Politik

Wirecard-Skandal zieht Kreise: Sind die Tage von Finanzminister Scholz gezählt?

Bundesfinanzminister Olaf Scholz weiß bereits seit anderthalb Jahren von einem Marktmanipulations-Verdacht gegen Wirecard. Der Bundesrechnungshof hat nun eine Untersuchung gegen die Finanzaufsicht Bafin und das Bundesfinanzministerium eingeleitet.
16.07.2020 21:34
Aktualisiert: 16.07.2020 21:34
Lesezeit: 3 min
Wirecard-Skandal zieht Kreise: Sind die Tage von Finanzminister Scholz gezählt?
14.05.2020, Berlin: Olaf Scholz (SPD), Bundesminister der Finanzen, nimmt an der Sitzung des Bundestages teil. (Foto: dpa) Foto: Kay Nietfeld

Im Bilanzskandal um den mutmaßlichen Milliardenbetrug beim Dax-Konzern Wirecard nimmt nun der Bundesrechnungshof die Finanzaufsicht Bafin und das Bundesfinanzministerium ins Visier. „Wir werden das System der Aufsicht - Struktur und Risikomanagement am Beispiel Wirecard - untersuchen und warum die Bafin offenbar die Anhaltspunkte nicht aufgegriffen hat“, sagte der Bundesrechnungshof-Präsident Kay Scheller dem „Spiegel“. „Wir werden dabei auch prüfen, wie das Bundesfinanzministerium und die Bafin mit den Vorwürfen falscher Bilanzen sowie mit den Berichten der Wirtschaftsprüfer umgegangen sind.“

Für die Bafin ist dies bereits die zweite angekündigte Überprüfung möglicher Mängel und Fehler im Fall Wirecard - zuvor hatte schon die EU-Kommission die europäische Finanzaufsicht Esma auf den Fall angesetzt. „Jahrelang wurden Hinweise gegeben, unter anderem durch journalistische Recherchen, und es stellt sich die Frage, ob die Bafin da ausreichend hingeschaut hat“, sagte Scheller dem „Spiegel“. „Hier sind bedeutende Fragen unbeantwortet - und daher ist auch der Bundesrechnungshof gefordert. Es gibt offensichtlich Lücken im Aufsichtssystem.“

Bundesfinanzminister Olaf Scholz hatte seinerseits bereits angekündigt, die Aufsicht verbessern zu wollen, nun müssen sich auch sein Ministerium und er persönlich Fragen stellen. Am Donnerstagabend wurde zudem bekannt, dass Scholz bereits seit anderthalb Jahren von einem Verdacht der Bafin gegen Wirecard weiß. Das geht aus einem Sachstandsbericht des Finanzministeriums an die Vorsitzende des Finanzausschusses hervor. Zuvor hatte die „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ darüber berichtet. In dem Bericht heißt es, dass Scholz am 19. Februar 2019 darüber unterrichtet worden sei, dass die Bafin den Fall Wirecard „wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Verbot der Marktmanipulation“ untersucht. „Es wurde darauf hingewiesen, dass die Bafin in alle Richtungen untersucht“, heißt es weiter.

Staatsanwaltschaft München ermittelt gegen Wirecard-Manager

Wirecard hatte im Juni mutmaßliche Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt, die Staatsanwaltschaft München ermittelt gegen mehrere ehemalige und aktive Manager, inklusive des vom Aufsichtsrat nachträglich gefeuerten Ex-Vorstandschefs Markus Braun. Eine zweite Schlüsselfigur hat sich mit unbekanntem Aufenthalt mutmaßlich nach Übersee abgesetzt: der ehemalige Vertriebsvorstand Jan Marsalek. Die britische „Financial Times“ hatte seit 2015 über Unstimmigkeiten in den Bilanzen des Zahldienstleisters berichtet.

Die Bafin selbst hat mehrfach darauf hingewiesen, dass sie nicht die volle Aufsicht über Wirecard hatte, weil lediglich die Tochterbank des Skandalunternehmens aus dem Münchner Vorort Aschheim als Finanzdienstleister eingestuft war, nicht jedoch der gesamte Konzern. Und für die Kontrolle von Unternehmensbilanzen war nach bisheriger Rechtslage in erster Linie auch nicht die Bafin zuständig, sondern die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR).

Nach Schellers Worten war die grundsätzliche Problemstellung, dass Wirecard sowohl ein Fintech-Unternehmen als auch eine Bank sei, „allen bekannt“. „Hierauf hätte man das Aufsichtssystem ausrichten sollen und aus heutiger Sicht auch müssen.“

Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY in der Kritik

Ebenfalls in der Kritik ist die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die die Jahresbilanzen bei Wirecard seit 2009 geprüft und testiert hatte. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Scheinumsätze bereits seit Jahren in die Bilanzen einflossen. Ex-Wirecard-Vorstandschef Markus Braun nutzte noch zu Jahresbeginn die konzerneigene Bank, um sich einen Kredit in Höhe von 35 Millionen Euro zu verschaffen, wie die Londoner „Financial Times“ meldete. Damit wollte Braun einen Zwangsverkauf von Wirecard-Aktien verhindern, die er laut Bericht bei der Deutschen Bank als Sicherheit für einen 150 Millionen Euro-Kredit hinterlegt hatte. Das Darlehen sei aufgenommen worden, „um eine Verwertung von Aktien durch eine (dritte) Bank zu vermeiden“, teilte eine Anwältin von Braun auf Anfrage mit.

Der Kredit im eigenen Haus wurde dann im März zurückgezahlt. Laut Anwältin war das Darlehen mit einem Zinssatz von 12,55 Prozent versehen - Braun zahlte demnach für den Zeitraum von zweieinhalb Monaten 963.909,72 Euro Zinsen. Laut „FT“ prüft die Bafin, ob der Kredit bei der eigenen Firma gegen Vorschriften verstieß. Der rechtliche Hintergrund: Vorstände dürfen die eigenen Unternehmen nicht nutzen, um sich private Vorteile zu verschaffen.

Verbesserungsbedarf bei Aufsicht und Bilanzprüfung sieht auch das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland. Ein Vorschlag des IDW: Unternehmensvorstände sollten gesetzlich verpflichtet werden, ein angemessenes internes Kontrollsystem für die Rechtstreue ihrer Firmen einzurichten. Ein weiterer Vorschlag: Die Bilanzprüfer sollten nach Hinweisen auf Manipulationen bei Unternehmen öffentlichen Interesses verstärkt „forensische Methoden“ einsetzen - also Verdachtsmomenten gezielt nachgehen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Das Zeitalter des intelligenten passiven Einkommens: Bitcoin-Mining mit BlackchainMining

In der heutigen, sich rasant entwickelnden digitalen Wirtschaft sind Kryptowährungen wie Bitcoin nicht nur Vermögenswerte, sondern auch...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Kapitalmarkt 2026: Mehr Börsengänge in Deutschland und Europa erwartet
10.12.2025

Mit Ottobock, TKMS und Aumovio zählen drei deutsche Börsendebüts zu den gewichtigsten in Europa im laufenden Jahr. Doch viele...

DWN
Finanzen
Finanzen Weihnachtsfeier steuerlich absetzen: So gelingt es – Tipps vom Steuerberater
10.12.2025

Viele Unternehmen möchten ihre Weihnachtsfeier steuerlich absetzen und gleichzeitig die Kosten im Blick behalten. Eine gut geplante Feier...

DWN
Politik
Politik „Reichsbürger“-Verfahren: Prinz Reuß wird zu Vorwürfen sprechen
10.12.2025

Der mutmaßliche „Reichsbürger“ Heinrich XIII. Prinz Reuß wird zu den Vorwürfen eines geplanten „Staatsstreichs“ Stellung...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft KI-Blase: Warum die Rekordausgaben der Tech-Giganten zum Risiko werden
10.12.2025

Die Tech-Konzerne pumpen Milliarden in künstliche Intelligenz und treiben ihre Investitionslast auf historische Höhen. Doch aus dem...

DWN
Politik
Politik Kampf gegen den Klimawandel: EU-Einigung auf Klimaschutzziel für 2040
10.12.2025

Die neuen Klimaziele der EU stehen fest: Der Treibhausgasausstoß soll bis 2040 um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Bei der...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnungsmarkt: Angebot an Mietwohnungen steigt in Ostdeutschland
10.12.2025

Angebot runter, Preise rauf. Doch jetzt dreht sich der Trend – zumindest in Ostdeutschland. Allerdings nicht im Berliner Umland, dafür...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Krieg: Selenskyj will Neuwahlen möglich machen - Ukraine könnte binnen 60 bis 90 Tagen wählen
10.12.2025

Seit dem russischen Überfall im Februar 2022 fanden keine Wahlen in der Ukraine statt. Die reguläre Amtszeit des Präsidenten lief im Mai...

DWN
Politik
Politik Trump-Doktrin: Weshalb die USA plötzlich Russlands Linie bedienen
10.12.2025

Mit provokanten Aussagen über Putin, Selenskyj und die Zukunft Europas treibt Donald Trump eine neue US-Außenpolitik voran, die immer...