Zu früheren Zeiten war es immer wieder die „Super Illu“, die den Zorn in Volkes Stimme auf den Punkt gebracht hat. Wie Mai 1991, als das Revolverblatt titelte „Angeber-Wessi mit Bierflasche erschlagen. Er protzte mit seinem BMW herum, beschimpfte seine Mitarbeiter als doofe Ossis. Ganz Bernau ist glücklich, dass er tot ist.“ Schockierend, aber wahr! Niemand hat die Warnung gehört.
Schon am Anfang in Bernau das Fanal „mit dem Angeber-Wessi“
Schon damals war die Stimmung im Osten am Brodeln. Inzwischen ist der Deckel vom Kochtopf geflogen, wie die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen von Anfang September bereits vorweg genommen haben. Heute geht es indessen eher um grundsätzliche Diskrepanzen - und aufgestauten Frust, der für Unmut sorgt. Das Gefühl, egal wieviel man zu leisten bereit ist: Andere sind immer vorneweg, weil sie als Kind „mit silbernem Löffel im Mund geboren worden sind“, so hört man es landläufig.
Wir sprechen von der Ungleichheit, die sich in nackten Zahlen beim unterschiedlichen Grundvermögen und dem Erben offenbart und dort am besten nachvollziehen lässt. „Im Westen konnte man in den 1960er bis 1990er Jahren durch Erwerbstätigkeit Vermögen aufbauen. In Ostdeutschland nicht“, weiß die Wohnsoziologin Christine Hannemann von der Universität Stuttgart.
900 Milliarden an Steuereinnahmen - nur neun Milliarden aus Erbschaftssteuer
Die nackten Zahlen sehen so aus: Gut 900 Milliarden Euro Steuern nimmt Vater Staat jährlich ein, davon stammen aber nur neun Milliarden aus der Erbschaftssteuer. Gefühlt, stimmt da was nicht: Denn jährlich werden Werte von 300 bis 400 Milliarden Euro weitervererbt. Woran das liegt? Zunächst wohl an den niedrigen Freibeträgen.
Eine Ehefrau genießt einen Steuerfreibetrag von 500.000 Euro, danach werden zunächst sieben Prozent Steuer auf höhere Summen völlig. Erst bei gut 26 Millionen Euro fällt der Spitzensteuersatz von 30 Prozent an. Dass es überhaupt nicht so weit kommt, dafür sorgen findige Steuerberater und Anwälte.
Steuergestaltung, Schenkung, Vorerbe - eine Art Gesellschaftsspiel der Wohlhabenden
Die Ausgestaltung des Erbes (durch Schenkung, Vorerbe und Stiftungsmodelle) gilt vor allem unter vermögenden Bürgern als eine Art Gesellschaftsspiel - die politische Steuerung und Einflussnahme auf die Höhe der Erbschaftssteuer gleichfalls. Obwohl das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bereits mehrfach die Ungleichheit beim Erben angeprangert hat, geht die Politik das Thema einfach nicht an.
Bemerkenswert: Obwohl 52,3 Prozent der Deutschen nie erben und gut die Hälfte der Gesamt-Erbsumme im Jahr unter den reichsten zehn Prozent der Bevölkerung aufgeteilt wird, gilt das Thema als Tabu und ist mehrheitlich sehr unpopulär. Nicht mal im Osten ist der Grundgedanke, das Rahmenwerk für die Zahlen zu verändern und gerechter zu gestalten, mehrheitsfähig. Dabei liegen Erbschaften in West - durchschnittlich - bei 92.000 Euro und in Ost bei 52.000 Euro. Und das auf Grundlage der Meldedaten. Ob es freilich wirklich immer Ossis sind oder nicht in den Osten gezogene Wessis - das geben die Daten des Statistischen Bundesamtes gar nicht her.
Soziologischer Befund: Ungleichheit führt in Ostdeutschland zur Gefahr für Demokratie
Der Münchner Soziologe Rudolf Stumberger, Autor des Buches „Wir Nicht-Erben. Kleiner Ratgeber zum Umgang mit tabuisierten Gefühlen“, warnt vor den absehbaren Folgen. „Erschreckend ist: Ballt sich Kapital zu sehr in wenigen Händen, ist die Macht ungleich verteilt, kann das für die Demokratie zur Gefahr werden. An den Wahlerfolgen für rechte Parteien sehen wir das dann. Soziale Ungleichheit kann zu Verbitterung führen.“ Für Schumberger „können leistungslose Vermögen das Leistungsprinzip verletzen, auf dem unsere Gesellschaft gründet - eine Wunde, eine Art Trauma“.
So kommt es, dass in der Bundesrepublik jedes Jahr gut 430.000 Immobilien im Wert von fast 70 Milliarden Euro vererbt werden. Zu 85 Prozent handelt es sich dabei um Wohnhäuser und Eigentumswohnungen, wobei die Verteilung zwischen Ost und West sich bei Häusern um Faktor Sieben und Wohnungen um das 18-Fache unterscheidet.
Ein Webfehler der Deutschen Einheit - zu spät um ihn noch zu korrigieren?
Es ist ein Webfehler der Deutschen Einheit, der sich kaum mehr strukturell korrigieren lässt. Natürlich haben sich auch im Osten viele Menschen in den vergangenen Jahren ein Häuschen zugelegt oder erarbeitet, in dem sie oft wohnen. Auf dem Land kann es sogar noch aus dem Erbe der Großeltern stammen. In den Städten sieht es freilich ganz anders aus. Im Osten gab es keine Mehrfamilienhäuser und vor allem keine Eigentumswohnungen in Privatbesitz und als Altersvorsorge. Er herrschten sogenanntes Volkseigentum und Genossenschaftsbau.
Einfach die Miet- in Eigentumswohnungen umzuwandeln, wie es im Westen seit den 1980er-Jahren Gang und Gäbe wurde, war selbstverständlich nicht gestattet. Der private Wohnungsbau in der DDR beschränkte sich folglich auf Ein- und Zweifamilienhäuser. Dies macht bis heute den Unterschied - im Osten werden deshalb deutlich weniger Immobilien vererbt.
Vor allem sind sie weniger wert. Prof. Schumberger beschreibt dies an einem sehr anschaulichen Beispiel: „Bei den aktuellen Immobilienpreisen läppert sich das: Klar, das Häuschen in der Uckermark vielleicht nicht - doch steht es in München, ist es leicht eine Million wert. Stellen Sie sich einfach zwei Krankenpfleger vor: selber Job, selbes Einkommen, selbe Lebenssituation. Dann erbt einer so ein Haus und kann sich plötzlich viel leisten. Waren die beiden vorher auf Augenhöhe, entsteht nun eine enorme soziale Kluft. Der Nicht-Erbe wird den Erben nie mehr einholen können, egal wie viele Überstunden er macht oder im Job aufsteigen wird“. Reine Glückssache oder eine Frage gesellschaftlicher Umstände?
Doch was, wenn diese gesellschaftliche Schieflage längst kein Zufall mehr ist? Was, wenn das vermeintliche „Glück“ des einen und der Nachteil des anderen systematischer Teil einer viel größeren Ungerechtigkeit sind? Eine Ungerechtigkeit, die tief in den Strukturen des wiedervereinigten Deutschlands verankert ist – und deren wahre Ausmaße erst jetzt langsam ans Licht kommen... Lesen Sie unsere Erkenntnisse im 2. Teil dieser Analyse.