Politik

Handelskriege auf Risiko – Trumps russisches Roulette mit der US-Wirtschaft

Mit Zöllen, Drohungen und Handelskriegen will Washington die Industrie heimholen. Doch was, wenn der Revolver in der Hand des Präsidenten längst auf die eigene Wirtschaft gerichtet ist? Eine Analyse über protektionistische Illusionen, geopolitische Abhängigkeiten – und ein Amerika am Rand der Selbsttäuschung.
18.05.2025 05:56
Lesezeit: 3 min
Handelskriege auf Risiko – Trumps russisches Roulette mit der US-Wirtschaft
Mit Zöllen und Drohungen will Donald Trump die US-Industrie zurück ins Land holen. (Foto: dpa/ Alex Brandon) Foto: Alex Brandon

Das russische Roulette des US-Präsidenten

Lange Zeit galten die Aussagen von US-Präsident Donald Trump zur Industrie- und Handelspolitik als schwer greifbar – oft als bloße Rhetorik, die später in Ausnahmeregelungen, Aufschübe oder halbtransparente bilaterale Abkommen mündete. Es handelte sich vielmehr um eine Einladung an die Weltmärkte, sich an den Verhandlungstisch zu setzen – unter der stillschweigenden Bedingung, gut überlegte wirtschaftliche Geschenke mitzubringen.

Inzwischen jedoch präsentiert sich Donald Trump in seiner zweiten Amtszeit als kompromissloser Handelsreformer, der mit einem geladenen Revolver droht – einer Waffe, die zuweilen auch auf die eigene Seite zielt. Zwar bestehen die Projektile oft aus bloßen Worten und Drohungen, doch auch verbale Eskalationen können reale wirtschaftliche Schäden verursachen.

Ein markantes Beispiel bietet der litauische Kühltechnikhersteller „Freor“, der 2024 eine Expansion in den US-amerikanischen und israelischen Markt plante. Nach Trumps Äußerungen zur Nahostpolitik folgte prompt eine Flut neuer Aufträge – ein Indiz dafür, wie sensibel Investoren auf politische Aussagen reagieren. Gerade im Supermarktbau werden wirtschaftliche Stabilität und Kaufkraft unmittelbar in Investitionsentscheidungen übersetzt.

Das weltweite Geschäftsklima bleibt damit hochgradig volatil – und strukturelle Veränderungen im internationalen Handel stehen unmittelbar bevor.

Industrie im Rückwärtsgang

Die US-Regierung setzt auf massive Importzölle, um Produktionskapazitäten zurück ins Land zu holen. Dabei wird die Rolle der eigenen Industrie am gegenwärtigen Niedergang bewusst ausgeblendet – ebenso wie historische Erfahrungen aus der Reagan-Ära. In den 1980er-Jahren versuchte die damalige Administration durch Einfuhrbeschränkungen für Stahl und Automobile, die heimische Industrie vor der ausländischen Konkurrenz zu schützen. Doch die US-Hersteller versagten – die Chance zur Modernisierung wurde vertan.

Diese historische Niederlage markierte den Beginn der massiven Abhängigkeit von ausländischer Produktion – ein strukturelles Problem, das heute das Fundament des US-Handelsdefizits bildet. 2024 entfielen 77,5 % des 1,2 Billionen Dollar umfassenden Defizits auf Importe von Stahl, Autos, Elektrogeräten und Medikamenten. Nur etwa die Hälfte der in den USA verkauften Neuwagen wurde im Inland produziert – meist mit importierten Komponenten.

Die Industriepolitik versagte systematisch: Gewerkschaften blockierten Reformen, Unternehmen investierten nicht in neue Technologien, und eine breite Trägheit lähmte Innovationen. Während sich asiatische Konkurrenten modernisierten und Robotertechnologie vorantrieben, zogen sich US-Firmen aus dieser Schlüsseltechnologie zurück. Ausgerechnet Japan, Südkorea und China wurden zu den neuen Robotikzentren – auf Basis amerikanischer Patente.

Auch frühzeitige US-Initiativen im Bereich Elektromobilität scheiterten. So stellte GM bereits 1996 ein kommerzielles E-Auto vor, gab das Projekt jedoch mangels Perspektive auf. Milliarden-Investitionen verliefen im Sand.

Heute steht die These im Raum, dass jetzt der richtige Zeitpunkt sei, industrielle Wertschöpfungsketten zurückzuholen – gestützt auf ein historisch hohes US-Vermögen. Doch dabei stellt sich eine entscheidende Frage: Ist das überhaupt finanzierbar?

Zwischen Reichtum und Prekariat

Das Nettovermögen der US-Haushalte erreichte Ende 2024 ein Allzeithoch, getragen von steigenden Aktienkursen und Immobilienpreisen. Die Arbeitslosenquote blieb auf Rekordtief, die Schuldenquote gemessen am Vermögen gering.

Doch diese Zahlen täuschen über tieferliegende Probleme hinweg. Die ökonomische Realität der Mittelschicht und unteren Einkommensschichten weicht deutlich von der aggregierten Statistik ab. Während die Reichen reicher wurden, bleibt die Kaufkraft vieler Amerikaner eingeschränkt. Große Teile des Vermögenszuwachses bestehen aus illiquiden Werten, die sich im Alltag nicht in bares Geld umwandeln lassen.

Die unteren 50 % der Bevölkerung besitzen gerade einmal 1 % des gesamten Finanzvermögens. Laut Konsumklimastudien der Universität Michigan sind zwei Drittel der einkommensschwächsten Haushalte wirtschaftlich zutiefst pessimistisch – ein Niveau, das zuletzt während der Finanzkrise 2008 erreicht wurde.

Eine Studie des Think Tanks „People’s Policy Project“ kommt zu dem Schluss, dass rund 59 % der US-Erwachsenen von Gehalt zu Gehalt leben – definiert als Mangel an Rücklagen für Notfälle oder fehlende finanzielle Puffer in Höhe von 2.000 Dollar.

Vor diesem Hintergrund erscheint ein umfassender Zollkrieg als wirtschaftlich riskantes Unterfangen – mit erheblichem Rezessionspotenzial.

Neue Spielregeln der Diplomatie

Donald Trump setzte bei der Verkündung seiner, später aufgeschobenen, weltweiten Zölle auf konfrontative Rhetorik: Die Partnerländer wurden der unlauteren Praktiken bezichtigt, die USA als Opfer inszeniert. Doch auf der Gegenseite wächst das strategische Verständnis – Geschenke werden mitgebracht, aber ebenso Gegenzölle und neue wirtschaftliche Allianzen.

In Europa wird indes diskutiert, wie weit ein wirtschaftlicher Gegenschlag gegen die USA überhaupt zielführend wäre. Der Präsident des litauischen Industrieverbands, Vidmantas Janulevičius, plädiert für strategische Zurückhaltung: „Oft siegt das Gute langfristig. Der wahre Gegner heißt China. Möglich ist auch eine Allianz mit China gegen Russland – doch davon ist für Europa wenig zu gewinnen.“

Zugleich wird betont, dass Europa eigene Produktionskapazitäten aufbauen müsse – doch ohne China ist das derzeit kaum realistisch. Die Volksrepublik verfügt über die Kontrolle zentraler Rohstoffe wie Seltener Erden, die für Rüstungs-, Elektro- und Hochtechnologie essenziell sind.

Auch der grüne Umbau Europas ist gefährdet. Gediminas Uloza, Geschäftsführer des Energieunternehmens „E energija“, verweist auf den Einfluss chinesischer Technologien. Der Bankrott des schwedischen Batterieherstellers Northvolt markiere eine verpasste Chance: „Ohne chinesische Batteriezellen ist energetische Unabhängigkeit nicht erreichbar.“

Fazit: Spiel mit hohen Einsätzen

Der globale wirtschaftspolitische Ton wird schärfer. Doch ein Übergang von reinem Schlagabtausch hin zu pragmatischen, geopolitisch motivierten Entscheidungen zeichnet sich ab. Der Protektionismus bleibt – doch das Spiel mit der russischen Roulette wird zur Hochrisikostrategie. Denn die Chance zur Selbstzerstörung ist schlicht zu groß.

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