Politik

Nato-Führungswechsel: Startet Rutte eine neue Ära?

Die Suche nach einem neuen Nato-Generalsekretär dauerte länger als ursprünglich gedacht. Nun kommt es jedoch zum erwarteten Wechsel. Dabei übernimmt eine Person, die in der Vergangenheit nicht immer diplomatisch agierte.
05.10.2024 13:44
Lesezeit: 3 min

Jens Stoltenberg (65) führte zehn Jahre lang die Nato, das weltweit mächtigste Verteidigungsbündnis. Jetzt hat der Norweger das Amt an Mark Rutte (57), den ehemaligen Premierminister der Niederlande, übergeben. Wird sich die Allianz unter Ruttes Führung verändern? Eine Anpassung in bestimmten Bereichen ist durchaus denkbar. Hier ein Überblick:

Die Nato-Führung und der Ukraine-Konflikt

Im Gegensatz zu Politikern wie Bundeskanzler Olaf Scholz und Ungarns Premier Viktor Orban, setzte sich Stoltenberg in den letzten zwei Jahren stark für umfangreiche militärische Unterstützung der Ukraine ein. Er vertrat die Auffassung, dass es in der aktuellen Lage wichtiger sei, die Ukraine mit Waffen zu versorgen, als bestimmte Nato-Vorgaben zu erfüllen. Stoltenberg argumentierte ähnlich auch im Hinblick auf eine Nato-Beitrittsperspektive für die Ukraine.

Wird der Nato-Führungswechsel diesen Kurs beibehalten? Die Ukraine hat Grund zur Hoffnung. Rutte wurde von der Tragödie um Flug MH-17 im Jahr 2014 tief geprägt, als eine russische Rakete über der Ostukraine ein Passagierflugzeug zum Absturz brachte. Von den 298 Opfern waren fast 200 Niederländer. Rutte betonte mehrfach, dass die Ukraine westliche Waffen gegen Russland ohne Einschränkungen einsetzen sollte. In seiner Amtszeit wurden niederländische F-16-Kampfflugzeuge an die Ukraine geliefert, und die Niederlande gehörten unter seiner Führung zu den größten Unterstützern Kiews.

Die Nato und die mögliche Rückkehr Trumps

Eine große Herausforderung für Rutte wird die Situation nach der US-Wahl im November sein, falls Donald Trump wieder ins Weiße Haus einzieht. Trumps Äußerungen in der Vergangenheit ließen Zweifel daran aufkommen, ob die USA unter ihm weiterhin fest zur Nato-Beistandsverpflichtung stehen würden. Bereits während seiner ersten Amtszeit (2017-2021) hatte Trump wiederholt europäische Länder wegen ihrer zu geringen Verteidigungsausgaben kritisiert und mit einem Austritt der USA aus dem Bündnis gedroht.

Stoltenberg erhielt in Trumps erster Amtszeit großen Respekt, weil er stets vermitteln konnte. Ob Rutte im Falle eines erneuten Wahlsiegs Trumps das gleiche Geschick beweist, wird sich zeigen. 2019 erklärte Trump jedoch bei einem Treffen, er und Rutte seien Freunde geworden und bezeichnete die Beziehungen zwischen den Niederlanden und den USA als hervorragend.

Die Nato und finanzielle Herausforderungen

Unabhängig vom Ausgang der US-Wahl wird Rutte sich dem Thema Verteidigungsausgaben widmen müssen. Doch als Ministerpräsident tat er sich bei diesem Thema schwer: 2018 gaben die Niederlande nur 1,2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung aus. Erst in diesem Jahr könnte das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreicht werden.

In Stoltenbergs Amtszeit stiegen die Verteidigungsausgaben der Nato-Staaten erheblich an, besonders nach dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022. Stoltenberg stellte kürzlich fest, dass selbst zwei Prozent des BIP nicht ausreichen, um die Sicherheit und Abschreckung der Nato langfristig zu gewährleisten.

Die Nato und Konflikte mit Ungarn und der Türkei

Rutte wird sich auch mit schwierigen Beziehungen zu den Regierungschefs von Ungarn und der Türkei auseinandersetzen müssen. Sein Verhältnis zu Viktor Orban und Recep Tayyip Erdogan gilt als angespannt. Rutte äußerte sich nach der Einführung eines homosexuellenfeindlichen Gesetzes in Ungarn kritisch und stellte infrage, ob Ungarn noch in die EU gehöre. Zudem hatte er Streitigkeiten mit Erdogan, weil dieser ein Verbot für türkische Wahlkampfauftritte in den Niederlanden kritisiert hatte.

Ob Rutte als Nato-Generalsekretär ähnlich erfolgreich sein wird wie Stoltenberg, hängt davon ab, ob er sich als Vermittler aller Nato-Mitglieder versteht. Die USA dominieren zwar militärisch, aber das Konsensprinzip der Nato gibt jedem Mitglied das Recht, Beschlüsse zu blockieren. Die Hauptaufgabe des Nato-Generalsekretärs ist daher, politische Einigungen zu koordinieren und sicherzustellen, dass selbst bei schwierigen Themen Kompromisse gefunden werden.

Stoltenberg beherrschte diese Rolle und löste immer wieder Blockaden. Zuletzt gelang es ihm, Ungarn und die Türkei zur Aufhebung ihres Vetos gegen den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands zu bewegen.

Nato-Führungswechsel und die globalen Herausforderungen

Einer der schwierigsten Momente während Stoltenbergs Amtszeit war der von den USA erzwungene Nato-Abzug aus Afghanistan, der die Taliban wieder an die Macht brachte. Rutte wird sich mit diesem Thema weniger beschäftigen müssen, allerdings könnte der Druck aus Washington zunehmen, die Nato stärker gegen Bedrohungen aus China zu positionieren. Dies dürfte für Rutte eine schwierige Gratwanderung werden, da Länder wie Frankreich und Deutschland dem harten US-Kurs gegenüber China eher skeptisch gegenüberstehen.

Nach dem Nato-Führungswechsel wird Stoltenberg voraussichtlich weiter Einfluss auf Sicherheitsfragen nehmen. Medienberichten zufolge soll er 2025 Christoph Heusgen als Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz ablösen. Berichte dazu wurden der Deutschen Presse-Agentur bestätigt. Die Münchner Sicherheitskonferenz hat sich seit ihrer Gründung im Jahr 1963 zu einem der wichtigsten Foren für globale Sicherheitspolitik entwickelt.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Wahlen in Polen: Enges Rennen bei der Präsidentschaftswahl in Polen - es kommt zur Stichwahl
18.05.2025

Bei den Wahlen in Polen liefern sich der liberale Rafal Trzaskowski und der konservative Karol Nawrocki laut aktuellen Prognosen ein...

DWN
Politik
Politik „Trump ist nur eine Episode“: Boltons Abrechnung mit dem Mann im Weißen Haus
18.05.2025

Während Europa nervös auf jeden Tweet aus Washington reagiert, warnt Ex-Sicherheitsberater John Bolton: Nicht Trump sprengt die NATO –...

DWN
Technologie
Technologie Cyberkriminalität: Nur ein Klick von der Katastrophe entfernt
18.05.2025

Cyberkriminalität ist zur globalen Supermacht aufgestiegen – mit höherem Schaden als die Volkswirtschaften Deutschlands und Japans...

DWN
Panorama
Panorama Whisky – die stets liquide Luxus-Geldanlage
18.05.2025

Wein, Uhren, Schmuck, Handtaschen, Kunst, Oldtimer – es gibt viele Möglichkeiten, in alternative Geldanlagen zu investieren. Die meisten...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Marokko als chinesisches Tor zur EU – doch Handelskrieg könnte Riegel vorschieben
18.05.2025

Peking investiert Milliarden in Marokkos Industrie – doch geopolitische Spannungen und der drohende Protektionismus eines möglichen...

DWN
Politik
Politik Gefängnis, Gericht, Geschichte – Stammheim 50 Jahre nach dem RAF-Prozess
18.05.2025

Vor 50 Jahren begann in Stammheim der RAF-Prozess – ein juristisches Mammutverfahren gegen den Terror. Wie viel Rechtsstaat blieb im...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Analyse: „Die alte Weltordnung ist am Ende – und sie wird nicht zurückkehren“
18.05.2025

Das Zeitalter des freien Welthandels ist vorbei – die Welt wird neu vermessen. China produziert, die USA rüsten sich, und Europa...

DWN
Politik
Politik Handelskriege auf Risiko – Trumps russisches Roulette mit der US-Wirtschaft
18.05.2025

Mit Zöllen, Drohungen und Handelskriegen will Washington die Industrie heimholen. Doch was, wenn der Revolver in der Hand des Präsidenten...