Politik

Östliches Mittelmeer: Großmächte kämpfen um das Herz der Welt

Lesezeit: 8 min
16.04.2021 11:10  Aktualisiert: 16.04.2021 11:10
Im östlichen Mittelmeer wetteifern die internationalen Mächte um Einfluss auf Energieressourcen, Pipelines und die Handelsstraße zur See.
Östliches Mittelmeer: Großmächte kämpfen um das Herz der Welt
Das östliche Mittelmeer und der Seehandelsweg von Ost nach West und West nach Ost. (DWN/Google Maps)

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Der erste Besuch eines griechischen Außenministers in der Türkei seit zwei Jahren hat in einem Eklat geendet. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am Donnerstag warfen sich Nikos Dendias und sein türkischer Amtskollege Mevlüt Çavuşoğlu jeweils Fehlverhalten in zentralen Konflikten wie dem Erdgasstreit und der Migrationspolitik vor.

Während beide Politiker zu Beginn der Konferenz noch eine positive und konstruktive Atmosphäre lobten, eskalierte das Gespräch schnell, nachdem Dendias die Türkei etwa ermahnte, keine „Fake-News“ zu verbreiten, „die nicht zum positiven Klima beitragen, auf dessen Stärkung wir uns geeinigt haben“. Zudem müsse „die Zypernfrage endlich gelöst werden“ und Abstand davon genommen werden, „auch in dieser Region zu provozieren“.

Çavuşoğlu, der Dendias zu Beginn noch seinen langjährigen Freund genannt hatte, reagierte und sagte, er habe das Gespräch in einer freundlichen Atmosphäre führen wollen. „Aber in seiner Rede hat Niko Dendias leider äußerst inakzeptable Anschuldigungen gegenüber meinem Land geäußert.“ Er warf Griechenland etwa vor, gegen internationales Recht zur verstoßen und Menschen „ins Meer geworfen“ zu haben. Das habe man nicht vor der Presse besprechen wollen, „aber Sie stellen sich hierher und beschuldigen die Türkei vor der Presse, um natürlich Ihrem Land eine Botschaft zu vermitteln. Das kann ich nicht akzeptieren“, sagte der türkische Außenminister.

Die Spannungen im östlichen Mittelmeer sind emotional aufgeladen. Dabei folgen sie einer gewissen Logik, denn es geht um rationale und handfeste energie- und sicherheitspolitische Interessen, die in diesem Artikel dargestellt werden sollen:

Ein herausragendes Merkmal, das die geopolitische Bedeutung des östlichen Mittelmeeres seit Jahrhunderten geprägt hat, war seine Position als Kreuzungspunkt zwischen drei Kontinenten: Europa, Asien und Afrika. Die heutige regionale Machtverteilung spiegelt diesen jahrhundertealten Status wider. Staaten wie Griechenland, die Türkei, Israel und Ägypten spielen in diesem Bereich eine wichtige Rolle. Aber auch der Iran, die EU (durch ihre beiden Mitglieder Griechenland und Zypern) sowie Italien und Frankreich, deren Energiekonzerne in der Region präsent sind, haben dort ebenfalls erhebliche Anteile, führt der Geopolitical Monitor (GM) - ein kanadisches nachrichtendienstliches Fachmagazin - in einer Analyse aus. Außerdem sind Großmächte wie die USA, Russland und jetzt sogar China (mit seiner Neuen Seidenstraße) beteiligt.

Dieses komplizierte Netzwerk divergierender Interessen und gegensätzlicher Identitäten, kombiniert mit der geostrategischen Bedeutung des Gebiets, erklärt, warum der östliche Mittelmeerraum durch so viele Konflikte und territoriale Konflikte gekennzeichnet ist. Einer Studie des United States Geological Survey (USGS) aus dem Jahr 2010 zufolge beherbergt der östliche Mittelmeerraum über 122 Billionen Kubikfuß Erdgas und 1,7 Milliarden Barrel an Ölreserven.

In einer derart rohstoffreichen Region könne es jedoch problematisch sein, zu bestimmen, wer das Recht auf Zugang zu diesen Ressourcen hat und diese ausbeuten kann, da dies eine Einigung über die jeweiligen ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) erfordert, so der GM.

Reiche Lagerstätten liegen weit entfernt von den Küsten Israels und des Libanons (wie das Tamar- und Leviathan-Feld). Einige liegen in der Nähe von Ägypten (insbesondere das Zohr-Feld, das größte in der Region) und andere in der AWZ Zyperns, wie die Aphrodite- und Calypso-Felder, wobei sich hier Zypern und die Türkei um die Förderrechte streiten. Unter den Konflikten, die das Gebiet charakterisieren, nehmen drei eine größere Bedeutung ein: der israelisch-libanesische Grenzstreit, der Krieg in Syrien und schließlich die Zypern-Frage.

Israel und der Libanon haben keine Einigung über die Abgrenzung ihrer jeweiligen AWZ erzielt, und da eine Reihe von Gasvorkommen nahe der Küste beider Staaten liegen, gibt es keine Übereinstimmung darüber, wem diese Ressourcen gehören. Israel hat im Rahmen dieses Disputs eindeutig die Oberhand. Jerusalem hat eine feste Haltung eingenommen, um sein Recht geltend zu machen, die Kohlenwasserstoffe der Region zu nutzen. Aber die Dinge sind kompliziert, da Beirut mit Teherans Unterstützung gegen diese Schritte protestiert hat. Vor allem aber hat die libanesische Hisbollah, die mächtige schiitische Miliz, die vom Iran unterstützt wird, gedroht, israelische Schiffe und Einrichtungen, die an der Offshore-Ausbeutung von Kohlenwasserstoffen beteiligt sind, anzugreifen, sollte sich Israel in Beiruts Gasentwicklungs-Projekte einmischen. Unter Berücksichtigung aller anderen Spannungsquellen könnte die Situation daher rasch eskalieren. Insbesondere könnte Israel beschließen, eine neue Offensive im Südlibanon zu starten, um die Bedrohung durch die Hisbollah anzugehen.

Der Iran in Syrien und das östliche Mittelmeer

Teheran hat konkrete Pläne in Bezug auf die Levante und das östliche Mittelmeer, was auch seine Haltung in Syrien erklärt. Dieses Land ist seit 2011 von einem verheerenden Stellvertreter-Krieg heimgesucht worden. Obwohl es bisher kein bedeutender Kohlenwasserstoffproduzent war, hat Syrien in der Energiegeopolitik des östlichen Mittelmeeres noch eine bemerkenswerte Bedeutung als Pipeline-Kreuzung. Angesichts des Syrien-Konflikts und den von Westen unterstützten Sanktionen kann Damaskus seine Öl- und Gasgüter nicht mehr wie vor dem Krieg nach Europa exportieren. Eine Lösung besteht darin, seine Exporte durch die Zusammenarbeit mit dem Iran und Russland zu diversifizieren. Der Iran plante den Bau einer Pipeline zum Mittelmeer und Europa durch den Nordirak und Syrien, was die Präsenz Teherans in diesen beiden Staaten und seine entschiedene Unterstützung der syrischen Regierung erklärt. Deshalb wollte der Iran eine Landbrücke zum Mittelmeer bauen - ein Vorhaben, das allerdings weitgehend ausgehebelt wurde.

Moskau sieht in Syrien einen wichtigen Zugang zum Mittelmeer, auch im Energiebereich. Es sei darauf hingewiesen, dass Russland im vergangenen Januar das ausschließliche Recht erhalten hat, Öl und Gas im Land zu produzieren, berichtet Radio Free Europe/Radio Liberty. Russland wird nicht nur seine Position im Nahen Osten stärken, sondern auch die erheblichen Kosten für den Wiederaufbau der syrischen Energie-Infrastruktur übernehmen, die auf 35 bis 40 Milliarden US-Dollar geschätzt werden. Moskau möchte dadurch auch einen Zugang zu den fossilen Brennstoff-Vorkommen im östlichen Mittelmeer erhalten.

Der GM wörtlich: „Wichtig ist, dass die russisch-iranischen Projekte in der Region die Türkei umgehen und die politische Hebelwirkung verringern, die sie als eine wichtige Pipeline-Kreuzung zwischen Ost und West genießt. Vor diesem Hintergrund ist Ankaras Intervention in Syrien nicht nur ein Versuch, die Bildung eines kurdischen Staates zu stoppen, sondern auch eine Maßnahme, um die Realisierung solcher Pipeline-Projekte zu vermeiden, die ihre geoökonomische Relevanz verringern würden.“

Beim Syrien-Konflikt geht es also auch um den Zugang zum Mittelmeer und seinen Brennstoff-Vorkommen, und dies bringt uns in die letzte Konfliktzone: Zypern. Abgesehen von ihrer eigenen Relevanz ist die Insel auch eng mit den anderen oben beschriebenen Konfliktgebieten verbunden, und es wurde sogar spekuliert, dass der Syrien-Konflikt auf Zypern übergreifen könnte. Die Entdeckungen der Aphrodite- und Calypso-Felder haben die Hoffnung aufkommen lassen, die Insel zum Zentrum der Energieproduzenten im östlichen Mittelmeerraum zu machen und sogar den seit 1974 bestehenden Streit zwischen dem griechischen Süden und dem türkischen Norden zu lösen. Doch der Gas-Fund hat zu erneuten Spannungen zwischen Zypern und der Türkei geführt.

Türkei und Zypern

Die Aussicht auf Reichtum durch Energie schürte nur den Streit darüber, wer auf die Ressourcen zugreifen dürfe und wie sie verteilt werden sollten. In diesem Zusammenhang zögerte Ankara nicht, das Militär zum Schutz seiner Interessen einzusetzen. Der bemerkenswerteste Vorfall ereignete sich am 9. Februar, als Ankaras Marine die „Saipem 12000“, ein Bohrschiff des italienischen ENI, daran hinderte, Gasexplorationsaktivitäten vor der Küste Zyperns durchzuführen.

Die türkische Regierung hat der griechisch-zypriotischen Regierung einseitige Maßnahmen zur Ausbeutung der Energievorkommen zum ausschließlichen Vorteil der griechischen Gemeinschaft vorgeworfen, während Nikosia seine Besorgnis über die Drohung Ankaras, Gewalt anzuwenden, äußerte.

Dieser Überblick zeigt, dass Zypern im Zentrum der Gasgeopolitik in der Region steht und dass die Türkei ihren Status als wichtiger Energie-Knotenpunkt nicht verlieren möchte. Wichtige Gasfelder befinden sich in der Nähe von Zypern, und die bestehenden Streitigkeiten beruhen weitgehend darauf, wie Nikosia seine AWZ mit Nachbarländern abgegrenzt hat.

Dies wiederum veranlasst andere Mächte, zu reagieren, indem sie ihre Zusammenarbeit nach einer „anti-türkischen Logik“ verstärken, so der GM. Wenn Ankara weiterhin entschlossen handelt, dürfte dieser Trend verstärkt werden und die Gefahr von Konflikten im östlichen Mittelmeer, insbesondere in Zypern und seinen Gewässern, steigen. Die türkische Intervention in Libyen hängt somit direkt mit den Seegrenzen im östlichen Mittelmeer zusammen. In diesem Zusammenhang dürften die „anti-türkischen“ Maßnahmen in Kontinentaleuropa zunehmen.

Türkei, Israel und Russland

Im Jahr 2017 traf sich Albayrak mit seinem israelischen Amtskollegen Yuval Steinitz auf dem 22. World Petroleum Congress (WPC) in Istanbul. Steinitz sagte, dass Israel die Gasressourcen im östlichen Mittelmeer erschließen möchte. In diesem Zusammenhang soll eine Unterwasser-Pipeline von Israel in die Türkei gebaut werden, um die Nachfrage im türkischen Binnenmarkt zu bedienen und die Türkei als Transitland in den europäischen Markt zu nutzen. Eine zweite Pipeline soll von Südzypern über Griechenland bis nach Italien ragen, um den europäischen Markt zu erreichen. „Wir haben mit meinem türkischen Amtskollegen Berat Albayrak ein sehr positives Gespräch geführt. Wir werden diese Gespräche vertiefen, um alsbald eine Absichtserklärung zu unterzeichnen“, zitiert der türkischsprachige Dienst von Bloomberg Steinitz. Allerdings konnte das Projekt für den Bau einer Pipeline von Israel bis in die Türkei noch nicht umgesetzt werden, da sich die energiepolitischen Partner Israels - Ägypten, Südzypern und Griechenland - gegen das Projekt positionieren.

Jerusalem versucht, sowohl mit der Türkei als auch mit Ägypten, Südzypern und Griechenland zu kooperieren, um den europäischen Gasmarkt zu beliefern. Die Kooperation soll im Rahmen des Pipeline-Projekts EastMed erfolgen. Das EastMed-Pipeline-Projekt soll Erdgas aus dem israelischen Leviathan-Erdgasfeld nach Europa transportieren. '

Die Baukosten dieses Projekts belaufen sich auf etwa sieben Milliarden US-Dollar und die Frage der Finanzierung wurde noch nicht vollständig geklärt. Nikosia drängt auch darauf, die Pipeline über das Gasfeld „Aphrodite“ mit einer LNG-Aufbereitungsanlage in Ägypten zu verbinden, die ebenfalls etwa eine Milliarde Dollar kosten soll. Die Pipeline soll im Detail von Israel nach Zypern und von dort aus nach Kreta zum griechischen Festland reichen. Von dort aus soll dann Erdgas über eine andere Erdgasleitung - die Poseidon Pipeline - nach Italien geliefert werden. Israel hat das Abkommen über die Pipeline am 19. Juli 2020 ratifiziert.

Das Projekt zielt darauf ab, rund zehn Prozent des Erdgasbedarfs der Europäischen Union zu decken und damit die energiepolitische Abhängigkeit des Kontinents von Russland zu verringern. Die türkische Zeitung Birgün wörtlich: „Die EU hat bereits begonnen, einen Energiekorridor vom östlichen Mittelmeer nach Südosteuropa zu schaffen. Die EU hat mit der Aufnahme Süd-Zyperns in die EU einen erheblichen Einfluss im östlichen Mittelmeer gewonnen und ist zu einem Akteur geworden. Da die EU ihre Energieabhängigkeit von Russland reduzieren möchte, unterstützen sie die Regierung in Nikosia.“

Russland hat kein Interesse daran, die europäische Abhängigkeit von seinen Energieressourcen großartig zu verringern. Es bleibt abzuwarten, welche Maßnahmen Moskau treffen wird, um EastMed zu stoppen – wenn dies tatsächlich das Ziel sein sollte. Schließlich unterhält Russland wichtige wirtschaftliche und politische Beziehungen mit den Ländern, die am Bau von EastMed beteiligt sind. Zu beachten ist, dass EastMed eigentlich keine große Veränderung in Europas energiepolitischer Abhängigkeit von Russland herbeiführen wird.

Unabhängig davon, ob kurz- oder langfristig, wird das Projekt die Abhängigkeit der EU von Russland unter Berücksichtigung der aktuellen Zahlen für Angebot und Nachfrage von Erdgas nur um maximal fünf Prozent verändern. Angesichts der derzeitigen Stärke Moskaus und des zunehmenden Einflusses auf den Erdgassektor der EU scheinen die Folgen des EastMed-Projekts daher vernachlässigbar.


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