Politik

Landtagswahl in Thüringen: Verhelfen CDU und SPD dem BSW an die Macht?

Das ostdeutsche Bundesland Thüringen gilt als schwierig regierbar: Die AfD liegt in den Umfragen zur Wahl vorn und das Bündnis Sahra Wagenknecht könnte zweitstärkste Kraft werden. Für CDU und SPD ein Dilemma. Sie schließen eine Koalition nicht aus. Aber gilt das auch, falls das BSW das Bündnis anführt? Die Lage könnte sich in knapp zwei Wochen noch fundamental ändern.
19.08.2024 14:00
Lesezeit: 3 min

Am 1. September wird Thüringen zum achten Mal zur Wahlurne gebeten, um den Landtag zu wählen. Die Not ist groß und die Auswahl an Partnern begrenzt:

In Thüringen wird seit Wochen über eine mögliche Koalition mit der Wagenknecht-Partei BSW diskutiert. Was geht mit wem und geht am Ende überhaupt irgendetwas? Eine ungewöhnliche Liaison aus CDU, BSW und SPD scheint nach Umfragen derzeit Thüringens einzige Hoffnung auf eine Mehrheitsregierung zu sein. Nach fast fünf Jahren Minderheitsregierung ist politische Stabilität in dem Bundesland zum Wahlkampfthema geworden. Schon knapp zwei Wochen vor der Landtagswahl am 1. September sondieren die möglichen Partner indirekt, was mit wem geht – und pendeln im Wahlkampf zwischen Angriff und Zuneigung, Gelassenheit und Panik.

Das Problem ist: Rechnerisch ist nach Umfragen eine Mehrheit ohne Einbindung von AfD oder BSW in Thüringen nicht möglich. Da mit der vom Landesverfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften AfD niemand koalieren will, richten sich nun alle Blicke auf die Wagenknecht-Partei.

BSW schlägt erste Pflöcke ein

Das Pendeln zwischen Attackieren und Umwerben war vergangene Woche gut in einer TV-Runde zu beobachten, an der auch BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf teilnahm. „Ich kenne Frau Wolf schon lange, und da waren auch pragmatische Dinge heute dabei“, sagte ein sichtlich aufgebrachter Georg Maier in der Runde, Spitzenkandidat der Thüringer SPD. Aber wenn das BSW meine, Bedingungen zu stellen, die man in Thüringen gar nicht regeln könne, mache man „doch was kaputt für die Menschen“. „Lasst uns doch das, was geht, zusammen ausloten, mit den Demokraten!“

Wagenknecht hatte ihre Position zu Krieg und Frieden zur Bedingung für eine Regierungsbeteiligung der Partei gemacht. Maier sprach von Erpressung, und CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt verbittet sich seitdem Einmischungen von außen. Das Thema gilt als mögliche Sollbruchstelle, wenn es zu Koalitionsverhandlungen der drei Parteien kommen sollte. Trotzdem lassen die Bundesparteien von CDU und SPD ihren Landesverbänden in Sachsen und Thüringen freie Hand. Zuletzt bekräftigte SPD-Chefin Saskia Esken, die Landesverbände brauchten den Rat der Bundesebene in der Frage nicht.

Der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz sieht in den vom BSW gestellten Bedingungen eher Signale der Partei an die eigene Wählerschaft und an noch Unentschlossene. „Ich glaube, das sind Bedingungen, die den Wählerinnen und Wählern noch einmal versichern sollen, dass die Partei hier fest ist in ihren Grundsätzen“, sagt er. Bei Koalitionsverhandlungen sei es auf Landesebene sicher möglich, Lösungen zu finden. „Es ist ein Pflock, den man einrammt, aber es ist keine Brandmauer.“

Abstimmungen mit der AfD

Gerade für die CDU könnte ein solches Bündnis ein waghalsiges Konstrukt sein – schließlich war Wagenknecht einst die Ikone der Kommunistischen Plattform der Linkspartei, in ihren frühen Jahren sogar mit teils stalinistischen Ansichten. Und sie war SED-Mitglied. Das betont Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) gern. Für ihn ist es ein Widerspruch, dass die CDU eine Koalition mit seiner Linken ausschließt, aber mit der Partei von Wagenknecht auf Landesebene nicht. Auch im Bund dürfte ein Bündnis mit dem BSW nicht bei jedem Christdemokraten Jubel auslösen.

Zuletzt sorgten Aussagen von BSW-Vertretern zum Umgang mit der AfD für Aufregung. In der TV-Runde hatte Wolf nicht ausgeschlossen, für AfD-Gesetzesvorschläge zu stimmen, wenn diese vernünftig seien. Das öffne nach Einschätzung des Experten Brodocz aber nicht die Tür für eine Zusammenarbeit zwischen BSW und AfD. „Da hat das BSW die Grenzen deutlich markiert, dass das damit nicht gemeint ist.“ Zudem beinhalteten Koalitionsverträge üblicherweise Regeln, wonach nicht mit anderen Parteien gestimmt werde.

Kopf-an-Kopf-Rennen um Platz zwei

Interessanter seien die Aussagen für den Fall einer formlosen Tolerierung einer Minderheitsregierung, sagt Brodocz. Das Szenario wäre dann dies: Setzt etwa CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt auf eine Minderheitsregierung unter seiner Führung und lässt das BSW außen vor, könnte die Wagenknecht-Partei im Parlament zusammen mit der AfD Gesetze beschließen – an der Regierung vorbei. Das gleiche Prinzip musste Ramelows rot-rot-grüne Koalition in den letzten Jahren erleben – als die CDU mehrfach mit AfD-Stimmen eigene Gesetze durch den Landtag boxte und sogar eine Steuer senkte. Laut Brodocz könnten die BSW-Aussagen zur AfD also ein Signal an die CDU sein, dass es „schon auf eine verbindliche Form der Zusammenarbeit dringt“. Die Botschaft wäre: Regiert lieber mit uns, sonst überstimmen wir euch im Parlament.

In Umfragen liegt die CDU mit Werten zwischen 21 und 23 Prozent auf Platz zwei hinter der AfD. Das BSW kommt auf 19 bis 21 Prozent. Brodocz würde nicht ausschließen, dass Katja Wolf am Ende vor Mario Voigt ins Ziel einläuft. Ein Abstand von zwei Prozentpunkten liege innerhalb der Fehlertoleranz solcher Umfragen. „Das heißt: In der Realität könnte es bereits jetzt so sein.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Unternehmen
Unternehmen Studie: Jedes zweite Unternehmen plant KI-Strategie mit Startups
09.06.2025

Der Open Innovation Report 2025 zeigt: 51 Prozent der deutschen Unternehmen setzen für ihre KI-Zukunft auf Startup-Kooperationen. Doch der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen E-Bike war gestern: Wasserstoff-Fahrradmarkt kommt ins Rollen
09.06.2025

Polens Industrie schlägt neue Wege ein: Mit dem ersten Wasserstoff-Fahrrad für Unternehmen will Groclin die Mobilitätswelt verändern....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Sozialabgaben steigen ins Unermessliche - Bürokratie allein verschlingt 25 Milliarden Euro
09.06.2025

Sozialversicherungen kosten Arbeitnehmer und Unternehmen aktuell schon 42 Prozent des Bruttogehalts, Tendenz steigend. Die Bürokratie...

DWN
Finanzen
Finanzen Reich mit 50? Nur, wenn Sie jetzt aufhören, Fehler zu machen
08.06.2025

Mit 50 ist es Zeit umzudenken: Zwei Finanzveteranen erklären, warum Schuldenabbau, kluge Rücklagen und langfristiges Denken entscheidend...

DWN
Politik
Politik Margrethe Vestager war eine der mächtigsten Personen Europas – jetzt sagt sie das „goldene Zeitalter“ voraus
08.06.2025

Margrethe Vestager gehörte zu den mächtigsten Frauen Europas. Jetzt zeichnet sie ein Bild der EU ohne USA – und sieht darin die große...

DWN
Immobilien
Immobilien Vermieter-Mieter-Verhältnis: Wie Sie Streit vermeiden
08.06.2025

Eine aktuelle Befragung vom Wissens- und Plattformunternehmen AktivBo zur Mieterzufriedenheit in Deutschland zeigt, dass die Mehrheit an...

DWN
Politik
Politik Trumps Politik führt zu 500 Millionen Dollar Investition in das Textilrecycling in Europa
08.06.2025

Während Donald Trump grüne Technologien im eigenen Land abwürgt, fließen halbe Milliardenbeträge nach Europa. Ein Unternehmen macht...

DWN
Politik
Politik Deutschland siedelt sich an: Infrastruktur für Bundeswehr in Litauen wächst rasant
08.06.2025

Die deutsche Militärpräsenz in Litauen ist mehr als ein geopolitisches Signal – sie verändert die lokale Infrastruktur tiefgreifend....