Wirtschaft

Wirtschaftsinstitute: Deutschland verlässt die Talsohle

Deutschland steht vor einer trügerischen Erholung. Zwar bringen Milliardenkredite Konjunktur und Binnenwirtschaft in Schwung, doch die Schwäche der Sozialsysteme und die hohen Energiekosten drohen die Erholung schnell wieder auszubremsen. Die großen Forschungsinstitute warnen: Ohne Reformen wird der Aufschwung nicht tragen.
25.09.2025 11:32
Lesezeit: 3 min

Institute: Wirtschaft verlässt Talsohle – Reformen gefordert

In den kommenden Jahren kommt die deutsche Wirtschaft laut führenden Wirtschaftsinstituten aus ihrer langen Schwächephase. Aber damit das anhält, geben sie der Regierung viel mit auf den Weg.

Prognose für 2025

Die deutsche Wirtschaft kommt im nächsten Jahr aus Sicht führender Forschungsinstitute langsam wieder in Schwung. Das Wachstum wird jedoch vor allem durch staatliche Milliarden-Investitionen getrieben, um besonders die teils marode Infrastruktur auf Vordermann zu bringen. Die Wirtschaft stehe aber nach wie vor auf "wackeligen Beinen", sagte Geraldine Dany-Knedlik, Konjunkturexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, in Berlin. Die Institute fordern die Bundesregierung zu grundlegenden Strukturreformen auf – sonst sei die wirtschaftliche Dynamik nicht von Dauer. Reformbedarf sehen die Experten vor allem bei den Sozialsystemen.

Nur Mini-Wachstum in diesem Jahr

Im laufenden Jahr erwarten die Institute lediglich eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 0,2 Prozent. Im Frühjahr wurde noch ein Plus von 0,1 Prozent prognostiziert. Die deutsche Wirtschaft steckt seit längerer Zeit in einem Konjunkturtief. In den vergangenen beiden Jahren schrumpfte die Wirtschaftsleistung. Vor allem höhere Zölle auf EU-Importe bremsen den Handel auf dem wichtigen US-Markt. Der Außenhandelsverband BGA prognostizierte ein Exportminus von 2,5 Prozent für 2025. Viele Schlüsselbranchen wie die Auto- und Stahlindustrie stecken in Schwierigkeiten. Auch der private Konsum in Deutschland kommt nicht in Fahrt.

Ab 2026 geht es wieder bergauf

Die Institute erwarten, dass die deutsche Wirtschaft die Talsohle hinter sich lässt und in den kommenden beiden Jahren wieder etwas an Dynamik gewinnt. Wie im Frühjahr wird für 2026 mit einem BIP-Wachstum von 1,3 Prozent gerechnet. 2027 prognostizieren die Experten ein Plus von 1,4 Prozent. Eine "expansive Finanzpolitik" dürfte die Konjunktur anschieben.

Gemeint ist das 500 Milliarden Euro schwere und mit Schulden finanzierte Sondervermögen für zusätzliche Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz, das eine Laufzeit von zwölf Jahren hat. Es geht um die Sanierung maroder Brücken, Bahnstrecken und Schulen, aber auch um mehr Mittel für Kitas oder eine bessere Digitalisierung. Damit die Gelder schnell fließen, sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Die Binnenwirtschaft komme spürbar in Bewegung, so die Institute.

Strukturelle Probleme

Das vor allem durch staatliche Investitionen gestützte Wachstum überdecke die strukturellen Probleme des Standorts Deutschland, die bisher ungelöst seien, warnen die Forschungsinstitute. Die mittel- und die langfristigen Wachstumsperspektiven drohten sich weiter zu verschlechtern. Vor allem die Auslandsnachfrage nach deutschen Waren schwächele. "Hohe Energie- und Lohnstückkosten im internationalen Vergleich, Fachkräftemangel sowie eine weiter abnehmende Wettbewerbsfähigkeit bremsen die langfristigen Wachstumsaussichten weiterhin."

Wirtschaftsverbände sehen seit Langem hausgemachte Probleme. Vor allem bürokratische Hürden, hohe Energiekosten und eine mangelhafte digitale Infrastruktur hemmen Investitionen deutscher Unternehmen. Dazu kommen steigende Sozialabgaben und ein Mangel an Fachkräften.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sagte am Mittwochabend bei einer Veranstaltung des Verbands der Chemischen Industrie in Berlin: "Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist eine Minute nach zwölf." Der Standort Deutschland sei zu teuer und zu langsam. Konkurrenten vor allem in den USA und Asien könnten zu deutlich günstigeren Konditionen produzieren als in Deutschland.

12-Punkte-Plan für Reformen

Die Wirtschaftsinstitute fordern grundlegende Reformen. Dazu gehört, dass "nationale Alleingänge" etwa in der Klimaschutzpolitik vermieden werden sollten, um deutsche Unternehmen nicht zu belasten. Innenpolitisch drängen die Institute darauf, die Sozialversicherungsbeiträge zu stabilisieren, etwa in der gesetzlichen Krankenversicherung. In der gesetzlichen Rentenversicherung gerate das Umlagesystem durch die niedrige Geburtenrate und die steigende Lebenserwartung immer stärker unter Druck. Die Bestandsrenten sollten daher langsamer steigen als die "Nominallöhne".

Die Institute schlagen weiter vor, Arbeitsanreize für Ältere zu stärken – die schwarz-rote Koalition hat entsprechende Pläne. Bei der Energiewende sollte mehr auf Preissignale gesetzt werden. Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche (CDU) hat Vorschläge präsentiert, um die Kosten zu senken. Die öffentliche Verwaltung müsse digitaler werden, so die Institute weiter. Mit Blick auf Milliardenlücken im Bundeshaushalt 2027 sprechen sie sich gegen Steuererhöhungen aus – sondern für eine Kürzung "konsumtiver" Staatsausgaben.

"Herbst der Reformen"

Merz hat mit Blick auf die Sozialsysteme und steigende Ausgaben einen "Herbst der Reformen" angekündigt. So soll das Bürgergeld überarbeitet werden. Ziel sind zum einen Einsparungen. Zum anderen geht es darum, dass mehr Menschen wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden. Ob und wann es aber zu grundlegenden Reformen etwa bei Rente oder Pflege kommt, ist offen. Die Regierung hat verschiedene Kommissionen eingesetzt. Innerhalb der schwarz-roten Koalition könnte es zu Konflikten kommen, wie tief die Einschnitte im Sozialstaat werden sollen.

Lage auf dem Arbeitsmarkt

Im August stieg erstmals seit mehr als zehn Jahren die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland auf über drei Millionen Menschen. Laut Prognose der Institute dürfte sich im Zuge der konjunkturellen Belebung die Lage auf dem Arbeitsmarkt deutlich verbessern. So sei in den kommenden beiden Jahren mit einem Beschäftigungsaufbau zu rechnen, der zusammen mit steigenden real verfügbaren Einkommen den Konsum der privaten Haushalte und konsumnahe Dienstleistungsbereiche stützen dürfte.

Die sogenannte Gemeinschaftsdiagnose wird erstellt vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, dem Ifo-Institut, dem Kiel Institut für Weltwirtschaft, dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle und dem RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Essen.

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