Politik

Neue Seidenstraße: Große Allianz zwischen Türkei und Großbritannien nimmt Konturen an

Die Türkei und Großbritannien haben ein Freihandelsabkommen unterzeichnet. Das Abkommen ist eingebettet in die Schaffung einer wirtschaftlichen, nachrichtendienstlichen und militärischen Allianz zwischen beiden Ländern. London und Ankara sind die prominentesten Unterstützer der Neuen Seidenstraße Chinas in Europa.
29.12.2020 17:10
Aktualisiert: 29.12.2020 17:10
Lesezeit: 3 min
Neue Seidenstraße: Große Allianz zwischen Türkei und Großbritannien nimmt Konturen an
Der britische Premier Johnson und der türkische Präsident Erdogan. (Foto: dpa) Foto: Turkish President Press Office/H

Die Türkei und Großbritannien haben ein Freihandelsabkommen vereinbart. Die beiden Länder wollen so die Kontinuität ihrer wirtschaftlichen Beziehungen nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt sicherstellen. Die türkische Handelsministerin Ruhsar Pekcan unterzeichnete das Abkommen am Dienstag bei einem Videogespräch mit ihrer britischen Kollegin Liz Truss.

Die Vereinbarung werde am 1. Januar in Kraft treten und sei „historisch“, sagte Pekcan. Sie stelle den zollfreien Handel für alle landwirtschaftlichen und industriellen Produkte sicher. Großbritannien sei für die Türkei der größte Exportmarkt nach Deutschland, betonte Pekcan. Im Gegenzug ist die Türkei vor allem für die britische Autoindustrie wichtig: Zehn Prozent des Handelsvolumens gehen auf den US-Konzern Ford zurück, der in Großbritannien hergestellte Autoteile in die Türkei liefert, die dort für den Bau des Modells Transit genutzt werden.

Das Handelsvolumen der beiden Länder belief sich 2019 nach britischen Angaben auf 18,6 Milliarden Pfund (rund 20,5 Milliarden Euro). Truss sagte, das Abkommen sei ein großer Gewinn für die britische Automobil- Fertigungs- und Stahlindustrie. Es ebne den Weg für ein weiteres Abkommen mit der Türkei in naher Zukunft.

Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten hatten in den vergangenen zwölf Monaten immer wieder darauf hingewiesen, dass sich zwischen der Türkei und Großbritannien nicht nur gesonderte wirtschaftliche, sondern auch militärische und nachrichtendienstliche Abkommen abzeichnen. London und Ankara steuern auf eine Geheimdienst-Allianz zu, die sich auch auf Kontinentaleuropa auswirken wird.

In einer Analyse heißt es: „Die Beförderung von Richard Moore zum Generaldirektor des MI6 hat weltweit große Resonanz gefunden. Moore, der perfekt Türkisch spricht und zuvor als britischer Botschafter in der Türkei tätig war, setzt sich für enge türkisch-britische Beziehungen ein – insbesondere angesichts des anstehenden Brexits“ (HIER). Die Türkei und Großbritannien hatten am 11. September 2020 im östlichen Mittelmeer ein Marinemanöver durchgeführt. Das Manöver richtete sich gegen den französischen Präsidenten Macron, der das östliche Mittelmeer kontrollieren will. Doch bei den Politikmachern in Washington wurde dieses Manöver auch als Affront gegen die USA eingestuft (HIER).

Am 15. Mai 2020 hatten die Deutschen Wirtschaftsnachrichten angekündigt: „Türkei und Großbritannien wollen neue Achse in Europa bilden.“

Briten und Türken unterstützen Chinas Neue Seidenstraße

Diese sich anbahnende Allianz ist nicht zu unterschätzen, zumal sie sich auch auf die Asien-Pazifik-Region erstrecken wird. Sie umfasst auch alle Commonwealth-Staaten (HIER). Anders als beispielsweise Frankreich und die USA, setzen sich die Briten und Türken für die Verwirklichung der Neuen Seidenstraße ein, die durch China umgesetzt wird. Es ist davon auszugehen, dass sich nach der Amtsübernahme Joe Bidens zwei weltweite Lager bilden werden, die sich kritisch gegenüberstehen werden. Auf der einen Seite werden wir eine Allianz aus den USA und Deutschland in Verbindung mit Frankreich sehen, die sich gegen Russland, die Türkei und China richtet. Doch auf der anderen Seite werden wir eine enge Verzahnung zwischen China, der Türkei und Großbritannien sehen. In welches Lager Russland gehören wird, hängt stark davon ab, ob Wladimir Putin und sein engster Zirkel weiterhin die Geschicke Russlands bestimmen werden. Moskau tendiert zumindest dazu, die Türkei und Großbritannien gewähren zu lassen, zumal die Briten und Türken auf eine lange Geschichte „imperialer“ Erfahrungen auf mehreren Kontinente zurückgreifen können – und diese offenbar in Zusammenarbeit umsetzen möchten.

Zu erwähnen ist, dass die außenpolitische Richtung in der Türkei sich ändern könnte, wenn die aktuelle Regierung in Ankara abgelöst wird. Denn die gesamte Opposition tendiert in das transatlantische Lager

Deutschland steckt in einer Zwickmühle

Deutschland hat keine große Wahl. Die aktuelle und alle künftigen Regierungen werden sich in Richtung der USA orientieren müssen, weil Deutschland militärisch, nachrichtendienstlich und auch wirtschaftlich auf die USA angewiesen ist. Schließlich stellen die USA auch den wichtigsten Absatzmarkt für deutsche Produkte dar. Allerdings besteht die Gefahr, dass die neue Regierung in Washington Deutschland gegen Russland, China und die Türkei vorschieben könnte, um sich ab einem bestimmten Zeitpunkt hinterrücks mit den Briten und Türken zu einigen. Dieses Szenario ist sehr wahrscheinlich, weil die US-Amerikaner in ihrer Nahost-Politik sowohl auf die Türkei als auch auf Großbritannien angewiesen sind.

Es ist durchaus möglich, dass Deutschland zu einem „Client State“ der USA verkommt (HIER). Dies muss nicht zwangsläufig schlecht sein für das wirtschaftliche Verhältnis zwischen Deutschland und den USA – aber schlecht für eine weitgehend unabhängige Außenpolitik ist es allemal.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Panorama
Panorama OECD-Bericht zur Klimaentwicklung: Unsere Welt wird trockener – Dürreflächen steigen massiv
17.06.2025

Durch den Klimawandel sind immer größere Flächen von Dürre betroffen – mit schwerwiegenden Folgen für Wirtschaft, Mensch und Umwelt....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Drohnenhersteller Helsing: Deutschlands wertvollstes Start-up erhält 600 Millionen Euro von Investoren
17.06.2025

Der Drohnenhersteller Helsing sorgt für Schlagzeilen: Mit einer Milliardenbewertung steigt das Rüstungsunternehmen zum wertvollsten...

DWN
Technologie
Technologie Made in Germany: Wie Technik und Tüfteln Hoffnung machen
17.06.2025

Deutschland war einmal stolz auf seinen Erfindergeist – heute dominiert die Krisenrhetorik. Doch während Politik und Großindustrie...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Verdi warnt vor Finanzloch: Kommunen brauchen Milliardenausgleich
17.06.2025

Kurz vor dem Spitzentreffen von Bund und Ländern schlägt Verdi‑Vorsitzender Frank Werneke Alarm. Steuerliche Entlastungen für...

DWN
Politik
Politik Russischer Angriff auf Kiew überschattet G7-Gipfel – mindestens 14 Tote
17.06.2025

Russische Raketen treffen Kiew während des G7-Gipfels. Mindestens 14 Menschen sterben – Selenskyj warnt vor Moskaus Strategie, zivile...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Teilzeit boomt: Deutschland zählt zu den EU-Spitzenreitern
17.06.2025

Beschäftigte in Deutschland liegen in Sachen Teilzeit mit an der Spitze in der EU. 2024 arbeiteten hierzulande 29 Prozent der...

DWN
Panorama
Panorama Großes Bangen in Regensburg: CSD unter Bedrohungslage neu geplant
17.06.2025

Die Zahl queerfeindlicher Angriffe in Deutschland steigt. Nun ist auch der Christopher Street Day (CSD) in Regensburg von einer...

DWN
Politik
Politik Trump verlässt G7 vorzeitig: Drohende Nahost-Eskalation im Fokus
17.06.2025

Mit einem überraschenden Abgang beim G7-Gipfel wirbelt Trump das hochrangige Treffen durcheinander. Kurz nach der Abreise hinterlässt er...