Politik

Putin hält Druck auf Erdogan mit Agrar-Sanktionen aufrecht

Lesezeit: 4 min
12.04.2017 02:10
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Der jüngste Schwenk des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan weg von Russland zurück in das Lager der USA könnte für die Türkei teuer werden: Russland hat nämlich nach der vorübergehenden Versöhnung nach dem Jet-Abschuss durch die Türken zwar einige Sanktionen aufgeben, doch die wichtigsten sind immer noch in Kraft: die Agrar-Sanktionen.

Putin hat in weiser Voraussicht im Hinblick auf die Wankelmütigkeit Erdogans genaus diese Sanktionen nicht aufgehoben. Sie geben Russland ein gewisses Druckmittel im Syrien-Krieg, in dem sich die Türkei zunehmend der Kooperation mit den Russen entzieht.

Der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci will in der kommenden Woche in Moskau die Aufhebung der die Türkei am meisten belastenden Sanktionen erreichen.

Die von der russischen Regierung gegen die Türkei erhobenen Sanktionen im Handel mit Agrarprodukten zeigen nämlich erhebliche Wirkung. Moskau hatte die Verbote nach dem Abschuss eines ihrer Kampfflugzeuge durch türkische Truppen über Syrien im November 2015 erlassen. Wie Bloomberg berichtet, sind viele türkische Landwirtschaftsbetriebe aufgrund der russischen Importverbote in Bedrängnis geraten. Insbesondere türkische Tomatenzüchter leiden unter dem Ausfall ihres vormals größten Kunden. Insgesamt sind im Zuge der russischen Sanktionen Russisches Verbote für die Einfuhr von Geflügel (Huhn und Pute), Tomaten, Gurken, Gurken, Trauben, Äpfel, Birnen und Erdbeeren erlassen worden.

Der russische Markt ist im Jahr 2015 mit einem jährlichen Volumen von etwa 260 Millionen Dollar der mit weitem Abstand wichtigste Absatzmarkt für türkische Tomaten gewesen. Dahinter folgte mit etwa 18 Millionen Dollar Rumänien. Im vergangenen Jahr sanken die Exporte nach Russland auf Null. Zwar konnte ein Teil der freigewordenen Kapazität angeblich in andere Länder verkauft werden. Die Lücke, die Russland hinterlässt, ist jedoch nicht ansatzweise zu füllen.

Offenbar verfaulen jetzt große Mengen des Gemüses, weil sie nicht mehr verkauft werden können. „Wir können ohne den russischen Markt nicht überleben. Die Abfallrate war noch nie so hoch“, wird ein Repräsentant der Vereinigung der Frucht- und Gemüsehändler in der südtürkischen Stadt Mersin zitiert.

Die russische Regierung hält den Bann auf Tomaten aufrecht, weil sie darin ein Druckmittel für zukünftige Verhandlungen mit der Türkei sieht. Ankara reagierte darauf, indem sie die Einfuhr von russischem Getreide verbat. Damit schadet der Handelskrieg beiden Seiten – aber die Russen versprechen sich einen längeren Hebel von der Situation. „Wladimir Putins Strafmaßnahmen verschlimmern die zuletzt deutlich gestiegene Arbeitslosigkeit in der Türkei und das hohe Handelsdefizit und sie führen dazu, dass die Sorgen der Tomatenbauern Teil der laufenden Kampagne des türkischen Präsidenten Recep Erdogan für eine größere Machtfülle werden. Die Türkei schlug zurück, indem sie Weizeneinfuhren aus Russland – dem weltgrößten Produzenten – untersagte. Diese Rache ist sehr riskant für ein Land, dass der weltgrößte Exporteur von Mehl ist und einen der weltweit höchsten Brot-Verbrauche pro Kopf verzeichnet“, schreibt Bloomberg.

Hintergrund für die Auseinandersetzungen ist der Stellvertreterkrieg in Syrien, in dem Russland und die Türkei verfeindete Kräfte unterstützen. Russland hat für den syrischen Präsidenten Baschar al Assad Partei ergriffen und unterstützt kurdische Milizen, welche von der Türkei als „Terroristen“ bezeichnet werden. Die Türkei wiederum betreibt den gewaltsamen Sturz Assads und den Kampf gegen die Kurden in Nordsyrien mit Hilfe von Söldnertruppen.

Nach dem Angriff der USA auf einen Luftwaffenstützpunkt der syrischen Armee hatten die Spannungen zuletzt wieder zugenommen. Russland kritisierte den Raketenangriff scharf, während die Türkei öffentlich Genugtuung zeigte. Am Montag wurde bekannt, dass die russische Regierung überlegt, Charterflüge in die Türkei zu verbieten. Damit würde die wichtige Tourismusbranche in der Türkei geschwächt.

Wie rapide die Entfremdung voranschreitet, zeigt ein Blick in türkische und russische Medien.

Der Vorsitzende der türkischen Heimatpartei, Dogu Perincek, sagte in der vergangenen Woche auf einer Pressekonferenz, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan eine Kehrtwende in Richtung der USA vornehme und dadurch Russland und den Iran entzürne, berichtet Ulusal Kanal. Der US-Angriff auf Syrien und Erdogans Parteinahme hätten zu mehreren Ergebnissen geführt: Die USA hätte faktisch zum Vorteil der Terror-Miliz ISIS und der Kurden-Milizen gehandelt. Der US-Angriff stelle einen schweren Schlag gegen eine Aussöhnung zwischen Ankara und Damaskus dar. Ein gemeinsames Treffen zwischen den türkischen und syrischen Vertretern somit verhindert worden. Die Friedensgespräche in Astana, die von Russland und der Türkei eingeleitet wurden, hätten ebenfalls einen schweren Schlag erlitten. Die Linie der türkischen Regierung sei disqualifiziert worden. Stattdessen habe die "parallele Regierung" im Präsidentenpalast die Macht ergriffen. Die US-Regierung und die israelische Regierung hätten bewusst einen Keil zwischen die Türkei und Russland getrieben. Allerdings betont Perincek auch, dass Trump in einer schwierigen Lage sei. Der Angriff auf Syrien sei auch als eine AnbiederungTrumps an den US-amerikanischen "Tiefen Staat" zu sehen, um nicht selbst gestürzt zu werden. Trump habe damit eine Distanz zu Russland geschaffen und habe sich dem "Tiefen Staat" der USA ergeben müssen.

Die regierungsnahe türkische Zeitung Yeni Safak widerspricht den vorgebrachten Argumenten, wonach es dem Westen im Syrien-Konflikt um die Demokratisierung des Landes oder einzig allein um ein Regime-Change geht. Syrien sei das Gebiet, auf dem sich die Westmächte und die aufsteigenden Mächte Asiens einem Kampf hingeben. Denn eine neue militärische Allianz außerhalb der NATO würde die geamte Welt erschüttern lassen. Deshalb sehe es so aus, dass Trump sich der Spieltheorie der US-Geheimdienste ergeben müsse. Der Machtkampf zwischen Ost und West beginnt in Syrien und erstreckt sich über Osteuropa, das Baltikum, Nordafrika bis an den Pazifik und nach Nordkorea. Überall würden neue "Syrien-Konflikte" entstehen. Wenn es zu einer Spaltung in Syrien kommen sollte, würde dies zwangsläufig dazu führen, dass der Konflikt in die Türkei hineingetragen werde. Die aktuelle Polarisierung zwischen den USA und Russland sei deshalb gefährlich, weil sich die Türkei politisch nicht nur zwischen den Staaten befinden, sondern in der Konflikt-Region. Die Türkei werde hierbei in eine Falle gelockt, weil man sie nur mit der Frage des Umsturzes von Assad beschäftigen möchte. Doch der Machtkampf erstreckt sich über zahlreiche Gebiete, in denen die Türkei aktiv agieren müsse.

Die regierungsnahe Zeitung Stargazete titelte am 11. April 2017: "Bombastische Stellungnahme von Russland". Das Blatt berichtet, dass der Kreml-Sprecher Dmitri Peskov Differenzen mit der Türkei zugegeben habe. Am 10. April hätten der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow telefoniert. Aus dem Telefonat sei nicht hervorgegangen, dass es ein baldiges Treffen zwischen Putin und Erdogan geben werde.

Nach Angaben des türkischsprachigen Diensts der russischen Nachrichtenagentur Sputnik hat die russische Luftfahrtbehörde Rosaviatsiya Urlauber davor gewarnt in die Türkei zu fliegen. Die Reisewarnung wurde deshalb ausgegeben, weil in der Türkei derzeit "chaotische Zustände" herrschen würden.

Die Zeitung Karar berichtet, dass die russischen Urlauber ihre Reservierungen für Türkei-Flüge umbuchen würden.

Boris Dolgov vom Institut für Orient-Studien der Russischen Akademie der Wissenschaften ist der Ansicht, dass die Türkei kein vertrauenswürdiger Partner sei. "Die Türkei hat sich nach ihrer Krise mit der EU Russland zugewandt. Doch die Türkei unter der Erdogan-Regierung handelt ausschließlich entlang ihrer eigenen Interessen - und das sehr ungeniert. Es ist ein Irrglaube, die Türkei als vertrauenswürdigen Partner zu nehmen. Meines Erachtens hat das die russische Politik erkannt", zitiert Haberrus Dolgov.

Allerdings ist noch nicht klar, welches Format die türkisch-russischen Beziehungen tatsächlich einnehmen werden. Viktor Ozerow, Vorsitzender des Sicherheits- und Verteidigungsausschusses des Föderationsrates der Russischen Föderation, sagte Haberrus, dass er optimistisch in die Zukunft der militärischen Beziehungen zwischen Russland und der Türkei schaue. Die Kooperation im militärischen Bereich sei in vollem Gange und das Vertrauen sei auch vorhanden, meint er.

Die Türkei möchte russische Luftabwehrraketen vom Typ S-300 kaufen. Der Luftraum der Türkei verfügt derzeit über kein Luftabwehrsystem. Stattdessen muss das Land permanent auf die Patriot-Raketen seiner NATO-Partner zurückgreifen, um seinen Luftraum zu schützen.


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