogrammen...