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Finanzamt 2.0 mit ELSTER: Digitale Evolution oder Stillstand?

Lesezeit: 5 min
30.08.2024 16:02
Die elektronische Steuererklärung ELSTER hat in den vergangenen Jahren technische Fortschritte gemacht. Aber reicht das aus, um von einem modernen und benutzerfreundlichen Tool zu sprechen? Von automatischen Steuererklärungen bis zu geplanten Videoterminen – die Digitalisierung steckt noch in den Kinderschuhen. Verpasst Deutschland den digitalen Anschluss?
Finanzamt 2.0 mit ELSTER: Digitale Evolution oder Stillstand?
Die Eingabe des Steuerportals Elster, dargestellt auf einem Computerbildschirm. (Foto: dpa)
Foto: Bernd Weißbrod

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ELSTER ist wie das Lieblingskind der deutschen Steuerverwaltungen. Seit seiner Einführung im Jahr 1999 hat sich ELSTER erheblich weiterentwickelt und ist heute ein zentraler Bestandteil des deutschen Steuerrechts. Was ursprünglich als einfaches Werkzeug zur Übermittlung von Steuererklärungen begann, hat sich zu einem umfassenden System gewandelt. Heute können Steuerpflichtige über ELSTER ihre Steuererklärungen, Anträge und Bescheinigungen bequem online einreichen.

Im Rahmen des Online-Portals Mein ELSTER haben Nutzer die Möglichkeit, sicher mit ihrem Finanzamt zu kommunizieren. Das Benutzerkonto bietet Zugang zu einer Vielzahl von Formularen, die es ermöglichen, Anliegen wie Einsprüche gegen Steuerbescheide, allgemeine Mitteilungen oder Steuererklärungen direkt elektronisch zu übermitteln. Für steuerliche und nicht-steuerliche Anfragen stellt ELSTER spezielle Kontaktformulare bereit, die eine direkte Kommunikation mit dem Finanzamt ermöglichen.

Im Laufe seiner 25-jährigen Geschichte hat ELSTER kontinuierlich an Funktionalität gewonnen und wird auch in Zukunft weitere Bereiche des Steuerrechts abdecken. Die Finanzverwaltung erkennt jedoch an, dass neben ELSTER auch andere technologische Entwicklungen und Innovationen eine entscheidende Rolle spielen.

Was planen die Finanzämter in Deutschland für die Zukunft?

Einkommensteuererklärung: Vorjahresdaten automatisch übernehmen

In ELSTER sind Verbesserungen geplant, die die Erstellung der Einkommensteuererklärung noch komfortabler gestalten. Zukünftig wird es möglich sein, alle Daten aus dem Vorjahr, wie Profilinformationen, Bescheinigungen und Belege, in einem Schritt in das neue Formular zu übertragen. Dadurch starten Sie mit einem bereits weitgehend ausgefüllten Entwurf, der nur noch geringfügige Anpassungen erfordert. Dies erleichtert den gesamten Prozess erheblich. Voraussetzung dafür ist, dass Ihre Belege die erforderlichen Informationen enthalten, damit diese automatisch in die richtigen Felder eingetragen werden können.

Terminvergabe per ELSTER

In Bayern können Steuerpflichtige online über ELSTER einen festen Termin mit ihrem Finanzamt vereinbaren, wobei sowohl Tag als auch Uhrzeit ausgewählt werden können. In Baden-Württemberg ist die Online-Terminvereinbarung zwar ebenfalls möglich, jedoch ohne die Möglichkeit, das genaue Datum oder die Uhrzeit zu bestimmen.

Es wird vermutlich möglich sein, in Zukunft über ELSTER in jedem Bundesland einen Termin beim Finanzamt zu vereinbaren, wobei sowohl das genaue Datum als auch die Uhrzeit auswählbar sein werden. Derzeit ist die Terminvereinbarung nicht einheitlich geregelt, sodass man für jedes Bundesland separat prüfen muss, wo eine Terminvereinbarung möglich ist, was eine zentrale Lösung vermissen lässt.

Videotermine mit Finanzamt

In Österreich sind Videotermine mit dem Finanzamt schon etabliert. Diese bieten den Vorteil, dass auch personenbezogene Auskünfte erteilt werden können, was über ein normales Telefonat hinausgeht. In Deutschland hingegen steckt dieses Konzept noch in den Kinderschuhen. Baden-Württemberg hat zwar 2022 ein Videokonferenzsystem erfolgreich getestet, doch bis heute bieten keine deutschen Finanzämter Videotermine an.

Die Frage bleibt, ob und wann diese moderne Form der Kommunikation in Deutschland flächendeckend zur Verfügung stehen wird.

Rückrufsysteme

Ein Rückrufsystem, das in Baden-Württemberg pilotiert wird, könnte eine sinnvolle Ergänzung zu den bestehenden Kommunikationsmöglichkeiten darstellen. Hier können Bürger online einen Termin für einen Rückruf durch einen Finanzamtsmitarbeiter buchen. Dies könnte eine effiziente Möglichkeit sein, Fragen zeitnah zu klären, ohne lange Wartezeiten in Kauf nehmen zu müssen.

Allerdings stellt sich die Frage, wie dieser Service in der Praxis umgesetzt wird. Beispielsweise bleibt unklar, ob die Telefonnummern der Finanzamtsmitarbeiter für den Anrufer sichtbar bleiben und welche Datenschutzmaßnahmen getroffen werden, um Missbrauch zu verhindern.

Baden-Württemberg ist ein Vorreiter im Bereich der Digitalisierung, insbesondere durch sein Projekt „Finanzamt der Zukunft“, das innovative Lösungen im Finanzwesen entwickelt und vorantreibt. Als Teil dieses Engagements spielt Baden-Württemberg eine führende Rolle im Projekt KONSENS, das die Steuerverwaltung in Deutschland auf ein neues digitales Niveau hebt. Im Rahmen von KONSENS arbeiten fünf Bundesländer, darunter Baden-Württemberg, an der Entwicklung einer einheitlichen Software, die zukünftig von allen 16 Bundesländern genutzt werden soll. Diese Software vereinfacht die Steuererklärung für Bürgerinnen und Bürger und optimiert die Abläufe in den Finanzämtern. Durch die Zusammenarbeit wird Doppelarbeit vermieden und Kosten werden gesenkt. Sobald die Software in den fünf federführenden Ländern erfolgreich getestet ist, wird sie von den übrigen Bundesländern übernommen.

KONSENS ist ein Gemeinschaftsprojekt der deutschen Bundesländer und des Bundes im Bereich der Steuerverwaltung. Der Name „KONSENS“ steht für Koordinierte neue Software-Entwicklung der Steuerverwaltung.

Steuerchatbots und IT-Clouds

Ein weiteres Beispiel für die Digitalisierung in den Finanzämtern ist der Einsatz von Steuerchatbots. Baden-Württemberg ist auch hier Vorreiter und bietet einen Chatbot an, der rund um die Uhr bei Steuerfragen Unterstützung bietet. Dieser Chatbot ist nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch und Französisch verfügbar.

Trotz dieser positiven Entwicklungen gibt es jedoch auch Skepsis gegenüber neuen Technologien. Einige Bundesländer, wie Baden-Württemberg, haben IT-Clouds für die Datenübergabe eingeführt. Diese könnten insbesondere im Rahmen von Außenprüfungen oder steuerstrafrechtlichen Ermittlungen hilfreich sein. Doch viele Nutzer stehen diesen Cloud-Lösungen kritisch gegenüber, da es an einer einheitlichen, bundesweiten Lösung fehlt.

Sichere E-Mail-Kommunikation

Aktuell ist eine verschlüsselte E-Mail-Kommunikation mit dem Finanzamt nicht verfügbar, was das Risiko birgt, dass Unbefugte die E-Mails einsehen könnten. Sollten dennoch E-Mails zur Kommunikation und für Antworten genutzt werden, ist dazu das ausdrückliche Einverständnis erforderlich. Es stellt sich die Frage, ob in Zukunft eine verschlüsselte E-Mail-Kommunikation möglich sein wird oder ob diese Kontaktoption dauerhaft ausgeschlossen bleibt.

Finanzämter versus private Anbieter

Während die Finanzämter in ihrer Digitalisierung langsame Fortschritte machen, sind private Unternehmen im Steuerbereich bereits deutlich weiter. Viele Dienstleister bieten innovative Lösungen an, die den bürokratischen Aufwand reduzieren und die Kommunikation mit dem Finanzamt erleichtern. Ein Beispiel dafür ist die Möglichkeit, offizielle Schreiben des Finanzamts in eine verständlichere Sprache zu übersetzen, sodass auch jeder die Inhalte problemlos nachvollziehen kann.

Deloitte geht sogar noch einen Schritt weiter und bietet eine KI-gestützte automatisierte Verarbeitung von Steuerbescheiden an.

Dies verdeutlicht, dass der Privatsektor in der Digitalisierung deutlich weiter fortgeschritten ist. Einige mögliche Gründe dafür könnten sein:

  1. Technologie und Innovation: Unternehmen investieren oft in die neueste Technologie und Software, um ihre Steuerabteilung zu optimieren. Dies kann von automatisierten Buchhaltungssystemen bis hin zu fortgeschrittenen Analysewerkzeugen reichen, die es ihnen ermöglichen, komplexe steuerliche Daten effizienter zu verwalten und zu analysieren.
  2. Wettbewerbsdruck: Unternehmen stehen unter Druck, ihre Kosten zu minimieren und ihre Gewinne zu maximieren. Effiziente Steuerprozesse können erhebliche Einsparungen bringen. Daher sind sie oft bestrebt, innovative Steuerstrategien zu entwickeln, die ihnen einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz verschaffen.
  3. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit: Private Unternehmen sind oft flexibler als staatliche Institutionen. Sie können schnell auf Veränderungen im Markt oder in der Gesetzgebung reagieren und ihre Steuerstrategie entsprechend anpassen. Das Finanzamt hingegen ist eine staatliche Institution, die oft an starre, bürokratische Prozesse gebunden ist.
  4. Expertise und Spezialisierung: Große Unternehmen haben oft spezialisierte Steuerabteilungen mit hochqualifizierten Fachkräften, die sich ausschließlich auf Steueroptimierung und -compliance konzentrieren. Diese Experten sind ständig auf dem neuesten Stand der Steuergesetzgebung und nutzen dieses Wissen, um proaktiv zu agieren.
  5. Globalisierung: Multinationale Unternehmen haben oft komplexere Steueranforderungen, die sie dazu zwingen, fortschrittlichere Systeme und Strategien zu entwickeln, um die unterschiedlichen Steuergesetze in verschiedenen Ländern zu managen. Dies kann sie dazu bringen, weiter fortgeschrittene Steuerpraktiken zu entwickeln als es eine lokale oder nationale Steuerbehörde tun würde.
  6. Bürokratische Hürden: Das Finanzamt ist Teil der staatlichen Bürokratie und daher oft langsamer bei der Implementierung neuer Technologien oder Prozesse. Gesetzliche Vorgaben, langwierige Genehmigungsverfahren und begrenzte finanzielle Mittel können die Innovationsfähigkeit einschränken.

Zusammengefasst müssen große und internationale Unternehmen oft schnell handeln, um ihre Steuern zu optimieren und den komplexen Anforderungen gerecht zu werden. Das Finanzamt hingegen arbeitet in der Regel langsamer, weil es an gesetzliche und bürokratische Vorschriften gebunden ist.

Halbherzige Digitalisierung mit Potenzial nach oben

Die Digitalisierung der deutschen Finanzämter hat zweifellos Fortschritte gemacht, doch sie bleibt weit hinter den Möglichkeiten zurück. Während Unternehmen im Steuerbereich durch den Einsatz moderner Technologien bereits weit fortgeschritten sind, zeigt die öffentliche Verwaltung noch viele Schwächen. Die bestehenden Initiativen sind ein Schritt in die richtige Richtung, doch es bedarf einer stärkeren und einheitlicheren Umsetzung, um die Effizienz und Nutzerfreundlichkeit in der Steuerverwaltung signifikant zu verbessern. Deutschland muss hier aufholen, um nicht den Anschluss an andere Länder zu verlieren und den Bürgern einen zeitgemäßen Service zu bieten.

                                                                            ***

Iana Roth ist Redakteurin bei den DWN und schreibt über Steuern, Recht und HR-Themen. Zuvor war sie als Personalsachbearbeiterin tätig. Davor arbeitete sie mehrere Jahre als Autorin für einen russischen Verlag, der Fachliteratur vor allem für Buchhalter und Juristen produziert.


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