Hunderte afrikanische Flüchtlinge und Asylsuchende, die in libyschen Haftanstalten gefangen sind, werden im Rahmen einer Vereinbarung der Afrikanischen Union nach Ruanda evakuiert. Die erste Gruppe von 500 Personen, darunter Kinder und Jugendliche aus Somalia, Eritrea und dem Sudan, wird voraussichtlich in den kommenden Tagen in Ruanda eintreffen. Die Maßnahme ist Teil eines “Notfall-Transit-Mechanismus”, mit dem gefährdete Personen in Haftanstalten evakuiert werden sollen. Dieser sogenannte Ruanda-Plan geht zurück auf das Bestreben Brüssels, den Zuzug von Flüchtlingen in Richtung Europa einzudämmen, berichtet die New York Times.
Die UNHCR meldet in einer Mitteilung: “Gegenwärtig sind mehr als 3.600 Flüchtlinge und Asylsuchende in libyschen Haftanstalten inhaftiert, von denen viele dem Risiko schwerer Misshandlungen und der Gefahr wahlloser Kämpfe ausgesetzt sind. Anfang Juli wurden mehr als 50 Flüchtlinge und Migranten bei einem Luftangriff auf das Tajoura-Internierungslager östlich der libyschen Hauptstadt Tripolis getötet. Im ganzen Land sind die Bedingungen in Haftanstalten schlecht.”
Babar Baloch, UNHCR-Sprecher in Genf, sagte dem Guardian zufolge, die Vereinbarung sei ein “Rettungsmechanismus”, der es gefährdeten Personen ermöglicht, an einen Ort der Sicherheit zu gelangen. “Dies ist eine Erweiterung der humanitären Evakuierung, um Leben zu retten (...) Der Fokus liegt auf denen, die in Libyen gefangen sind. Wir haben gesehen, wie schrecklich die Bedingungen sind, und wir möchten sie aus dem Weg räumen”, so Baloch.
Den Ruanda-Plan hatte ursprünglich der ruandische Präsident Paul Kagame ins Gespräch gebracht. Damit will Kagame sich die finanzielle Unterstützung europäischer Geberländer sichern. “Trotz der Anzeichen eines zunehmenden Autoritarismus wurde Kagame 2017 mit 99 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Ausländische Geber finanzieren weiterhin rund 35 Prozent des ruandischen Haushalts”, schreibt die Financial Times.
Politico kritisierte im Jahr 2014: “Was man über den ruandischen Präsidenten Paul Kagame wissen muss, ist nicht nur, dass er ein Diktator ist, der für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist, sondern dass er trotzdem sehr viele Freunde hat. Kagame, dem das Kommando über die Rebellentruppe zugeschrieben wird, die vor 20 Jahren Ruandas Völkermord beendet hatte, hat sich zu einer weltweiten Berühmtheit gemacht. Bill Clinton bezeichnet ihn als einen der ,größten Führer unserer Zeit’. Tony Blair nennt ihn einen ,Visionär’. Bill Gates arbeitet eng mit ihm zusammen. Kagame sprach in Harvard und wurde an einer Reihe von Universitäten in den USA und in Europa mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet.”
“In Ruanda gibt es absolut keinen Raum für Dissens. Du stimmst zu, du akzeptierst Kagames oberste Macht, oder du gehst”, zitiert die Nachrichtenagentur AP die britische Autorin Michela Wrong.
Der Umgang mit Flüchtlingen in Ruanda ist besonders brutal. Im Februar 2018 setzte die ruandische Polizei exzessive Gewalt ein und feuerte scharfe Munition ab, um eine Demonstration von mehreren tausend kongolesischen Flüchtlingen zu unterdrücken, die gegen die Lagerbedingungen und eine Kürzung der Lebensmittelrationen im Bezirk Karongi in der westlichen Provinz protestierten. Einige der unbewaffneten Flüchtlinge warfen Steine auf die Polizei. Während die Polizei angab, fünf Flüchtlinge getötet zu haben, gab die Flüchtlingsorganisation UNHCR öffentlich bekannt, dass mindestens elf Flüchtlinge erschossen wurden, und forderte eine unabhängige Untersuchung. Human Rights Watch erhielt Zeugenaussagen von Überlebenden, aus denen hervorgeht, dass mindestens zwölf Flüchtlinge getötet wurden und mehrere weitere noch vermisst und für tot befürchtet wurden.
Im Mai 2018 kam es im Flüchtlingslager Kiziba erneut zu Zusammenstößen, wobei ein Flüchtling starb und mindestens 42 weitere verhaftet wurden.
Die EU-Staaten wissen sehr wohl, dass die aktuelle Situation der Flüchtlinge in Ruanda desaströs ist. Sie sind nicht nur der Gewalt durch die Sicherheitsbehörden ausgesetzt, sondern auch ihre Versorgung wird nicht garantiert. Sollte Kagame erneut Geld von europäischen Geberländern erhalten, um Flüchtlinge aus Libyen aufzunehmen, gebe es keine Garantie dafür, dass die Gelder auch wirklich den Flüchtlingen zugute kommen. Die EU will offenbar um jeden Preis den Zuzug von Flüchtlingen über das Mittelmeer stoppen, anstatt eine ernsthafte Politik der Fluchtursachen-Bekämpfung zu betreiben.