Politik

TTIP: Umwelt-Standards können rückwirkend ausgehebelt werden

Eine Greenpeace-Analyse ergibt, dass das TTIP Umwelt- und Konsumentenstandards auch rückwirkend aushebeln kann. Greenpeace fordert den sofortigen Stopp der Verhandlungen zum TTIP. Inzwischen hat sich die EU zu dem Vorgang geäußert: ihrer Ansicht nach handelt es sich um konsolidierte Texte und nicht um Verhandlungsergebnisse - Europa werde seine Standards beim Verbraucherschutz nicht aufweichen.
02.05.2016 11:29
Lesezeit: 2 min

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Greenpeace schreibt:

Selbst rückwirkend könnte das umstrittene Handelsabkommen TTIP bestehende Standards und Regularien zum Schutz von Umwelt und Verbrauchern kippen. Dies belegt die Analyse der heute von der Pressestelle von Greenpeace Niederlande veröffentlichten Verhandlungstexte. Diese Gefahr hatten Bundesregierung und EU-Kommission bisher bestritten. Die heute von Greenpeace Niederlande veröffentlichten TTIP-Texte belegen, dass die US-Seite Mechanismen vorschlägt, um etwa auch die Kennzeichnung von Lebensmitteln oder Regeln zu Erneuerbaren Energien als Handelshemmnis einzustufen. Im Kapitel zur regulatorischen Kooperation fordern die USA, dass Regularien, die den Handel hemmen, auch nachträglich zurück genommen werden dürfen. Es ist das erste Mal, dass große Teile der bislang geheimen US-amerikanischen TTIP-Positionen öffentlich werden. „Bei den Verhandlungen soll hinter verschlossenen Türen ein mächtiger Rammbock gezimmert werden, der auch den fest verankerten Schutz für Umwelt und Verbraucher wieder aus dem Weg räumen kann. Dieses Geheimabkommen muss gestoppt werden“, fordert Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch.

Die USA sehen etwa im europäischen Verfahren zur Zulassung von Chemikalien (REACH) ein Handelshemmnis. Würde die US-Position in der jetzigen Form angenommen, könnten Maßnahmen zur Umsetzung von REACH auch rückwirkend durch TTIP ausgehebelt werden. Umweltschützer hatten jahrelang für REACH gekämpft. Das Verfahren ist 2007 in Kraft getreten und hat die Zulassung von mehreren Tausend gefährlichen Chemikalien verhindert.

In der Nacht zum Montag haben Greenpeace-Aktivisten von der Bundesregierung mehr Transparenz in den TTIP-Verhandlungen gefordert. Aus Protest gegen die undemokratische Geheimhaltung projizierten die Umweltschützer Teile des bislang geheimen Verhandlungstexts auf den Reichstag. „Demokratie braucht Transparenz“, forderten die Aktivisten mit Leuchtschrift auf dem Giebel des Gebäudes. In unmittelbarer Nähe zum Reichstag, am Brandenburger Tor, stellten Greenpeace-Aktivisten am Vormittag einen gläsernen Leseraum auf, in dem die nun veröffentlichten Verhandlungstexte für jedermann einsehbar sind. „Dieser Vertrag geht jeden von uns an. Jeder muss nachlesen können, was uns mit TTIP drohen würde“, so Knirsch. „Hinterzimmerdeals wie TTIP passen nicht zu Demokratien. Die Verhandlungen müssen gestoppt und eine offene, transparente Diskussion begonnen werden.“

Greenpeace hat die Unterlagen am Montag ins Internet gestellt.

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström hat am Montag versichert, dass Europa seine Standards zu Verbraucher- und Umweltschutz in den Verhandlungen mit den USA über das Freihandelsabkommen TTIP nicht aufweichen werde. Handelsabkommen würden die EU-Gesetze zu Gen-Lebensmitteln ebenso wenig ändern wie die Art, wie in Europa Rindfleisch produziert oder die Umwelt geschützt werde, erklärte Malmström. Viele Schlagzeilen zu den enthüllten TTIP-Verhandlungsdokumenten seien deshalb „ein Sturm im Wasserglas“.

Malmström sah „eine Reihe von Missverständnissen“ bei der Berichterstattung über die durch Greenpeace veröffentlichten TTIP-Dokumente. Es handele es sich bei ihnen lediglich um „konsolidierte Texte“ und nicht um das Endergebnis der Gespräche mit Washington, betonte die Handelskommissarin in ihrem Internetblog. „Sie spiegeln die Verhandlungsposition jeder Seite wider, mehr nicht.“

Darüber hinaus sei es „normal, dass beide Seiten in Verhandlungen so viele ihrer Ziele erreichen wollen wie möglich“, schrieb Malmström weiter. „Das bedeutet nicht, dass die andere Seite diesen Forderungen nachgibt. Das bedeutet nicht, dass beide Seiten sich auf halben Weg treffen.“ Lägen die Positionen zu weit auseinander, „werden wir einfach nicht zustimmen“.

In dieselbe Kerbe schlägt auch die Bundesregierung: Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt sagte am Montag im BR, dass die Lebensmittelsicherheit in der EU "nicht verhandelbar" sei. Die nun öffentlich gemachte Position der US-Regierung in den Verhandlungen sei nicht die Einigung auf ein Abkommen. "Die Europäer haben eine in ihrer Weise genauso deutliche Position, und die heißt: "Wir lassen bei den Lebensmittelstandards und Verbraucherschutzstandards nicht rütteln", sagte der CSU-Politiker.

Auch die Idee, Exporterleichterungen für die europäische Autoindustrie zu blockieren, um im Gegenzug höhere Importe von US-Agrarprodukten zu erreichen, lehnt

Schmidt ab: "Nein, mit uns geht das nicht." Lebensmittelsicherheit und das Vorsorgeprinzip seien für die EU kein Tauschobjekt gegen gemeinsame Technikstandards. Das Vorsorgeprinzip besage, dass schon ein Verdacht ausreicht, um ein Verbot auszusprechen.

*** Bestellen Sie den täglichen Newsletter der Deutschen Wirtschafts Nachrichten: Die wichtigsten aktuellen News und die exklusiven Stories bereits am frühen Morgen. Verschaffen Sie sich einen Informations-Vorsprung. Anmeldung zum Gratis-Newsletter hier. ***

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Experten-Webinar: Ist Bitcoin das neue Gold? – Chancen, Risiken und Perspektiven

Inflation, Staatsverschuldung, geopolitische Unsicherheiten: Viele Anleger fragen sich, wie sie ihr Vermögen in Zeiten wachsender...

DWN
Technologie
Technologie Goldrausch 2.0: Wie Google KI neu definiert – und Europa zuschaut
01.06.2025

Google I/O 2025 bietet einen tiefen Einblick in die nächste Ära der Künstlichen Intelligenz – von echten 3D-Videocalls bis hin zu...

DWN
Panorama
Panorama Nur noch fünf Minuten: Schlummertaste in Deutschland beliebt
01.06.2025

Mit der Schlummertaste kann man das Aufstehen verzögern. Ärzte raten davon ab, aber die Praxis ist gerade in Deutschland gängig....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Gesundheitscheck vor der Einstellung: Rechte und Grenzen für Bewerber
01.06.2025

Ein Vorstellungsgespräch ist erfolgreich verlaufen, doch bevor der Arbeitsvertrag unterschrieben wird, fordert der potenzielle Arbeitgeber...

DWN
Technologie
Technologie SaaS ist tot – die Zukunft gehört der KI, nicht Ihrer Plattform
01.06.2025

Niemand will die Nutzung Ihrer Plattform lernen – Unternehmen wollen Ergebnisse. Künstliche Intelligenz ersetzt Tools durch fertige...

DWN
Panorama
Panorama EU-Reform könnte Fluggastrechte deutlich schwächen
01.06.2025

Von Verspätungen betroffene Fluggäste haben in Zukunft möglicherweise deutlich seltener Anspruch auf Entschädigung. Die EU-Staaten...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wettlauf um die Zukunft: Wie die USA ihre technologische Überlegenheit retten wollen
01.06.2025

China wächst schneller, kopiert besser und produziert billiger. Die USA versuchen, ihre Führungsrolle durch Exportverbote und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Freelancer: Unverzichtbare Stütze in flexiblen Arbeitswelten
01.06.2025

Trotz Homeoffice-Boom bleibt die Nachfrage nach Freelancern hoch. Warum Unternehmen auf Projektarbeiter setzen, wo die Vorteile liegen –...

DWN
Politik
Politik „Choose Europe“: Brüssel will Gründer mit Kapital halten
31.05.2025

Die EU startet einen neuen Wachstumsfonds, der Start-ups mit Eigenkapital unterstützen und in Europa halten soll. Doch Geld allein wird...