Politik

Bundesregierung erwägt Finanz-Hilfen für die Türkei

Lesezeit: 4 min
31.08.2018 22:43
Die Bundesregierung fürchtet offenbar Folgen der türkischen Finanzkrise für Deutschland und sondert die Möglichkeit eines Rettungspakets.

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Die Bundesregierung erwägt, der Türkei finanzielle Nothilfe zukommen zu lassen, da in Deutschland die Gefahr besteht, dass eine umfassende Wirtschaftskrise die Region destabilisiert, sagten deutsche und europäische Offizielle dem Wall Street Journal. Die Bundesregierung wollte sich zu dem Bericht nicht äußern, sagte ein Sprecher den Deutschen Wirtschaftsnachrichten.

Während sich die Gespräche zwischen Berlin und Ankara in einem frühen Stadium befinden sollen und keine Hilfe zur Folge haben könnten, reichten die diskutierten Möglichkeiten von einem „koordinierten europäischen Rettungspaket ähnlich dem bei der Schuldenkrise der Eurozone“ bis hin zu projektspezifischen Darlehen staatlich kontrollierter Entwicklungsbanken und bilateraler Hilfe, so das WSJ.

Deutschland befürchtet demnach, dass ein Zusammenbruch der türkischen Wirtschaft in Europa übergreifen könnte, weitere Unruhen im Nahen Osten auslösen und eine neue Einwanderungswelle auslösen könnte. „Wir würden viel tun, um die Türkei zu stabilisieren (...) Wir haben keine große Wahl“, sagte ein hochrangiger deutscher Beamter. Andere europäische Regierungen sind nach Angaben des Wall Street Journal gleichermaßen besorgt. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire, der am Montag seinen türkischen Amtskollegen in Paris traf, sagte, es sei wichtig, die Bemühungen der Türkei zur Sanierung ihrer Wirtschaft zu unterstützen.

Diversen Ökonomen zufolge ist es schwer abzuschätzen, wie viel Geld die Türkei braucht, da ein Großteil ihrer potenziellen Schulden auf die Privathaushalte zurückzuführen ist. Zwei hochrangige Beamte in Berlin teilten mit, dass der deutsche Finanzminister Olaf Scholz in jüngsten Gesprächen einige Optionen mit seinem türkischen Amtskollegen Berat Albayrak besprochen habe.

Wie genau die Unterstützung der EU und der Bundesregierung ausgesehen hat oder aussehen wird, ließ er offen. Ein Sprecher sagte den Deutschen Wirtschaftsnachrichten, dass es keine neue Entwicklung in dieser Frage gäbe und verwies auf die aktuelle Position der Bundesregierung und deren Darstellung in mehreren Statements.

Aus einer Mitteilung der Pressestelle der Bundesregierung vom 15. August 2018 geht hervor: „Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan haben heute miteinander telefoniert. Die Bundeskanzlerin und der Präsident besprachen gemeinsame internationale Herausforderungen, u.a. die Lage in Syrien, sowie die bilateralen Beziehungen. Mit Blick auf den für den 28. September anstehenden Staatsbesuch von Präsident Erdoğan in Deutschland vereinbarten sie ein vorbereitendes Treffen der Finanz- und Wirtschaftsminister.“

Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am 20. August 2018: „Wir haben ja in der vergangenen Woche schon mehrfach und durch mehrere Ministerien das deutsche Interesse an einer wirtschaftlichen Stabilität der Türkei geäußert. Die Frage nach deutschen Hilfen für die Türkei, die jetzt am Wochenende hochkam, stellt sich für die Bundesregierung aktuell nicht (...) Es ist Sache eines jeden Staates, ob er einen Antrag beim IWF auf ein mögliches Programm stellt. Dann entscheiden die IWF-Mitgliedstaaten über so einen Antrag“. Das geht aus einem Gesprächsprotokoll der Bundesregierung hervor.

Die Regierungssprecherin Ulrike Demmer sagte am 29. August 2018 auf einer Regierungspressekonferenz: „Die Bundesregierung verfolgt die Entwicklung in der Türkei sehr genau. Unser Interesse ist, dass die Türkei ein stabiles, prosperierendes und demokratisches Land ist. Dazu tragen wirtschaftliche Beziehungen bei, und daran arbeiten wir wie gewohnt.“

Der türkische Präsident Erdoğan wird am 28. September zu einem Besuch nach Berlin kommen. Die Finanzhilfe wird eine Woche früher auf der Tagesordnung stehen, wenn Scholz und Albayrak sich in Berlin treffen werden, um die Reise des Präsidenten vorzubereiten. Berlins Hauptproblem ist, dass eine Krise zu einer Annullierung des Flüchtlings-Deals mit der Türkei führen könnte. Auf die Frage der Deutschen Wirtschaftsnachrichten, ob die EU an einem Rettungspaket für die Türkei arbeitet, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission: „Die Kommission verfolgt die Bewegungen an den Märkten weltweit aufmerksam, kommentiert aber keine dieser Bewegungen. Insofern kommentieren wir auch nicht die Situation der Türkei. Die Türkei hat offiziell kein Hilfeersuchen gestellt.“

Rolle des IWF

Länder mit Zahlungsbilanzproblemen haben sich in der Vergangenheit an den IWF in Washington gewandt, der seinen Aktionären Liquidität für häufig unpopuläre Wirtschaftsreformen zur Verfügung stellen kann. Da jedoch die USA drohten, jede Anfrage der Türkei nach einer IWF-Finanzierung abzulehnen, erklärten die Beamten in Berlin und Brüssel, Europa müsse aus eigener Kraft handeln. Der US-Ökonom und ehemalige „Economic Hitman“ John Perkins sagte den Deutschen Wirtschaftsnachrichten in einem Interview: „Ich möchte die Türkei ermutigen, sich vom IWF fernzuhalten. Heute gibt es noch viele andere Möglichkeiten, wie sie Katar anbietet. Länder wie die Türkei sollten die Hebelwirkung nutzen, die sie bieten, und den IWF und andere Finanzinstitutionen aus China, den USA, der EU und den Golfstaaten zwingen, miteinander zu konkurrieren.“

Ohne die Beteiligung des IWF müssten neue Instrumente geschaffen werden, die einen EU-Konsens erfordern, sagten ein deutscher Beamter und zwei EU-Beamte dem WSJ. „Die Türkei müsste diese Forderung einleiten und nur dann würden wir diskutieren, welche Unterstützung wir ihnen bringen könnten“, so ein Beamter des französischen Finanzministeriums.

Ein Sprecher der US-Botschaft in Ankara lehnte eine Stellungnahme ab. Ein Sprecher des türkischen Finanzministeriums wies jegliche Rettungsaktion ab, und türkische Beamte sagten, sie hätten nicht die Absicht, Unterstützung von außen zu erbitten. Selbst wenn sich das ändern sollte, würde ein europäisches Hilfspaket, wie es in der Schuldenkrise in der Eurozone angeboten wird, ein Sparpaket erfordern, das Erdoğan vielleicht ablehnen würde. Der Präsident, der im Juni wiedergewählt wurde, um eine stärkere Türkei aufzubauen, sagte, die türkische Wirtschaft sei robust. Deutschland könnte bilaterale Hilfe in Form von ungebundenen Finanzkrediten in Betracht ziehen, ein Instrument, das Ungarn in den 1980er Jahren helfen würde.

Unklar bleibt, ob Deutschland über ausreichende Mittel verfügt, um der Türkei ohne den IWF Unterstützung zu gewähren. Jede deutsche Unterstützung für Erdoğan könnte auch politische Risiken für die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel beinhalten, so das Wall Street Journal. Einer Deutschlandtrend-Umfrage zufolge, die in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde, sind 72 Prozent der Deutschen gegen jegliche finanzielle Unterstützung für die Türkei. „Wir können nicht einfach zusehen, wie die Türkei den Bach runter geht. Der Migrationsdruck und die geostrategische Bedeutung sowie die wirtschaftlichen Verbindungen sind zu wichtig“, so ein hochrangiger anonymer EU-Diplomat in Ankara.

Der türkische Präsident Erdoğan hat am Donnerstag bei einer Rede im Zusammenhang mit dem Währungsverfall und einer möglichen Wirtschaftskrise gesagt. Die Zeitung Hürriyet zitiert den türkischen Präsidenten: „In dieser Phase haben wir viele Hürden nehmen müssen. Doch wir haben einige Entschlüsse gefasst und Treffen durchgeführt. Die Unterstützung der EU, insbesondere Deutschlands, war sehr wichtig. Wir haben es geschafft, Probleme zu verhindern, von denen auch Europa betroffen gewesen wäre. Frau Merkel hat mich direkt angerufen und mir ihre Unterstützung zugesichert. 'Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen auch unseren Minister schicken', sagte sie. Die Aussagen einiger europäischer Staats- und Regierungschefs waren wichtig. Einige von ihnen haben mir ihre Sondergesandten geschickt. Dieser Ansatz war sehr wichtig und werden alles tun, um diese Beziehungen aufrecht zu erhalten.“

 


Mehr zum Thema:  
Europa >

DWN
Unternehmen
Unternehmen Tarifstreit: Harte Verhandlungen bei Bund und Kommunen kündigen sich an - Beamte wollen mehr Geld
10.10.2024

Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen steuern auf harte Tarifverhandlungen zu. Die...

DWN
Politik
Politik Brandmauer in Sachsen bröckelt: CDU-Mitglieder fordern Gespräche mit der AfD
10.10.2024

Sächsische CDU-Politiker fordern einen Monat nach der Landtagswahl in einem offenen Brief: Die Brandmauer muss weg. Darunter ein...

DWN
Politik
Politik Die Rezession ist da: Bankrotterklärung Deutschlands?
09.10.2024

Schlechter als erhofft: Die Bundesregierung erwartet für 2024 eine Abnahme der Wirtschaftsleistung. Wie sollen wir da wieder herauskommen?

DWN
Panorama
Panorama Häufigste Ängste der Deutschen: höhere Preise und Migration
09.10.2024

Manche Menschen fürchten um ihren Job, andere machen sich Sorgen wegen steigender Kriminalität oder wachsenden islamistischen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Arbeitsmarkt: Fast jeder Zweite nur noch befristet angestellt. Sind Jobs auf Lebenszeit ein Auslaufmodell?
09.10.2024

Immer kürzer, immer schneller: Befristete Arbeitsverträge sind auch nach der Corona-Pandemie traurige Realität bei deutschen...

DWN
Panorama
Panorama Fußballchef bei Red Bull: Jürgen Klopp als Konzernstratege - kann er das?
09.10.2024

Es gibt verschiedene Management-Typen. Strategen, die von langer Hand planen und sich weder aus der Ruhe bringen noch in die Karten schauen...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft US-Wahl: Trump fordert Importzölle - Kanada und Mexiko wären stark betroffen
09.10.2024

Die von Donald Trump geforderten Importzölle der USA könnten Kanada und Mexiko besonders stark treffen. Ihre weltweiten Exporte würden...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Selenskyj-Treffen wegen Bidens Absage in der Schwebe - ändert sich die Ukraine-Strategie?
09.10.2024

Der Hurrikan "Milton" in den USA und die Verschiebung des Deutschlandbesuchs von US-Präsident Joe Biden wirbeln die westlichen...