Finanzen

Deutsche Sparer scheuen das Risiko - und verlieren

Die deutschen Privathaushalte haben nicht von der Party des billigen Geldes profitiert: Weil sie um riskante Anlagen einen weiten Bogen machen, haben sie Vermögen verloren. Auch die Immobilien haben nicht die erhofften Wunder-Steigerungen gebracht.
20.08.2015 00:15
Lesezeit: 2 min

Die Nettovermögen der privaten Haushalte in Deutschland haben sich in den Jahren 2003 bis 2013 äußerst schwach entwickelt: Sie stiegen nur um durchschnittlich 500 Euro oder 0,4 Prozent. Berücksichtigt man die Inflation, haben die Privathaushalte sogar fast 15 Prozent ihrer Nettovermögen verloren – das entspricht im Durchschnitt gut 20.000 Euro. Der reale Wert, also die Kaufkraft des Vermögens, ist somit deutlich gesunken. Das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung anhand von Daten aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamtes herausgefunden. Auch dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) zufolge sind die realen Nettovermögen der Privathaushalte in Deutschland gesunken: um mehr als elf Prozent in den Jahren 2002 bis 2012 – und das trotz einer konstant hohen Sparquote von meist mehr als neun Prozent jährlich.

Die Studienautoren Markus Grabka und Christian Westermeier sehen den Grund dafür vor allem in der schwachen Wertentwicklung selbstgenutzter Immobilien. Aber auch das Anlageverhalten der Deutschen habe seinen Teil dazu beigetragen: „Viele Menschen investieren ihr Vermögen bevorzugt in risikoarme, dafür aber renditeschwache Anlagen wie Sparbücher, Girokonten, Bausparverträge oder Riesterrenten, die oftmals nicht einmal die Inflation ausgleichen“, so Grabka. Angesichts der Ergebnisse sprechen sich die Wirtschaftsforscher für eine gezieltere Förderung des individuellen Vermögensaufbaus aus – auch, um die hohe Vermögensungleichheit in Deutschland zu reduzieren.

Weil es sich beim SOEP um eine Wiederholungsbefragung handelt, in regelmäßigen Abständen also dieselben Personen Auskunft über ihr Vermögen geben, konnten die DIW-Forscher Grabka und Westermeier zudem die Vermögensmobilität untersuchen: Dabei stellten sie fest, dass in den Zeiträumen von 2002 bis 2007 und von 2007 bis 2012 jeweils rund 40 Prozent der Erwachsenen real Vermögen verloren haben. Bei gut einem Achtel blieb es nahezu unverändert, während knapp 45 Prozent der Personen ihr Vermögen real steigern konnten – am stärksten die 30- bis 39-Jährigen, die im Mittel in beiden Zeiträumen zwischen 8.000 und 9.000 Euro hinzugewannen.

Relevant für den Vermögensaufbau ist neben regelmäßigem Sparen auch das Tilgen von aufgenommenen Krediten. Besonders stark gestiegen sind die Vermögen bei denjenigen, die Schenkungen oder Erbschaften erhalten haben. Auch Änderungen des Familienstands oder der Wohnform können die Vermögenshöhe beeinflussen: Positiv wirkt sich eine Heirat aus, während bei einer Trennung oder Scheidung Kosten entstehen, die häufig aus vorhandenem Vermögen bestritten werden. Dauerhaft zur Miete lebende Personen hatten die geringsten Nettovermögen: im Mittel weniger als 3.000 Euro. Auch die Vermögenszuwächse waren bei Mietern gering. „Das ist insofern problematisch, als dass schon kurzfristige Engpässe beim laufenden Einkommen das Vermögen aufzehren können“, sagt Westermeier. „Zudem bietet ein so geringes Vermögen keinen wirksamen Schutz vor Altersarmut.“

Die Ergebnisse des DIW Berlin zur Entwicklung der realen Nettovermögen der Privathaushalte in Deutschland widersprechen den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR). Diese weisen für die Jahre 2003 bis 2013 ein reales Plus in Höhe von 20 Prozent aus. Theoretisch wäre es möglich, dass die Top-Vermögenden – also die Multimillionäre und Milliardäre, die in den EVS- und SOEP-Stichproben faktisch untererfasst sind – für den Anstieg verantwortlich sind. Grabka und Westermeier haben jedoch die vom Manager Magazin geschätzten Top-Vermögen in Deutschland ausgewertet und für die Personen, die zu zwei Zeitpunkten in der Liste enthalten waren, festgestellt, dass die höchsten Vermögen in den Jahren 2007 bis 2012 nahezu konstant geblieben sind.

Wahrscheinlicher ist, dass die VGR zu anderen Ergebnissen kommen, weil sie – neben weiteren methodischen Unterschieden bei der Erfassung von Vermögen – vor allem den Wert von Gebäuden anders berechnen. Den VGR zufolge sind diese von 2003 bis 2013 real um knapp 19 Prozent gestiegen. Dass sie aber eher gesunken sind, darauf deuten neben den EVS- und SOEP-Stichproben auch andere Quellen hin. So weist der Preisindex des Statistischen Bundesamtes für bestehende Wohnimmobilien für den Zeitraum von 2000 bis 2010 ebenfalls rückläufige Werte aus.

Die Unterrepräsentation der Top-Vermögen in Bevölkerungsumfragen und die mangelnde Vergleichbarkeit verschiedener Bewertungsmethoden sind aus Sicht von Grabka und Westermeier ein Beleg dafür, dass die Dateninfrastruktur für Vermögensanalysen in Deutschland grundsätzlich verbesserungswürdig ist: „Eine gesellschaftlich derart relevante Größe wie die Entwicklung der Privatvermögen sollte nicht mit so vielen Unsicherheiten behaftet sein, wie es derzeit in Deutschland der Fall ist“, so Grabka.

 

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Technologie
Technologie KI im Jobmarkt: Die große Lüge von der Objektivität
04.07.2025

Algorithmen sollen neutral entscheiden – doch KI entlarvt sich im Personalbereich als versteckter Türsteher: Diskriminierung,...

DWN
Panorama
Panorama Grillmarkt in der Krise? Holzkohle wird teurer
03.07.2025

Grills verkaufen sich längst nicht mehr von selbst. Nach Jahren des Booms mit Rekordumsätzen schwächelt die Nachfrage. Händler und...

DWN
Finanzen
Finanzen Milliarden für Dänemark – Deutschland geht leer aus
03.07.2025

Dänemark holt 1,7 Milliarden DKK aus Deutschland zurück – ohne die deutsche Seite zu beteiligen. Ein heikler Deal im Skandal um...

DWN
Finanzen
Finanzen Vermögen im Visier: Schweiz plant Enteignung durch Erbschaftssteuer für Superreiche
03.07.2025

Die Schweiz steht vor einem Tabubruch: Kommt die 50-Prozent-Steuer auf große Erbschaften? Die Eidgenossen debattieren über ein riskantes...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Drogeriehandel: Wie dm, Rossmann und Müller den Lebensmittelmarkt verändern
03.07.2025

Drogeriemärkte verkaufen längst nicht mehr nur Shampoo und Zahnpasta. Sie werden für Millionen Deutsche zur Einkaufsquelle für...

DWN
Technologie
Technologie KI-Gesetz: Bundesnetzagentur startet Beratungsservice für Unternehmen
03.07.2025

Die neuen EU-Regeln zur Künstlichen Intelligenz verunsichern viele Firmen. Die Bundesnetzagentur will mit einem Beratungsangebot...

DWN
Panorama
Panorama Sprit ist 40 Cent teurer an der Autobahn
03.07.2025

Tanken an der Autobahn kann teuer werden – und das oft völlig unnötig. Eine aktuelle ADAC-Stichprobe deckt auf, wie groß die...

DWN
Politik
Politik Brüssel kapituliert? Warum die USA bei den Zöllen am längeren Hebel sitzen
03.07.2025

Die EU will bei den anstehenden Zollverhandlungen mit den USA Stärke zeigen – doch hinter den Kulissen bröckelt die Fassade. Experten...