Politik

Donald Trumps neuer Geschichtenerzähler: J.D. Vance gibt den reichen Hillbilly

Lesezeit: 4 min
18.07.2024 11:45
In seiner ersten Rede als Vize von Donald Trump betont J.D. Vance seine Herkunft und Wurzeln in der Arbeiterschicht - und greift damit auf ein bei ihm bewährtes Narrativ zurück.
Donald Trumps neuer Geschichtenerzähler: J.D. Vance gibt den reichen Hillbilly
Reicher Hillbilly: der republikanische Vizepräsidentschaftskandidat Senator. J.D. Vance aus Ohio während einer Spendengala. (Foto: dpa)
Foto: Carolyn Kaster

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Nach all den lauten und extremen Vorrednern beim Parteitag der Republikaner in Milwaukee wirkt J.D. Vance nahezu sanft: Bei seiner ersten Rede als Vizepräsidentschaftskandidat erhebt er nicht die Stimme. Wenn das Publikum ihn mit Jubelrufen unterbricht, wartet er geduldig und lächelt. Für seine Rede schlüpft er in die Rolle des Geschichtenerzählers, der einst mit dem Bestseller „Hillbilly-Elegie" Erfolge feierte. Dabei hangelt er sich an der eigenen Familiengeschichte in der Arbeiterschicht entlang, um von einem Amerika zu erzählen, das einen starken Donald Trump brauche, um nach der Präsidentschaft von Demokrat Joe Biden wieder auf den richtigen Pfad zu kommen.

„Ich bin in Middletown, Ohio, aufgewachsen“, sagt der 39 Jahre alte Senator zu Beginn seiner Ansprache, mit der er die Nominierung zu Trumps Vize offiziell annimmt. Dass er jetzt auf dieser Bühne steht, hat wohl hauptsächlich damit zu tun, dass sich Trump von ihm verspricht, Stimmen in den heiß umkämpften „Swing States“ und besonders bei Industriearbeitern zu sichern. Und genau damit fängt Vance an diesem Abend an. Für ihn ist es der erste Testlauf an der Seite des in der Republikanischen Partei übermächtigen Trumps.

Eine amerikanische Erzählung

Das Publikum ist Vance allein schon deshalb gewogen, weil das wohl bei jedem so wäre, den der 78-jährige Trump aussucht. In Milwaukee scheint aktuell fast jeder Republikaner ein Vance-Fan. Der Senator sei seine erste Wahl für die Rolle des Vize gewesen, sagt der 34-jährige Thomas Lane, ein Anwalt aus Kalifornien. Vance schaffe es, dass selbst so jemand wie er glaube, „dass man alles erreichen kann, wenn man nur hart genug dafür arbeitet“. Vom Tellerwäscher zum Millionär also – die klassische amerikanische Erzählung.

Er stamme aus einer Kleinstadt, "in der die Menschen ihre Meinung gesagt, mit den Händen geschafft und Gott, ihre Familie, ihre Gemeinde und ihr Land mit ganzem Herzen geliebt haben", schwärmt Vance von seiner Heimat. Es sei aber auch ein Ort gewesen, der von der "herrschenden Klasse Amerikas in Washington" beiseitegeschoben und vergessen worden sei. Ob eine solche Aussage von einem Spitzenpolitiker mit Jura-Abschluss von der Eliteuniversität Yale glaubwürdig ist, dessen Wahlkampf mit Millionen eines Tech-Milliardärs finanziert wurde, müssen letztlich die Wählerinnen und Wähler entscheiden.

Vance spricht von der Armut in vielen Gegenden Amerikas, von Verzweiflung und Drogentoten. Das verknüpft er mit den schwierigen Verhältnissen, aus denen er selbst stammt, der einstigen Alkoholsucht seiner Mutter, die mit im Saal ist und großen Jubel bekommt, als die Kameras sich auf sie richten. Für die Anekdote, dass seine verstorbene Großmutter, bei der er aufwuchs, angeblich 19 geladene Waffen an verschiedenen Stellen im Haus versteckt hatte, gibt es Gejohle und Applaus.

Müder Applaus für vegetarisches, indisches Essen

Verhaltener sind da die Reaktionen auf die Rede seiner Ehefrau Usha, die kurz vor ihm auf der Bühne steht, um ihn vorzustellen. Die Top-Juristin mit indischen Wurzeln wird zwar freundlich empfangen, die Menschen im Saal sind ihr gegenüber höflich und respektvoll, lachen, wenn sie einen Witz macht. Doch nicht alle Anekdoten landen im Trump'schen „Make America Great Agai"-Publikum. Als Usha erzählt, sie habe ihrem Fleisch und Kartoffeln liebenden Mann die vegetarische Ernährung nähergebracht und dass ihre Mutter ihm beigebracht habe, indisch zu kochen, gibt es nur müden Applaus.

In der Geschichte, die Vance im Nachgang erzählt, haben Usha und seine Kinder Platz, seine Familie, die Zeit im Militär und seine Studienschulden – aber nicht seine Karriere im Finanzsektor. Das „korrupte Washington“, so das Narrativ, das sind der amtierende US-Präsident Joe Biden und seine Demokraten.

Den amtierenden US-Präsidenten, der sich um eine zweite Amtszeit bewirbt, macht Vance dabei zum Gesicht der Globalisierung und Unterstützer von Kriegen, unter denen die Menschen in Amerika zu leiden haben. «Arbeitsplätze wurden in andere Länder verlagert und unsere Kinder wurden in den Krieg geschickt», sagt Vance an einer Stelle mit Blick auf den Irak-Krieg, den Biden während seiner Zeit im US-Kongress als einer von 77 Senatoren unterstützte. An einer anderen: „Viele Leute, mit denen ich aufgewachsen bin, können es sich nicht leisten, mehr für Lebensmittel, Sprit und Miete auszugeben.“ Die Schuld daran gibt er Biden, der sich derzeit auch gegen verbale Angriffe aus dem eigenen Lager wehren muss.

Trump als trotzender Heiler

Immer wieder kommt er dann auf Trump zu sprechen, der ihm wohlwollend von der Tribüne aus zulächelt. Trump, so Vance, habe während seiner Zeit als US-Präsident "innerhalb von vier kurzen Jahren jahrzehntelangen Verrat korrupter Insider in Washington" rückgängig gemacht. Biden zählt er zu ihnen. Den Republikaner Trump präsentiert den Schriftsteller J.D. Vance als Mann der politischen Mäßigung.

Mit Blick auf das Attentat auf Trump vom Wochenende sagt Vance über den Präsidentschaftskandidaten: "In einem Moment kann er sich trotzend gegen einen Attentäter stellen und im nächsten zur nationalen Heilung aufrufen. Er ist ein geliebter Vater und Großvater." Trump habe in der Folge zur nationalen Einheit aufgerufen, „zur nationalen Ruhe, buchstäblich, nachdem ein Attentäter ihm fast das Leben genommen hatte.“ Kurz nach dem Attentat hatte Vance US-Präsident Biden für den Angriff verantwortlich gemacht.

Amerika zuerst - korruptes Washington

In seiner Rede verspricht er Trump nun, gemeinsam dessen „außergewöhnliche Vision für das Land“ zu verwirklichen. Kurz davor hat er in groben Zügen dargelegt, wie das aussehen könnte und präsentiert eine klare Amerika-zuerst-Politik im Sinne Trumps: „Wir kaufen keine Energie mehr von Ländern, die uns hassen, sondern werden sie direkt von amerikanischen Arbeitern in Pennsylvania und Ohio und im ganzen Land beziehen“, kündigt Vance an. „Wir opfern keine Lieferketten mehr für den unbegrenzten globalen Handel.“

Am Ende zieht Vance dann – wie jeder gute Geschichtenerzähler – den Bogen wieder dorthin, wo er angefangen hat. Den Menschen aus Middletown „und allen vergessenen Gemeinden (...) und in allen Ecken unseres Landes“ verspreche er eines, sagt Vance: „Ich werde ein Vizepräsident sein, der niemals vergisst, woher er kommt.“


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