Panorama

Warum die Zeit gefühlt rast – und wie man sie etwas aufhält

Schon wieder Weihnachten, Silvester, neues Jahr? Viele Menschen schauen zum Jahreswechsel ungläubig auf den Kalender. Dass die Monate gefühlt nur so verfliegen, hat einen Grund, sagt ein Zeit-Forscher.
01.01.2025 14:15
Aktualisiert: 01.01.2025 15:05
Lesezeit: 3 min
Warum die Zeit gefühlt rast – und wie man sie etwas aufhält
Zeit fliegt, heißt es. Vor allem gilt: Time flies when you are having fun! (Foto: dpa) Foto: Sebastian Kahnert

Eine Frage wird Marc Wittmann wieder und wieder gestellt: Warum vergeht die Zeit gefühlt immer schneller? Das scheine eine universelle Erfahrung zu sein, erzählt der Medizinpsychologe und kognitive Neurowissenschaftler, der seit mehr als 30 Jahren die menschliche Wahrnehmung der Zeit erforscht. Schon Thomas Mann habe das Phänomen vor einem Jahrhundert in "Der Zauberberg" beschrieben. Besonders präsent wird das vielen Menschen rund um Weihnachten und Silvester: Moment mal, kann denn schon wieder ein Jahr vorbei sein? War nicht eben noch Neujahr, Sommer, wenigstens Herbst?

In einer Studie fand Wittmann, der am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg arbeitet, bereits 2005 heraus: "Vor allem die vergangenen zehn Jahre sind sensitiv für unsere Zeitwahrnehmung. Je älter wir werden, desto schneller gehen diese zehn Jahre vorüber." Dieser Effekt beginne in der Teenagerzeit und erreiche erst mit 60 bis 70 Jahren ein Plateau. "In den 20ern, 30ern, 40ern und 50ern wird es stetig subjektiv schneller", berichtet der Wissenschaftler.

Routine als "Zeitkiller"

Doch warum ist das so? Zumindest eine Antwort lässt sich laut Wittmann nach aktuellem Forschungsstand geben: "Routine ist ein Zeitkiller." Für die Zeitwahrnehmung in der Rückschau seien Gedächtniseindrücke relevant, das hätten viele Untersuchungen gezeigt. "Und je mehr Neues wir in einem Zeitraum erleben, desto länger kommt uns dieser Zeitraum hinterher vor. Das kennen wir alle von einem Wochenende mit Freunden: Alles ist neu, man erlebt tolle Dinge. Später kommt es einem vor, als sei man ewig weg gewesen."

Denselben Zusammenhang wiesen die Wissenschaftlerinnen Dinah Avni-Babad und Ilana Ritov 2003 in einer Erhebung mit Strandurlaubern nach: Die ersten Ferientage erschienen den Teilnehmern gedehnt, da sie viele Erinnerungen schafften. Doch je länger der Urlaub fortschritt, desto mehr verkürzten sich die Tage subjektiv - weil sich eine Art Freizeitroutine entwickelt hatte.

So verhalte es sich auch über das Lebensalter hinweg, entdeckte Wittmann: Im Teenageralter und als junger Erwachsener erlebe man häufig einprägsame Erstmaligkeiten. "Doch irgendwann merken wir: Mensch, ich wohne seit 30 Jahren an demselben Ort, habe denselben Job und dieselben Freunde. Dann vergeht die Zeit gefühlt schneller, weil wir nichts Neues mehr besonders abspeichern", sagt der Wissenschaftler.

Auch Gefühle spielen eine Rolle

Das Phänomen gebe es sogar zwischen den Jahren: "Dazu habe ich keine gesonderten Studien gemacht, aber viele Menschen machen diese Erfahrung." Wer Traditionen pflegt oder schlicht Ruhe an den Feiertagen haben will, für den können sich die Tage zwischen Weihnachten und Silvester also kurz anfühlen. "Oder was vielleicht das Beste ist: Man verliert das Gefühl für die Zeit", meint Wittmann. Lerne man hingegen etwa im Skiurlaub an einem zuvor unbekannten Ort neue Menschen kennen, könnten sich die Tage in der Rückschau durchaus ziehen.

Dabei spielt auch die Emotionalität dem Buchautor ("Wenn die Zeit stehen bleibt") zufolge eine wichtige Rolle. "Alle Untersuchungen zur Corona-Pandemie in England, Italien, Frankreich und unsere für Deutschland haben gezeigt: Je schlechter es den Menschen ging, desto langsamer verging die Zeit für sie. Doch es kann auch genau umgekehrt sein. Als ich zum Beispiel nach San Diego an die Universität ging, verging das erste Jahr unglaublich langsam, weil alles neu war. Aber ich erinnere mich gern daran."

Die Zeit stoppen - oder besser nutzen

Wer die Zeit am liebsten aufhalten würde, kann das – zumindest etwas. Der Schlüssel liege darin, das Leben immer ein wenig zu ändern. "Rituale können gut sein und Sicherheit geben. Aber vielleicht kann man zur Abwechslung mit dem Nachbarn sprechen, mit dem man sonst nie Kontakt hat. Es geht darum, auch im Erwachsenenleben einen Neuartigkeitseffekt herbeizuführen, so vergeht die Zeit langsamer und man fühlt sich besser dabei", rät Wittmann.

Und auch für jene Momente in der Schlange oder im Stau, in denen Minuten sich wie Kaugummi ziehen können, hat der Experte einen Tipp: "In einer Kassenschlange steht man im Durchschnitt vier Minuten, das ist eigentlich nichts. Sonst beschwere ich mich, dass die Zeit zu schnell vergeht, aber hier habe ich mal Momente nur für mich! Das nennt man kognitives Restrukturieren, man übt, diese Minuten zu nutzen, zu überlegen, wie es einem heute ging, was man noch vorhat." So komme man fast schon meditativ zu sich – und könne selbst in einer sonst nervigen Situation Entspannung finden.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Trump vs. Powell: Der nächste Angriff auf die US-Notenbank
15.07.2025

Trump bringt Fed-Chef Powell erneut ins Visier – diesmal mit einem Trick über Baukosten. Dahinter steckt mehr als ein Haushaltsstreit:...

DWN
Politik
Politik Letta warnt: NATO-Aufrüstung und Trump könnten Europa ruinieren
15.07.2025

Italiens ehemaliger Ministerpräsident Enrico Letta schlägt Alarm: Europas größte Staaten können die NATO-Vorgaben nicht erfüllen –...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bundesbank: Deutsche Exportwirtschaft verliert deutlich an globaler Stärke
14.07.2025

Die deutsche Exportwirtschaft steht laut einer aktuellen Analyse der Bundesbank zunehmend unter Druck. Branchen wie Maschinenbau, Chemie...

DWN
Immobilien
Immobilien Gebäudeenergiegesetz: Milliardenprojekt für 1,4 Billionen Euro – hohe Belastung, unklare Wirkung, politisches Chaos
14.07.2025

Die kommende Gebäudesanierung in Deutschland kostet laut Studie rund 1,4 Billionen Euro. Ziel ist eine Reduktion der CO₂-Emissionen im...

DWN
Politik
Politik EU plant 18. Sanktionspaket gegen Russland: Ölpreisobergrenze im Visier
14.07.2025

Die EU verschärft den Druck auf Moskau – mit einer neuen Preisgrenze für russisches Öl. Doch wirkt die Maßnahme überhaupt? Und was...

DWN
Technologie
Technologie Datenschutzstreit um DeepSeek: Deutschland will China-KI aus App-Stores verbannen
14.07.2025

Die chinesische KI-App DeepSeek steht in Deutschland unter Druck. Wegen schwerwiegender Datenschutzbedenken fordert die...

DWN
Finanzen
Finanzen S&P 500 unter Druck – Sommerkrise nicht ausgeschlossen
14.07.2025

Donald Trump droht mit neuen Zöllen, Analysten warnen vor einer Sommerkrise – und die Prognosen für den S&P 500 könnten nicht...

DWN
Politik
Politik Wenn der Staat lahmt: Warum die Demokratie leidet
14.07.2025

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnt eindringlich vor den Folgen staatlicher Handlungsunfähigkeit. Ob kaputte Brücken,...