Update 17.05.25: Abschaffung des Acht-Stunden-Tags: Merz visiert radikale Veränderung an
Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung enthält viele kleine Fallstricke, die sich bei der Umsetzung als problematisch erweisen könnten. Ein Beispiel ist die Wochenarbeitszeit, die Merz im Wahlkampf hervorgehoben hat. Im Herbst 2024 äußerte er sich gegenüber der Bild am Sonntag: „Ich habe auch vielleicht mehr gearbeitet als acht Stunden am Tag. Ich habe es gerne gemacht, und ich habe auch Glück gehabt.“ Zudem stellte er die Frage: „Warum leisten wir heute eigentlich mit 45 Millionen Erwerbstätigen nicht mehr Arbeitsstunden als vor 30 Jahren? Da hatten wir sieben Millionen Erwerbstätige weniger.“
Abschaffung des Acht-Stunden-Tags: Ein Bruch mit 100 Jahren Tradition
Damit würde Deutschland mit einer langen Tradition brechen: Seit 1918 gilt für Arbeiter der Acht-Stunden-Tag. Diese Idee wurde im 19. Jahrhundert vom britischen Sozialrechtler Robert Owen populär gemacht, der für den Slogan „Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit und Erholung und acht Stunden Schlaf“ bekannt ist.
Aktuell gilt in Deutschland eine tägliche Arbeitszeit von maximal acht Stunden. In Ausnahmefällen dürfen Arbeitnehmende bereits auch mal zehn Stunden am Stück arbeiten, wenn sie im Schnitt innerhalb von 24 Stunden nicht mehr als acht Stunden gearbeitet haben (die Überstunden müssen also ausgeglichen werden).
In der EU gibt es keine tägliche Höchstarbeitszeit, sondern eine wöchentliche Höchstarbeitszeit. Alle 7 Tage dürfen demnach Arbeitnehmende maximal 48 Stunden einschließlich Überstunden leisten. Dies würde bei einer Umgestaltung des deutschen Rechts auch die zu einhaltende Devise sein.
Neues Arbeitszeitgesetz: Wird der 8-Stunden-Tag abgeschafft?
Seine Einführung war ein Triumph der Arbeiterbewegung, inzwischen ist er längst Standard: Der Acht-Stunden-Tag regelt für die allermeisten Beschäftigten in Deutschland, wann Feierabend ist. Doch diese Regel steht infrage. Denn Union und SPD wollen das Arbeitszeitgesetz ändern und längere Arbeitstage möglich machen.
Auch die ehemalige Ampel-Koalition hatte, vor allem auf Betreiben der FDP, eine Reform geplant. Doch bevor die zur Umsetzung kommen konnte, zerbrach die Koalition. Schwarz-Rot will jetzt die Neuauflage angehen.
Arbeitszeitgesetz: Union und SPD wollen Wochenarbeitszeit als Maßstab
Das Arbeitszeitgesetz setzt Grenzen, die vielen zu starr sind. Deutschland ist dabei strenger als es die EU vorschreibt. Das soll sich jetzt ändern, wenn es nach den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD geht. Im Arbeitspapier wird die wöchentliche Höchstarbeitszeit erwähnt, die die täglichen Grenzen ablösen und auch neue und flexiblere Arbeitszeitmodelle ermöglichen könnte. Im Sondierungspapier heißt es dazu, Beschäftigte und Unternehmen würden sich mehr Flexibilität wünschen: „Deshalb wollen wir im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit schaffen – auch und gerade im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“
Genau das sieht die EU-Arbeitszeitrichtlinie vor und gibt den Ländern damit auch einen Spielraum für die Gestaltung der nationalen Regelungen. Das deutsche Arbeitszeitgesetz geht derzeit über die EU-Vorgaben hinaus und setzt strengere Regelungen um. Anders als das deutsche Gesetz legt die europäische Arbeitszeitrichtlinie nur fest, dass in einem Sieben-Tage-Zeitraum nicht mehr als 48 Stunden gearbeitet werden darf. Eine Höchstbegrenzung pro Tag gibt es darin nicht.
Union und SPD: Niemand soll gezwungen werden, mehr zu arbeiten
In den Details für eine Reform des Arbeitszeitgesetzes sind die Verhandlungspartner von Union und Sozialdemokraten allerdings noch uneins. Das zeigt der vielfarbige Text, mit dem die Verhandlungsgruppe Arbeit und Soziales in der vergangenen Woche ihre Arbeit abschloss. Die SPD will die geplanten neuen Regelungen nach einem Jahr evaluieren und macht eine elektronische Erfassung von Arbeitszeit zur Bedingung für die Lockerung.
Die Union dagegen will eine „unbürokratische“ Erfassung der Arbeitszeit und weitere Ausnahmen vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit, zum Beispiel im Bäcker-Handwerk.
Zuspruch aus der Wirtschaft: 8-Stunden-Tag nicht mehr zeitgemäß
Arbeitgeberverbände fordern seit langem eine entsprechende Änderung des Arbeitszeitgesetzes. So kämpft der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks seit Jahren für eine Reform des Arbeitszeitgesetzes. Im Blick haben sie die starren Grenzen, die Handwerksbäcker ihnen die Sonntagsarbeit erschweren. Anders als Backshops dürfen handwerklich arbeitende Betriebe am Sonntag nur drei Stunden für ihre Kernarbeiten in der Backstube aufwenden. Dieser Wettbewerbsnachteil steht schon lange in der Kritik und könnte nun von der neuen Bundesregierung angegangen werden.
Auch der Handel spricht sich für eine wöchentliche statt tägliche Höchstarbeitszeit und mehr Flexibilität aus. Einen entsprechenden Vorschlag aus der Sondierungsvereinbarung von Union und SPD „finden wir sehr gut“, sagte der Präsident des Handelsverbands Deutschland (HDE), Alexander von Preen, der Funke Mediengruppe.
ZDH: Mehr Flexibilität und keine Arbeitszeiterhöhung
Notwendig wäre auch aus Sicht des Zentralverbands des Deutschen Handwerks eine Modernisierung hin zu einer praxisnahen und zeitgemäßen Gestaltung der Arbeitszeiten. Das würde Betrieben und Beschäftigten mehr Spielraum geben, ohne dabei die Gesamtarbeitszeit zu erhöhen, teilt der Verband mit. Für eine Umsetzung in der Praxis sind aber auch tarifvertragliche Öffnungsklauseln wichtig. Denn sie bringen gesetzliche Möglichkeiten branchenspezifisch formuliert in den Alltag der Beschäftigten.
Dabei geht es laut ZDH nicht um eine Arbeitszeiterhöhung, sondern nur um eine flexiblere Handhabung der bestehenden Arbeitszeitregelungen. Deshalb sollten auch Ruhezeitregelungen stärker tariflich gestaltbar sein, genauso wie branchenspezifische Ausnahmeregelungen für Sonn- und Feiertagsarbeit.
Bauwirtschaft für wöchentliche Höchstarbeitszeit und längere freie Wochenenden
Profitieren würde auch die Bauwirtschaft. Und so begrüßt auch der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes den Vorschlag, den Spielraum der EU-Arbeitszeitrichtlinie zu nutzen und die Höchstarbeitszeit auf eine wöchentliche statt tägliche Basis festzulegen. „Dies würde mehr Flexibilität schaffen – etwa für Arbeitnehmer, die auf weiter entfernten Baustellen tätig sind, indem längere freie Wochenenden ermöglicht werden. Zudem könnten Bauprojekte effizienter abgewickelt, Verzögerungen unter der Woche ausgeglichen und entfernte Aufträge schneller abgeschlossen werden“, erläutert Heribert Jöris, Geschäftsführer Sozial- und Tarifpolitik im ZDB.
Nicht zuletzt ließe sich ihm zufolge so auch die Option einer 4-Tage-Woche innerhalb der regulären 40-Stunden-Woche besser umsetzen, ohne dass geringfügige Zeitüberschreitungen zum Problem werden. „Da sich jedoch durch eine solche flexiblere Gestaltung nicht der Arbeitsaufwand an sich verringert, löst dies volkswirtschaftlich gesehen den steigenden Fachkräftebedarf im Handwerk nicht“, mahnt der Verband.
Gewerkschaften alarmiert: Was die Pläne für Beschäftigte bedeuten
Alles viel flexibler, für die, die mehr arbeiten wollen, aber keine Nachteile für die anderen? Bei den Gewerkschaften glaubt man nicht daran. Der Deutschen Gewerkschaftsbund ist alarmiert über die Pläne der angehenden Koalitionäre. „Das Arbeitszeitgesetz ist keine politische Verhandlungsmasse“, sagt DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi der Berliner Morgenpost. „Es ist ein Schutzgesetz, das Erholung und Gesundheit sichert, und fußt auf arbeitsmedizinischen Erkenntnissen.“
Schon jetzt kämen in zu vielen Branchen Beschäftigte längst an ihre Belastungsgrenze. „Dort droht ein Kollaps mit einer weiteren beliebigen Ausweitung der Arbeitszeiten“, warnt Fahimi.
Fazit: Der Plan von Merz könnte letztlich eine Vier-Tage-Woche bedeuten, ohne zu mehr Arbeit zu führen
Eine IW-Studie befasst sich hauptsächlich mit einer verpflichtenden Einführung der Vier-Tage-Woche, die hier nicht zur Debatte steht. Dennoch lässt sich daraus ableiten, dass es wenig Interesse an einer Verdichtung der Arbeitszeit auf Arbeitgeberseite gibt – der zusätzliche Tag, an dem die Mitarbeiter fehlen würden, könnte sich negativ auf die Produktivität auswirken.
Ob der Plan von Merz und seinen Mitstreitern letztlich aufgeht – nämlich dass die Deutschen durch die Einführung einer Wochenhöchstarbeitszeit insgesamt mehr arbeiten – bleibt fraglich. Den Unternehmen würde jedoch die Freiheit gegeben, ihren Mitarbeitern zumindest die Möglichkeit zu bieten, anders zu arbeiten als bisher im Acht-Stunden-Tag verankert. Wie viele diese Option letztlich nutzen werden, bleibt abzuwarten.