Technologie

„Meilenstein für Europas Unabhängigkeit“: Cloud-Projekt Gaia-X geht gegen China und die USA an den Start

Vor dem Hintergrund der geopolitischen Umwälzungen fordern immer mehr europäische Firmen eine von den USA und China unabhängige Datenstruktur. Gestern nun zündeten Deutschland und Frankreich das Projekt Gaia-X.
05.06.2020 11:00
Aktualisiert: 05.06.2020 11:27
Lesezeit: 2 min
„Meilenstein für Europas Unabhängigkeit“: Cloud-Projekt Gaia-X geht gegen China und die USA an den Start
Ein Netzwerkstecker. (Foto: dpa) Foto: Martin Gerten

Die von Deutschland und Frankreich vorangetriebene europäische Cloud- und Dateninfrastruktur Gaia-X nimmt Gestalt an. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) stellte am Donnerstag zusammen mit seinem französischen Amtskollegen Bruno Le Maire das technische Konzept und die künftige Organisationsstruktur vor. Das ambitionierte Projekt soll dabei über die Grenzen von Deutschland und Frankreich hinaus zu einem europäischen Projekt ausgebaut werden. Gaia X soll aber auch Unternehmen und Organisationen außerhalb der EU offenstehen, solange die von Gaia X definierten Spielregeln beim Datenschutz und anderen rechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden.

Altmaier stellte die Initiative in einen Zusammenhang mit dem Wiederaufbauplan, mit dem die Europäische Union die Corona-Krise bekämpfen und die Wirtschaft auf Kurs für eine grüne und digitale Zukunft bringen will. Es komme nun auch darauf an, wofür das Geld ausgegeben werde, nämlich für Wirtschaftswachstum und Wohlstand aller Bürger, sagte Altmaier. Mit Gaia-X strebten mehr als 300 Unternehmen und Organisationen in ganz Europa "nichts Geringeres an als einen europäischen Moonshot (großer Wurf) in der Digitalpolitik".

Le Maire sagte, in der Corona-Krise sei klar geworden, wie wichtig eine sichere IT-Infrastruktur sei, auch für die Telearbeit. Dabei dürfe man nicht von anderen Großmächten abhängig sein. "Wir sind nicht die USA, wir sind nicht China, wir sind europäische Länder mit eigenen Interessen und Werten."

Gaia X soll von einer nicht-gewinnorientierten Organisation nach belgischem Recht gesteuert werden, die von 22 Unternehmen aus Deutschland und Frankreich gegründet wurde. Zu den Gründungsmitgliedern gehören die Deutsche Telekom, SAP, Siemens, Bosch, BMW, Beckhoff Automation, Plusserver, German Edge Cloud und De-Cix. Außerdem sind die Fraunhofer-Gesellschaft, die International Data Spaces Association und die europäische Cloudanbietervereinigung CISPE Mitgründer der Gaia-X-Entität. Auf französischer Seite sind unter anderen Orange, Atos, Amadeus, Docaposte, EDF, Dassault Systems, Institut Mines-Télécom und Safran mit dabei.

Der Branchenverband Bitkom nannte die Gründung der Organisation einen "Meilenstein auf dem Weg zu einer europäischen Cloud- und Dateninfrastruktur." Gaia-X müsse möglichst bald erste Angebote auf den Markt bringen.

Gaia-X war im Oktober 2019 der Öffentlichkeit vorgestellt worden. In dem Projekt es darum, in Europa nicht alternativlos auf die großen IT-Konzerne aus den USA und China angewiesen zu sein. Dafür soll ein Konzept für eine souveräne und vertrauenswürdige europäische Dateninfrastruktur erarbeitet werden, für die bestehende Angebote über Open-Source-Anwendungen und offene Standards miteinander vernetzt werden. Gaia-X strebt aber nicht an, selbst einen europäischen "Hyperscaler" zu schaffen, wie es in der Vergangenheit mit Airbus in der internationalen Luftfahrtindustrie gelungen war. Vielmehr will Gaia-X den Cloud-Riesen mit einer Vernetzung von vielen kleineren Anbietern aus Europa entgegentreten.

Cédric Prevost, Director of Trusted Cloud des französischen Telekommunikationsdienstleisters Orange Business Services, erinnerte daran, dass zuvor Versuche auf Landesebene gescheitert seien, eine souveräne Cloud zu etablieren. "Das muss man in einem sehr großen Maßstab anlegen, so wie das den Hyperscalern aus den USA und China gelungen ist. Der europäische Maßstab die richtige Größenordnung, um dieses Ziel zu erreichen."

Ein Sprecher des Autokonzerns BMW erklärte, die Zukunft von automobiler Software liege in der Cloud: "Als Gründungsmitglied von Gaia-X (...) unterstützen wir deswegen die Entwicklung eines offenen digitalen Ökosystems auf Basis europäischer Werte."

Tina Klüwer, Vorstandsmitglied des KI-Bundesverbandes, verwies darauf, dass die KI-Unternehmen von den Kunden auch verstärkt nach sicheren Cloud und KI-Lösungen aus Deutschland und Europa gefragt werden: "Deshalb ist Gaia-X richtig und wichtig." Aber mindestens genauso wichtig sei, dass Gaia-X im Internationalen Wettbewerb standhalten könne. "In Sachen Geschwindigkeit, Preis, Kundenorientierung und internationale Verfügbarkeit muss Gaia-X mithalten, sonst wird sich diese gute Idee auf dem Markt nicht durchsetzen können."

Claudia Nemat, die im Telekom-Vorstand für Technologie und Innovation zuständig ist, setzte sich eine schnelle Skalierung ein. "Die Öffentliche Hand und das Gesundheitswesen müssen "heavy user" von Gaia-X werden. Gleichzeitig muss die Öffentliche Hand bei der Beschaffung von Cloud-Services sicherstellen, dass die föderale Gaia-X-Infrastruktur genutzt wird."

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft 645 Millionen Euro Verlust: Cannabis-Betrug und Geldwäsche-Netzwerk erschüttern Europa
23.11.2025

Europa ist von einem der größten Cannabis-Investmentbetrugsfälle der letzten Jahre erschüttert worden, der Anleger in mehreren Ländern...

DWN
Finanzen
Finanzen Ukraine-Friedensplan: Welche Aktien vom Ende des Ukraine-Krieges profitieren könnten – und welche nicht
23.11.2025

Frieden bedeutet nicht nur geopolitische Stabilität, es zieht auch ein gigantisches Investitionsprogramm nach sich. Wer auf die richtigen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kritische Rohstoffe: Ein Fund in Grönland sorgt für Streit
23.11.2025

In einer abgelegenen Mine in Westgrönland wurden gleich mehrere kritische Rohstoffe entdeckt, die für Mikrochipproduktion, Rüstung und...

DWN
Finanzen
Finanzen Europa-Aktien im Aufschwung: Welche Chancen Anleger jetzt nutzen können
23.11.2025

Die Kapitalmärkte befinden sich im Umbruch, Investoren suchen verstärkt nach stabilen Alternativen. Europa gewinnt dabei durch Reformen,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Autoindustrie in der Krise: Warum die Lage dramatisch ist
23.11.2025

Europas Autohersteller stecken in existenziellen Nöten und Beobachter sprechen schon von einem drohenden Niedergang. Neben den Problemen...

DWN
Technologie
Technologie Experten warnen vor 2035: Plug-in-Hybride sind ein Weg ins Nichts
23.11.2025

Ein neuer französischer Bericht rüttelt an der europäischen Autoindustrie. Plug-in-Hybride gelten darin als teurer, klimaschädlicher...

DWN
Unternehmen
Unternehmen NATO-Ostflanke: Drohnenhersteller Quantum Systems unterstützt die Bundeswehr-Brigade in Litauen
22.11.2025

Der deutsche Drohnenhersteller Quantum Systems expandiert nach Litauen und baut dort ein umfassendes Wartungs- und Logistikzentrum für...

DWN
Technologie
Technologie Digitale Souveränität: Wie Deutschland bei Breitband, 5G und Cloud die Abhängigkeit verringern kann
22.11.2025

Verpasst Deutschland die digitale Zeitenwende? Der Wohlstand von morgen entsteht nicht mehr in Produktionshallen, sondern in...