Politik

EU-Gipfel: Hinhaltender Widerstand gegen Merkel bei Flüchtlingen

Zahlreiche Staaten haben sich beim EU-Gipfel gegen die Pläne von Bundeskanzlerin Merkel gestellt, die Zuteilung von EU-Geldern an die Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen zu koppeln.
23.02.2018 23:07
Lesezeit: 3 min

Die Forderung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), EU-Gelder künftig an die Flüchtlingsaufnahme zu knüpfen, ist beim EU-Gipfel auf hinhaltenden Widerstand gestoßen. Zahlreiche Staaten äußerten Vorbehalte, vermieden jedoch eine offene Konfrontation. Sie dürften versuchen, sich in bilateralen Verhandlungen zu positionieren. Merkel hatte am Donnerstag gefordert, bei der Vergabe von EU-Geldern "künftig auch das Engagement vieler Regionen und Kommunen bei der Aufnahme und Integration von Migranten" zu berücksichtigen.

Eine solche Vorgabe könnte zu Lasten osteuropäischer Staaten gehen, welche die Teilnahme an EU-Programmen zur Umverteilung von Flüchtlingen aus Hauptankunftsländern wie Italien und Griechenland verweigern. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz forderte, die Debatte nicht auf Flüchtlinge zu fokussieren. "Denn Solidarität ist weit mehr als nur die Aufnahme von Flüchtlingen". Kritik kam laut der AFP auch von Litauen und Luxemburg. Der italienische EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani bezeichnete Merkels Vorstoß als "gute Idee".

Ihr Vorstoß müsse "nicht im Sinne von negativer Verbindung" gesehen werden, sagte Merkel nach dem Gipfel. Die Flüchtlingsaufnahme und -unterbringung könne durchaus eine "neue Aufgabe" in der EU sein. Wenn sie "vielleicht von einigen Ländern mehr, von anderen weniger erledigt" werde, müsse dies "dann Einfluss auf den zukünftigen Haushalt" haben.

EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte, es habe bei den Gesprächen der Staats- und Regierungschefs "nur positive Reaktionen" auf Merkels Vorschlag gegeben. Er sei darüber "positiv überrascht" gewesen. Auch der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki habe seine Unterstützung signalisiert, sagte Tusk. Er habe für die Verknüpfung aber "objektive Kriterien" verlangt. Der polnische Europaminister Konrad Szymanski hatte zunächst scharf reagiert. "Wer immer ein solches politische Manöver plant, dem kann ich nur sagen: Das wäre ein Fehler", sagte er der "Welt".

Die Staats- und Regierungschefs sprachen am Freitag erstmals über die EU-Finanzierung im nächsten Jahrzehnt. Laut EU-Kommission werden durch den EU-Austritt Großbritanniens dann pro Jahr zwölf bis 14 Milliarden Euro im Haushalt fehlen. Hinzu kommt ein erhöhter Finanzbedarf durch neue Aufgaben bei Verteidigung, Grenzsicherung, Migration oder im Kampf gegen Terror. Die Finanzierungsdebatte dürfte noch Monate in Anspruch nehmen.

Der bisherige siebenjährige Finanzrahmen der EU mit einem Volumen von rund einer Billion Euro läuft Ende 2020 aus. In den nächsten Monaten muss daher eine Einigung über die folgenden EU-Budgets bis 2027 gefunden werden. Union und SPD haben sich im Koalitionsvertrag bereiterklärt, dass Deutschland künftig mehr Geld nach Brüssel überweist. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bekannte sich am Abend zu einem steigenden EU-Haushalt, hat bisher aber nicht gesagt, dass Frankreich mehr zahlen wolle. Die Franzosen hatten schon unter Macrons Vorgänger Francois Hollande stets verbale Solidarität geübt, sich aber bei konkreten Taten jedoch zurückgezogen. So erklärte Hollande am Höhepunkt der Flüchtlingskrise, dass Frankreich deutlich weniger Flüchtlinge aufnehmen werde als es nach seiner Quote eigentlich hätte müssen.

Der Streit um die Finanzierung der EU sieht eine Gruppe von Staaten, die gegen eine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge sind: Österreichs Kanzler Kurz sprach von einer Gruppe von fünf Staaten, die eine harte Haltung einnähmen. Dies sind Österreich, die Niederlande, Schweden, Dänemark und Finnland. Die Nettozahler trügen heute schon einen überproportionalen Anteil der Lasten. Deshalb müsse man schauen, wo die EU nach dem Brexit Geld einsparen könne. Er kritisierte nach den Beratungen, dass man in der EU erst alle Wünsche summiere und dann darüber nachdenke, wie man sie finanziere.

Dänemarks Regierungschef Lars Lökke Rasmussen plädierte dafür, die Vergabe von EU-Mitteln an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien zu knüpfen. Dies unterstützt auch Deutschlande. Ein solches Vorgehen könnte ebenfalls insbesondere osteuropäische Länder wie Polen treffen, das von Brüssel wegen einer umstrittenen Justizreform kritisiert wird. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte, er werde nicht akzeptieren, dass EU-Mittel dazu verwendet würden, "Regierungen zu finanzieren, die Grundwerte nicht respektieren" oder "Steuer- oder Sozialdumping organisieren", sagte er.

Er wolle "keine neue Spaltung" zwischen Ost und West in Europa, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. "Davon haben wir genug." Nach seinen Worten prüft die Kommission Bedingungen für die Auszahlung von EU-Mitteln noch. Sie will Anfang Mai ihren Vorschlag für den nächsten mehrjährigen EU-Finanzrahmen von 2021 bis 2027 vorlegen.

In zwei Punkten zeigten die Staats- und Regierungschefs Einigkeit: Sie wollen künftig mehr Geld für den Kampf gegen illegale Migration sowie für Rüstung und Militär ausgeben. Auch für das Bildungsprogramm Erasmus Plus sollen zusätzliche Gelder zur Verfügung gestellt werden.

Der EU-Kommissionspräsident soll weiter hinter verschlossenen Türen bestellt werden. Merkel verwies darauf, dass die Mehrheitsbildung im EU-Parlament schwierig werden könne. Deshalb könne nicht einfach gesagt werden, "der Kandidat der stärksten Partei ist es".

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