Mehr als drei Jahrzehnte nach der Einheit klafft zwischen Ost- und Westdeutschland noch immer eine Lohnlücke – und sie ist sogar wieder größer geworden, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen.
Arbeitnehmer im Osten verdienen pro Jahr 13.000 Euro weniger als im Westen
Die Lohnlücke zwischen Ost- und Westdeutschland hat sich einem Bericht zufolge wieder vergrößert. Im Westen verdienten Vollzeitbeschäftigte im Jahr 2024 durchschnittlich 63.999 Euro brutto, wie das RND am Sonntag berichtete – im Osten seien es im Schnitt 50.625 Euro gewesen.
Das RND berief sich auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes, die das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) abgefragt habe. Der Unterschied liegt demnach bei 13.374 Euro oder etwa 21 Prozent.
BSW-Chefin Sahra Wagenknecht sagte dem RND zu den neuen Zahlen: „Die Löhne der normalen Arbeitnehmer in Deutschland sind insgesamt viel zu niedrig, auch weil die regierungsgetriebene Inflation der letzten Jahre tief ins Portemonnaie der Bürger gegriffen hat.“ Die Lohnlücke zwischen Ost und West nannte sie „eine beschämende Bilanz“.
DGB: Löhne im Osten hinken immer noch dem Westen hinterher
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisiert die weiterhin bestehende Lohnlücke zwischen Ost und West. Die Lohndifferenz liege bei 19 Prozent, sodass rein rechnerisch Beschäftigte in Ostdeutschland ab dem 22. Oktober bis zum Jahresende ohne Lohn arbeiten würden, sagte die DGB-Landeschefin von Sachsen-Anhalt, Susanne Wiedemeyer. „Beim Lohn ist die Einheit noch immer nicht vollzogen.“ Eine Lohnlücke von etwa 800 Euro im Monat führe unweigerlich zu Verdruss.
„Ich habe Verständnis dafür, wenn sich Ostdeutsche vereinzelt als Menschen zweiter Klasse empfinden“, sagte Wiedemeyer. Laut Verdiensterhebung des Statistischen Bundesamtes 2023 bekamen Vollzeitbeschäftigte in den ostdeutschen Bundesländern durchschnittlich 3.563 Euro brutto im Monat, in westdeutschen Ländern dagegen rund 4.401 Euro. Der DGB wertete nach eigenen Angaben Daten des Statistischen Bundesamtes zu Durchschnittsverdiensten in Ost- und Westdeutschland aus.
DGB fordert stärkere Tarifbindung
Stefan Körzell aus dem DGB-Bundesvorstand sagte: „Die Wirtschaft im Ostdeutschland ist den letzten Jahren meist stärker gewachsen als in Westdeutschland, aber die Beschäftigten profitieren davon nur unterdurchschnittlich. Das muss sich dringend ändern.“ Der DGB dringt auf mehr Tarifverträge, mit denen höhere Löhne möglich seien. Nur rund die Hälfte der Beschäftigten arbeite mit einem Tarifvertrag. In Ostdeutschland seien es nur 44 Prozent, daher müsse die Tarifbindung wieder gestärkt werden, sagte Körzell. Besonders niedrig ist die Tarifbindung nach Angaben des DGB in Mecklenburg-Vorpommern (40 Prozent) und Brandenburg (41 Prozent). In Sachsen-Anhalt liegt sie mit 49 Prozent im Bundesdurchschnitt.
IWH: Lohnlücke basiere auf einem kurzfristigen Sondereffekt
Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) sieht hingegen einen langfristigen Trend eindeutig in Richtung Angleichung der Löhne. „Der leichte Rückgang des Aufholtempos bei den Einkommen in den letzten drei Jahren ist Folge eines Sondereffekts“, sagt IWH-Arbeitsmarktforscher Steffen Müller. Während der Pandemie sanken die verfügbaren Einkommen im Westen kurzfristig, im Osten stiegen sie weiter. Mit der anschließenden Erholung im Westen verschob sich der Abstand rechnerisch etwas, doch im Vergleich zu den Jahren vor Corona hat der Osten weiter aufgeholt.
Die verbleibenden Einkommensunterschiede lassen sich vor allem durch die im Durchschnitt geringere Produktivität ostdeutscher Unternehmen und den historischen Vermögensvorsprung westdeutscher Haushalte erklären. Dieser Produktivitätsrückstand schließt sich ebenfalls und bedeutet nicht, dass ostdeutsche Beschäftigte weniger leistungsfähig wären. Vielmehr ist es so, dass es in Westdeutschland viel mehr Zentralen von sehr großen Unternehmen gibt, die deutlich mehr in Forschung und Entwicklung investieren können. „Dass die Einkommenslücke kleiner ist als die Lohnlücke, zeigt zugleich die ausgleichende Wirkung des Sozialstaats, der erheblich zur Angleichung beigetragen hat“, sagt IWH-Ökonom Müller.

