Politik

Zuspitzung in Chinas Vorhof: Supermächte sichern sich Verbündete, rüsten sich für den Ernstfall

China will den Südosten Asiens und den Indo-Pazifik beherrschen, die USA wollen das verhindern. Im großen DWN-Interview analysiert der Regional- und Sicherheitsexperte Felix Heiduk die Situation und schätzt ab, wie groß die Chancen sind, dass es zu einem Waffengang kommt.
28.03.2021 11:00
Lesezeit: 4 min
Zuspitzung in Chinas Vorhof: Supermächte sichern sich Verbündete, rüsten sich für den Ernstfall
Ein von der philippinischen Luftwaffe aufgenommenes Foto zeigt, wie China auf dem Keenan-Riff, das zu den umstrittenen Spratley-Inseln im Südchinesisischen Meer gehört, militärische Einrichtungen errichtet. (Foto: dpa)

In Südostasien nehmen die Spannungen zwischen China und den USA immer mehr zu. Auch ein Ereignis, das mit dem Konflikt der beiden Supermächte originär nichts zu tun hat wie der Militärputsch in Myanmar, hat Konsequenzen für die geopolitische Gemengelage in der Region – und unter Umständen das Potential, den schwelenden Brand weiter anzufachen. Moritz Enders hat mit dem Regional- und Sicherheits-Experten Dr. Felix Heiduk von der „Stiftung für Wissenschaft und Politik“ über die Lage in der vielleicht wichtigsten Region der Welt gesprochen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Die Spannungen zwischen den USA und der VR China scheinen in letzter Zeit zuzunehmen. Droht hier die „Falle des Thukydides“ zuzuschnappen?

Felix Heiduk: Dabei spielen Sie auf das Buch von Graham Allison an, der in „Destined for War: Can America and China Escape Thucydides's Trap?“ (Zum Krieg verdammt? Können die USA und China der Thukydides-Falle entkommen?) historisch argumentiert, dass die Gefahr für gewalttätige Konflikte zwischen Großmächten immer dann exponentiell anwächst, wenn eine Macht eine andere überflügelt. In solchen Übergangsphasen, so die von Thukydides‘ Beobachtungen der Peloponnesischen Kriege abgeleitete Annahme, in denen eine Hegemonialmacht ihre Hegemonie zugunsten einer anderen verliert, kommt es zu unlösbaren Konflikten und in der Folge, so die Vertreter der These, fast immer zum Krieg. Ich teile die Grundannahme dahinter allerdings nicht, denn diese geht primär von strukturellen Konfliktdeterminanten aus, die in der Folge geradezu zwangsläufig zu einem Krieg führen. Internationale Politik ist in dieser Sichtweise eine Art Nullsummenspiel, in dem Staaten in Bezug auf Hegemonie entweder „alles gewinnen“ oder eben „alles verlieren“. In der Realität ist Hegemonie zunächst nie vollkommen, sondern weist immer Brüche und Schwächen auf. In vielen Politikfeldern, zum Beispiel der Klimapolitik oder der Gesundheitspolitik (Covid 19!), greift die oben genannte Nullsummenlogik gar nicht, da sich „Gewinne“ und „Verluste“ an Macht oftmals im nationalen Alleingang gar nicht herstellen lassen. Zudem würde ich hier dagegenhalten

wollen, dass Strukturen in den internationalen Beziehungen nicht „natürlich“ sind, sondern von Menschen gemacht. Von Menschen, deren Werte, Interessen, Sichtweisen und Vorstellungen nie statisch, sondern immer Veränderungen unterworfen sind. Somit sind die strukturellen Konfliktdeterminanten auch veränderbar, wenn es hierfür entsprechenden politischen Willen der Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen gibt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Vor welchen diplomatischen und geopolitischen Herausforderungen stehen die ASEAN- Staaten, Korea und Japan angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und der VR China?

Felix Heiduk: Vereinfacht gesagt, stehen sie alle vor der Herausforderung, mit den Spannungen so umzugehen, dass es nicht zu einem Ausbruch eines Krieges zwischen den USA und China kommt. Denn dieser wäre für alle Staaten der Region das schlimmste denkbare Szenario. Wirtschaftlich sind Japan, Süd-Korea und vor allem die ASEAN-Staaten immer stärker von China abhängig – China wird zunehmend in der Region geo-ökonomisch zum dominanten Akteur. Gleichzeitig verfügen Japan und Süd-Korea über Militärallianzen mit den USA. Auch viele ASEAN-Staaten wie die Philippinen oder Singapur verfügen über sehr viel engere sicherheitspolitische Beziehungen zu den USA als zu China. Washington hat sich in den letzten Jahren jedoch zunehmend als wankelmütiger Partner erwiesen, vor allem unter der Trump-Administration. Insofern suchen, immer noch stark vereinfacht gesprochen, fast alle Staaten der Region nach einer Diversifizierung ihrer wirtschaftlichen und politischen Partner. So will man eine drohende Bipolarität zwischen den USA und China, und damit einen Rückfall in einen neuen Kalten Krieg, durch eine multipolare Ordnung verhindern.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Auswirkungen hat der Militärputsch in Myanmar auf die Machtbalance in der Region und spielt er einer der beiden Supermächte - den USA oder der VR China – gegebenenfalls in die Hände?

Felix Heiduk: Das ist noch viel zu früh zu sagen, denn die Entwicklungen sind derzeit extrem dynamisch. Die Auswirkungen der derzeitigen Massenproteste und des zivilen Ungehorsams auf die Stabilität der neuen Regierung ist noch gar nicht absehbar. Die USA wie auch Europa haben sich bereits vor Jahren aus Myanmar weitestgehend zurückgezogen, so dass in ein etwaiges geopolitisches Ringen um Myanmar vor allen Dingen China, Indien und Japan involviert wären. Aber wie gesagt, es ist für jegliche Rückschlüsse noch viel zu früh.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche geostrategische Bedeutung käme der Straße von Malakka in einem Konflikt zwischen der VR China und den USA zu?

Felix Heiduk: In der Sichtweise vieler chinesischer Offizieller und auch außenpolitischer Berater stellt die Straße von Malakka bei Kriegsausbruch ein „Dilemma“ für China dar, da durch diese Meerenge ein Großteil des maritimen Handels zwischen Europa, Afrika und dem Mittleren Osten auf der einen und Ostasien auf der anderen Seite verläuft. Dadurch, dass die USA permanent Kriegsschiffe in Singapur stationiert haben, könnten die USA aus der Sicht Chinas die Straße von Malakka effektiv sperren und so China von dieser wichtigen maritimen Handelsroute abschneiden. Genauso würde dies aber auch zum Beispiel Japan und Süd-Korea treffen. Um dies Dilemma abzumildern, hat China vor einiger Zeit begonnen, wirtschaftliche Korridore zwischen der Küste Myanmars an der Bucht von Bengalen und Yunnan im Süden Chinas zu errichten. Diese umfassen Erdgas- und Erdölpipelines und Transportrouten.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Der ehemalige amerikanische Außenminister Mike Pompeo hat noch im Januar 2021 Beschränkungen bezüglich des Umgangs von amerikanischen Diplomaten und Regierungsvertretern mit deren Ansprechpartnern in Taiwan aufgehoben. Wie beurteilen Sie diesen Schritt? Und welche Rolle spielt Taiwan im geostrategischen Kräftemessen zwischen den USA und der VR China?

Felix Heiduk: Taiwan kommt allein ob des Umstandes, dass Peking es als „originären“ Teil Chinas sieht, eine besondere Bedeutung zu. Zudem hat Taiwan unter anderem aufgrund seiner geographischen Nähe zur VR China und der Hochrüstung beider Akteure Symbolcharakter sowohl für China wie auch die USA. Die Aufhebung der Beschränkung würde ich daher als einen Teil der US-Reaktionen auf das aus der Sicht der USA immer konfrontativere Vorgehen Chinas gegenüber Taiwan aber auch im Südchinesischen Meer betrachten. Diese quid pro quo-Logik bietet jedoch auch Risiken, denn sie könnte am Anfang einer Eskalationsspirale stehen, die, wenn einmal in Gang gesetzt, schwer zu stoppen sein dürfte. Aber soweit scheinen wir derzeit glücklicherweise noch nicht zu sein.Ch

Info zur Person: Der Politologe Dr. Felix Heiduk ist Mitglied der Forschungsgruppe Asien der „Stiftung für Wissenschaft und Politik“. Seine Forschungsgebiete sind unter anderem Indonesien, die Philippinen, Thailand, Maritime Sicherheit, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie Streitkräfte und Militär.

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