Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hat Bundeskanzlerin Angela Merkel und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron beschuldigt, Ungarn das Recht auf den Schutz der eigenen Grenzen absprechen zu wollen. Bei ihrem Treffen vor einer Woche in Marseille hätten die beiden Schwergewichte der Europäischen Union (EU) den Plan gefasst, «anstelle der ungarischen Grenzwächter und Soldaten (...) Söldner aus Brüssel hierherzuschicken, um die Migranten reinzulassen», sagte Orban am Freitag im staatlichen Rundfunk.
«Wenn man Ungarn schon nicht dazu zwingen kann, die Migranten reinzulassen, dann ist es der Plan, dass man dem Land das Recht auf eigenen Grenzschutz entzieht», sagte Orban. Die ungarische Regierung schottet das Donauland mit Zäunen und strengen Asylgesetzen gegen Migranten ab. Menschenrechtsorganisationen und EU-Gremien verurteilen den harten Umgang Ungarns mit Schutzsuchenden.
Bei Merkels Treffen mit Macron vorige Woche in Marseille war allerdings laut dpa keine Rede davon gewesen, «Söldner» an die Außengrenzen der EU zu schicken. Die beiden Politiker hatten gesagt, dass sich Europa in der Frage der Migration und dem Schutz der Außengrenzen bewegen müsse. Vorschläge sollen bei einem informellen EU-Gipfel am 20. September in Salzburg diskutiert werden.
EU-Kommission widerspricht
Die Europäische Kommission schließt allerdings aus, dass EU-Grenzschützer und Asylexperten gegen den Willen einer Regierung in einem Mitgliedstaat eingesetzt werden. Dies werde "auf keinen Fall" passieren, sagte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos am Donnerstag in Brüssel laut AFP. "Die Zustimmung des Mitgliedstaates ist Voraussetzung, damit diese Behörden innerhalb der Grenzen eines Staates tätig werden können."
Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, die EU-Grenzschutzbehörde schon bis 2020 auf 10.000 einsetzbare Beamte auszubauen. Damit sollen bei stark steigenden Flüchtlingszahlen oder sonstigen Krisenfällen an den EU-Außengrenzen schnell genügend Grenzschützer zur Verfügung stehen. Auch die EU-Asylbehörde soll weiter ausgebaut werden, um Hauptankunftsländer wie Griechenland oder Italien stärker zu unterstützen.
Schon seit 2016 gibt es die Möglichkeit, Frontex-Beamte auch gegen den Willen eines Mitgliedstaates einzusetzen, wenn dieser mit der Lage überfordert ist. Die EU-Regierungen könnten dies per qualifizierter Mehrheit entscheiden. In der Praxis gilt es aber als nicht vorstellbar, dass die EU Frontex-Beamte in ein Land schickt, wo sie nicht auf die Zusammenarbeit mit dortiger Polizei und Grenzschutz setzen können.
Die eigentliche Drohung der auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise beschlossenen Reform liegt deshalb an anderer Stelle: Verweigert ein Mitgliedstaat nach dem Entsendebeschluss weiter Hilfe, können die anderen Länder Grenzkontrollen innerhalb des Schengenraums einführen, um Flüchtlinge an der Weiterreise zu hindern. Das betroffene Land würde dadurch de facto aus dem Schengenraum geworfen, der innerhalb Europas normalerweise Reisen ohne Kontrollen ermöglicht.
Avramopoulos stellte am Donnerstag auch klar, dass die Frontex-Beamten bei Einsätzen den Vorgaben der nationalen Behörden Folge leisten müssen. "Diese Behörde wird nicht unabhängig operieren", sagte der Innenkommissar. "Nationale Souveränität und Verantwortung werden vollständig respektiert."
Streit zwischen Italien und Luxemburg
Das Thema Migration sorgt weiter für Zerwürfnisse unter den EU-Mitgliedsstaaten. Mit provokanten Äußerungen brachte der italienische Innenminister Matteo Salvini Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn am Freitag bei einem Ministertreffen in Wien in Rage. Während Asselborn der Ansicht sei, Migration sei für das überalterte Europa aus demografischen Gründen nötig, unterstütze seine Regierung junge Italiener dabei, wieder mehr Kinder zu bekommen, sagte Salvini. Dies sei besser, als "neue Sklaven" nach Europa zu holen.
"Das geht zu weit", empört sich Asselborn in dem Video, das Salvini auf seine Facebook-Seite stellte. Der Chef der rassistischen Lega-Partei spricht unbeeindruckt weiter: "Wenn Sie in Luxemburg mehr Migration brauchen - ich für meinen Teil bevorzuge es, Italien den Italienern vorzubehalten".
Daraufhin unterbricht Asselborn den italienischen Vizeregierungschef mit scharfen Worten: "In Luxemburg haben wir zehntausende Italiener, mein Herr!" Sie seien auf der Suche nach Arbeit gekommen, "damit Sie in Italien Geld für Ihre Kinder haben", wettert Asselborn und fügt ein "Scheiße noch mal" hinzu.