Politik

Bundesverfassungsgericht weist Eilantrag gegen Corona-Aufbaufonds ab

Lesezeit: 3 min
21.04.2021 09:39  Aktualisiert: 21.04.2021 09:39
Eine Bürgerinitiative um Bernd Lucke ist mit ihrem Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht gescheitert. Damit wird Deutschland der gemeinsamen Schuldenaufnahme in der EU zustimmen, die eigentlich durch die EU-Verträge ausgeschlossen wurde.
Bundesverfassungsgericht weist Eilantrag gegen Corona-Aufbaufonds ab
Karlsruhe unterstützt die Schuldenaufnahme durch die EU. (Foto: dpa)
Foto: Uli Deck

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Deutschland steht dem Start des 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds der EU nicht mehr im Weg. Das Bundesverfassungsgericht wies den Eilantrag eines Kläger-Bündnisses um den früheren AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke ab. Mit der am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung kann Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das von Bundestag und Bundesrat beschlossene Ratifizierungsgesetz nun unterzeichnen. Damit gibt Deutschland grünes Licht für das Finanzierungssystem der EU bis 2027, das auch den Fonds umfasst. Es wird aber ein Hauptverfahren in Karlsruhe geben. (Az. 2 BvR 547/21)

Das im Sommer 2020 verabredete Paket soll den 27 EU-Staaten helfen, nach der Pandemie wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen. Einen Teil des Geldes gibt es als Zuschüsse, einen Teil als Darlehen. Dafür wollen die EU-Staaten gemeinsam Schulden aufnehmen. Die EU-Kommission kann mit der Aufnahme der Kredite und der Auszahlung aber erst beginnen, wenn alle den Beschluss ratifiziert haben.

Dabei war auch Deutschland zuletzt ein Wackelkandidat: Wegen des Eilantrags hatte das Verfassungsgericht dem Bundespräsidenten zunächst untersagt, das Gesetz zu unterzeichnen. Damit wollten die Richter verhindern, dass bis zu ihrer Entscheidung Fakten geschaffen werden, hinter die man nicht mehr zurückkäme.

Luckes "Bündnis Bürgerwille", das nach eigenen Angaben aus mehr als 2200 Unterstützern besteht, hält vor allem die gemeinschaftliche Verschuldung für unzulässig. Diese sei ein "krasser Vertragsbruch".

Mit der eigentlichen Verfassungsbeschwerde der Kläger wird sich das Gericht später ausführlich beschäftigen. Der Ausgang dieses Verfahrens sei offen, teilten die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats mit. "Bei summarischer Prüfung" im Eilverfahren sehen sie aber keine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Verfassungsverstoß. Deshalb darf Deutschland den Fonds fürs erste mit auf den Weg bringen. Ein verspäteter Start könne irreversible Folgen haben, stellte das Gericht fest. Die Bundesregierung befürchte außerdem "erhebliche außen- und europapolitische Verwerfungen".

Bundesfinanzminister Olaf Scholz sprach von einer guten Nachricht und einem "wichtigen Schritt in der Bekämpfung der Pandemie in ganz Europa". Es sei richtig, mit enormen Mitteln dazu beizutragen, Arbeitsplätze und Unternehmen zu retten und dies in Europa gemeinsam zu tun, sagte der SPD-Politiker im Bundestag.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts begrüßt, den Eilantrag gegen die europäischen Corona-Hilfen abzuweisen. "Die EU bleibt auf Kurs bei der wirtschaftlichen Erholung nach dieser beispiellosen Pandemie", schrieb von der Leyen am Mittwoch auf Twitter. "Next Generation EU wird den Weg für eine grüne, digitale und widerstandsfähigere Europäische Union bahnen."

Der Zweite Senat schreibt schon jetzt, dass das eigentliche Verfahren viel Zeit in Anspruch nehmen werde. Notfalls könnten die Richter noch den Europäischen Gerichtshof einschalten und Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat zum Eingreifen verpflichten.

Massive Bedenken scheinen zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht zu bestehen. Höhe, Dauer und Zweck der von der EU-Kommission aufzunehmenden Mittel seien begrenzt, hieß es in der Mitteilung. Das gleiche gelte für eine mögliche Haftung Deutschlands. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich im vergangenen Jahr ähnlich geäußert. Sie sprach damals mit Blick auf den Wiederaufbaufonds von einem "einmaligen Kraftakt".

Die ersten Hilfsgelder sollen nach jetzigem Stand vom Sommer an fließen. Allerdings fehlt auch noch die Ratifizierung in anderen Ländern. Bis zu diesem Mittwoch hatten nach Angaben aus der EU-Kommission 17 der 27 Mitgliedstaaten alle notwendigen Schritte abgeschlossen. Außerdem wird noch an den nationalen Aufbauplänen gefeilt. Die Staaten sollen vorab genau darlegen, wofür sie die Milliarden verwenden wollen - eigentlich bis zum 30. April. Es gibt aber Zweifel, ob das alle schaffen werden.

Aus dem Aufbaufonds RRF werden insgesamt 312,5 Milliarden Euro als Zuschüsse an die EU-Staaten verteilt und bis zu 360 Milliarden Euro als Darlehen (jeweils in Preisen von 2018). Neben den 672,5 Milliarden Euro für die Aufbau- und Resilienzfazilität sind auch noch 77,5 Milliarden Euro Corona-Extragelder für EU-Programme eingeplant.

Da die Inflation bei der Auszahlung der Gelder berücksichtigt wird, kann Deutschland nach derzeitigem Stand 25,6 Milliarden Euro an Zuschüssen erwarten. Spanien darf als wirtschaftlich besonders stark von der Pandemie betroffenes Land sogar mit knapp 70 Milliarden Euro rechnen, Italien mit rund 69 Milliarden Euro. In sogenannten laufenden Preisen wird ein Gesamtpaket von rund 800 Milliarden Euro erwartet.

Wegen des Aufbaufonds ist in Karlsruhe inzwischen auch eine Organklage der AfD-Fraktion gegen Bundestag und Bundesregierung anhängig. Außerdem hat eine Privatperson Verfassungsbeschwerde eingereicht, wie ein Gerichtssprecher sagte. Auch hier gibt es jeweils Eilanträge. Nach der jetzigen Entscheidung dürften diese aber keinen Einfluss auf die weitere Entwicklung haben.

Dementsprechend äußerte sich auch EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn am Mittwoch zuversichtlich. Er sei optimistisch, dass jetzt alle Mitgliedstaaten die Ratifizierung des Eigenmittelbeschlusses innerhalb der kommenden Wochen abschließen könnten.

Mehr zum Thema: Krisenprofiteur Brüssel: Corona soll aus der EU einen Superstaat machen


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Yulin Delegation - Erfolgreich veranstaltetes Wirtschafts- und Handelsaustauschtreffen in Berlin

Am 25. April 2024 organisierte eine Delegation aus der chinesischen Stadt Yulin ein erfolgreiches Wirtschafts- und Handelsaustauschtreffen...

DWN
Politik
Politik Militärhistoriker Dr. Lothar Schröter im DWN-Interview: Die Folgen des Massenmords von Odessa 2014
02.05.2024

Der Militärhistoriker Dr. Lothar Schröter ordnet im DWN-Interview den Massenmord in Odessa vom 2. Mai 2014 ein. Dabei geht er auch auf...

DWN
Politik
Politik DWN-Interview: Ukraine-Krieg - Zehn Jahre nach dem Massenmord von Odessa
02.05.2024

Am 2. Mai 2014 ist es in der ukrainischen Stadt Odessa zu einem Massenmord gekommen, bei dem fast fünfzig Menschen qualvoll ums Leben...

DWN
Politik
Politik Heimatschutz: Immer mehr Bürger dienen dem Land und leisten „Wehrdienst light"
01.05.2024

Ob Boris Pistorius (SPD) das große Ziel erreicht, die Truppe auf über 200.000 Soldaten aufzustocken bis 2031 ist noch nicht ausgemacht....

DWN
Immobilien
Immobilien Balkonkraftwerk mit Speicher: Solarpaket könnte Boom auslösen - lohnt sich der Einbau?
01.05.2024

Balkonkraftwerke aus Steckersolargeräten werden immer beliebter in Deutschland. Insgesamt gibt es aktuell über 400.000 dieser sogenannten...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Weltweite Aufrüstung verschärft Knappheit im Metallsektor
01.05.2024

Die geopolitischen Risiken sind derzeit so groß wie seit den Hochzeiten des Kalten Krieges nicht mehr. Gewaltige Investitionen fließen in...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Nachhaltigkeit als Schlüsselfaktor für Unternehmenserfolg
01.05.2024

Die Studie „Corporate Sustainability im Mittelstand“ zeigt, dass der Großteil der mittelständischen Unternehmen bereits Maßnahmen...

DWN
Finanzen
Finanzen Private Pflegezusatzversicherungen: Wichtige Absicherung mit vielen Varianten
01.05.2024

Die gesetzliche Pflegeversicherung reicht oft nicht aus, um die Kosten im Pflegefall zu decken. Welche privaten Zusatzversicherungen bieten...

DWN
Unternehmen
Unternehmen 22-Prozent unbezahlte Überstunden: Wenn Spitzenkräfte gratis arbeiten
01.05.2024

Arbeitszeit am Limit: Wer leistet in Deutschland die meisten Überstunden – oft ohne finanziellen Ausgleich? Eine Analyse zeigt,...