Der deutsche Arbeitsmarkt steckt in der Krise – und das längst nicht mehr nur auf dem Papier. Während Unternehmen händeringend nach qualifizierten Mitarbeitenden suchen, bleibt eine Gruppe systematisch unter dem Radar: Freelancer. Sie sind hochqualifiziert, flexibel und sofort einsatzbereit. Doch obwohl sie für viele Firmen längst unverzichtbar sind, werden sie politisch ignoriert und wirtschaftlich klein gehalten. Eine paradoxe Situation – mit fatalen Folgen.
Die stille Reserve: Wer hält den Laden eigentlich am Laufen?
Es gibt sie in jeder Branche: Menschen, die einspringen, wenn’s eng wird. Die kurzfristig Projekte übernehmen, Expertise liefern, Brücken schlagen, Prozesse retten. Freelancer sind genau solche Menschen. Sie arbeiten in IT, im Marketing, in HR, im Consulting – und füllen die Lücken, die der Fachkräftemangel reißt.
Doch während Unternehmen längst auf ihre Dienste angewiesen sind, behandelt man sie vielerorts wie Bittsteller. Freelancer sind nicht angestellt, nicht abgesichert, und meist auf sich allein gestellt – aber trotzdem unersetzlich. Diese Absurdität zeigt sich besonders drastisch in der neuen Freelancer-Studie 2025 von freelance.de, die den Finger tief in die Wunde legt.
Stagnierende Honorare in einem boomenden Markt
Man sollte meinen, dass ein wachsender Bedarf an Fachkräften auch zu besseren Konditionen für jene führt, die diese Lücken schließen. Doch die Realität sieht anders aus: Nur 27 Prozent der befragten Freelancer konnten ihren Stundensatz im letzten Jahr erhöhen. Ein herber Rückschritt gegenüber den 38 Prozent aus 2024.
Fast drei Viertel arbeiten also zu gleichbleibenden oder sogar schlechteren Konditionen – in einem Arbeitsmarkt, der angeblich unter massiver Knappheit leidet. Ganze 11 Prozent mussten ihre Preise sogar senken. Die durchschnittliche Erhöhung lag bei gerade einmal 13 Prozent, während die Senkungen im Schnitt 18 Prozent betrugen.
Das bedeutet: Selbstständige tragen immer mehr Verantwortung, aber verdienen im Verhältnis dazu immer weniger. Der Arbeitsmarkt braucht sie – aber erkennt sie nicht an.
Gender Pay Gap: Geschlechterungleichheit in der Freelance-Branche
Als wäre das nicht schon bitter genug, offenbart die Studie auch eine klare Geschlechterungerechtigkeit. Während männliche Freelancer durchschnittlich 102,29 € netto pro Stunde verdienen, bekommen weibliche Kolleginnen nur 94,24 € – ein Gender Pay Gap von 8 Prozent, trotz vergleichbarer Qualifikation und Berufserfahrung.
Besonders deutlich ist dieser Unterschied in klassischen „Soft Skill“-Branchen wie Marketing, Kommunikation oder Coaching. Dort sind es nicht selten 10 Prozent und mehr, die Frauen weniger verdienen. In einem Markt, der angeblich keine Fachkräfte findet, wird also nicht nur unter-, sondern auch ungleich bezahlt.
Politisches Desinteresse: Freelancer als Nebenschauplatz
Und was unternimmt die Politik? Der Fokus liegt derzeit stark auf Themen wie Einwanderungsgesetzen und Umschulungsmaßnahmen – dabei bleibt das Potenzial, das direkt vor Ort vorhanden ist, oft ungenutzt. Laut aktuellen Zahlen fühlen sich 66 Prozent der Freelancer von der Politik nicht ausreichend unterstützt – ein Anstieg im Vergleich zu 61 Prozent im Vorjahr.
Gründe gibt es viele: Die Angst vor Scheinselbstständigkeit, die unsichere rechtliche Lage, die mangelnde soziale Absicherung und hohe Steuerlast sind nur einige davon.
48 Prozent nennen die rechtliche Unsicherheit als eine der größten Hürden, 47 Prozent klagen über die steuerliche Belastung. Es entsteht ein Bild von einem Arbeitsmarkt, der auf der einen Seite von Flexibilität und Innovation spricht – und auf der anderen Seite jene ausbremst, die genau das liefern.
Wer braucht wen? Eine unbequeme Wahrheit
„Die Ergebnisse unserer Studie zeigen ganz deutlich: Freelancer sind ein essenzieller Bestandteil der Wissensökonomie – hochqualifiziert, flexibel, engagiert“, sagt Robin Gollbach, CEO von freelance.de. „Doch sie brauchen endlich verlässliche politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Wer den Fachkräftemangel ernsthaft angehen will, darf diese Arbeitsform nicht länger ignorieren oder behindern.“
Was er damit meint, ist klar: Der Fachkräftemangel wird nicht durch neue Ausbildungsprogramme oder Bürokratie gelöst. Sondern durch die Anerkennung und Integration derjenigen, die längst arbeiten – nur eben selbstständig.
Doch diese Anerkennung bleibt aus. Freelancer sind für viele Unternehmen eher Notlösung als Wunschlösung. Ein bequemes Auffangnetz in der Krise – aber keines, das man stärken oder absichern will. Stattdessen herrscht Misstrauen. Dabei bräuchte es längst ein Umdenken.
Krise mit Ansage – aber noch ohne Konsequenzen
Der Fachkräftemangel ist eine Realität, die Unternehmen spüren und die Wirtschaft zunehmend belastet. Dabei gäbe es bereits heute Lösungen, die stärker in den Fokus rücken sollten. Eine davon: Freelancer. Sie könnten einen wichtigen Beitrag leisten – wenn man ihnen mehr Wertschätzung, rechtliche Sicherheit und stabile Rahmenbedingungen bieten würde.
Solange das nicht geschieht, bleibt das Potenzial dieser Arbeitsform weitgehend ungenutzt – zum Nachteil nicht nur der Selbstständigen, sondern auch der Wirtschaft insgesamt.
Der Fachkräftemangel ist nicht allein ein zahlenmäßiges Problem, sondern auch eine Frage der Prioritäten. Wer Freelancing weiterhin nur als Randerscheinung betrachtet, verkennt die Realität. Selbstständige sind längst ein fester Bestandteil unseres Arbeitsmarkts. Was es jetzt braucht, ist ein Umdenken: mehr Fairness, verlässliche Strukturen und ein respektvoller Umgang.
Die Politik ist gefordert, die richtigen Weichen zu stellen – nicht zuletzt, um dem Fachkräftemangel wirksam zu begegnen.