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EU setzt Luftraum-Sperre für Flugzeuge aus Belarus in Kraft

Lesezeit: 3 min
05.06.2021 16:58  Aktualisiert: 05.06.2021 16:58
Fluggesellschaften aus Belarus dürfen seit Samstagmorgen nicht mehr in den Luftraum der EU fliegen und damit auch nicht mehr auf Flughäfen in den Mitgliedsstaaten starten oder landen. Die EU plant bereits weitere Sanktionen.
EU setzt Luftraum-Sperre für Flugzeuge aus Belarus in Kraft
Heiko Maas kündigt bereits weitere Sanktionen gegen Belarus an. (Foto: dpa)
Foto: Bernd von Jutrczenka

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Fluggesellschaften der autoritär geführten Ex-Sowjetrepublik Belarus dürfen seit Samstag nicht mehr in den Luftraum der EU fliegen und damit auch nicht mehr auf Flughäfen in EU-Staaten starten oder landen. Mit der um Mitternacht in Kraft getretenen Strafmaßnahme reagiert die EU darauf, dass der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko vor rund zwei Wochen eine Ryanair-Passagiermaschine auf dem Weg von Athen nach Vilnius zur Zwischenlandung in Minsk zwang. Er ließ danach den an Bord reisenden regierungskritischen Blogger Roman Protassewitsch und seine Freundin Sofia Sapega festnehmen. Beide sitzen in Haft.

Der 26 Jahre alte Protassewitsch hatte in einem am Donnerstag von den Staatsmedien in Belarus wohl unter Druck entstandenen Interview gesagt, dass er in der Opposition im Ausland gegen Lukaschenko gearbeitet und Massenproteste organisiert habe. Dabei nannte er zur Freude der Staatspropaganda zahlreiche Namen und mutmaßliche Details zur Arbeit der Lukaschenko-Gegner. Womöglich sind ihm die Angaben diktiert worden. Betroffene und Familienmitglieder meinten, die Aussagen des Bloggers seien nach Folter entstanden.

Der von Protassewitsch auch in dem Interview genannte prominente Politologe Artjom Schraibman teilte am Samstag mit, dass er aus Angst vor einer Inhaftierung des Land verlassen habe. Zugleich wies er in seinem Nachrichtenkanal zurück, für die Opposition gearbeitet zu haben. Er sei Beobachter und Analyst und habe sich nicht für Interessen anderer einspannen lassen – auch nicht für die Revolution gegen Lukaschenko. Die Staatspropaganda bejubelte seine «Flucht». Schraibman hatte auch gesagt, dass er Protassewitsch als «Geisel» Lukaschenko sehe – und er ihn deshalb nicht verurteilen könne für die Anschuldigungen.

Die belarussischen Staatsmedien berichteten auch, dass Vertreter der Ermittlungsbehörden aus dem prorussischem Separatistengebiet Luhansk in der Ostukraine auf dem Weg nach Minsk seien, um Protassewitsch zu vernehmen. Lukaschenko hatte ihn als «Terroristen» bezeichnet und ihm vorgeworfen, im Krieg im Donbass als Kämpfer auf der Seite ukrainischer Truppen im Gebiet Luhansk zahlreiche Menschen getötet zu haben. Deshalb wollten die Vertreter der Separatistengebiete ihn nun vernehmen, hieß es. Protassewitsch fürchtet um sein Leben. Seine Mutter hatte gesagt, ihr Sohn sei als Journalist im Donbass gewesen und nicht als Söldner.

In dem am Freitag gefassten Sanktionsbeschluss der EU gegen Belarus heißt es, die Zwangslandung mache die Unzuverlässigkeit der belarussischen Luftfahrtbehörden deutlich und stelle einen weiteren Schritt zur Repression der Zivilgesellschaft und der demokratischen Opposition in Belarus dar. Unter Verweis auf eine von Belarus behauptete Bombendrohung gegen die Ryanair-Maschine ist von gefälschten Beweisen die Rede. Der Landung soll bereits eingeleitet worden sein, als eine per Mail am 23. Mai abgesetzte Bombendrohung noch gar nicht vorlag. Die Mail ging erst später ein.

Für Flugreisende bedeutet der EU-Beschluss, dass sie künftig vermutlich nur noch über Umwege von der EU nach Belarus oder von Belarus in die EU fliegen können – zum Beispiel über Russland. Bereits vor dem Sanktionsbeschluss waren nämlich auch alle Fluggesellschaften mit Sitz in der EU aufgefordert worden, Flüge in den Luftraum von Belarus zu vermeiden.

Die staatliche belarussische Fluggesellschaft Belavia hatte infolge der angekündigten Strafmaßnahmen bereits am 27. Mai von sich aus angekündigt, alle Flüge unter anderem nach Deutschland, Polen, Italien, Österreich, die Niederlande, Spanien und Belgien vorerst einzustellen. In Deutschland waren zum Beispiel Verbindungen nach Frankfurt, Berlin, Hannover und München betroffen.

EU-Ratspräsident Charles Michel teilte nach dem Sanktionsbeschluss vom Freitag mit, dass weitere Strafmaßnahmen schnell folgen würden. Er spielte damit darauf an, dass nach einer Einigung der Staats- und Regierungschef vom 24. Mai auch Wirtschaftssanktionen sowie Strafmaßnahmen gegen Personen und Einrichtungen vorbereitet werden.

Nach Angaben von Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) könnte bei den Wirtschaftssanktionen zum Beispiel die Kali- und Phosphatindustrie ins Visier genommen werden. Andere EU-Politiker brachten zudem Hersteller von Ölprodukten ins Spiel. Beides sind Bereiche, in denen es starke belarussische Staatsunternehmen gibt. Einigkeit besteht in der EU darüber, dass Branchen oder Unternehmen ausgewählt werden sollen, mit denen man die Staatsführung möglichst hart und die Bevölkerung möglichst wenig trifft.

In der Ex-Sowjetrepublik Belarus gibt es seit der Präsidentenwahl am 9. August vergangenen Jahres Proteste gegen Lukaschenko, der bereits seit fast 27 Jahren an der Macht ist. Auslöser sind Vorwürfe der Fälschung der Wahl, nach der sich Lukaschenko mit 80,1 Prozent der Stimmen zum Sieger hatte erklären lassen. Sicherheitskräfte gehen gegen Demonstranten oft gewaltsam vor. Bei den Protesten gab es bereits mehrere Tote, Hunderte Verletzte und Tausende Festnahmen. Menschenrechtler kritisieren Folter in den belarussischen Gefängnissen.

Unter den mehr als 400 politischen Gefangenen in Belarus sind eine Vielzahl prominenter Oppositioneller, darunter der frühere Bankier Viktor Babariko und der Blogger Sergej Tichanowski, die bei der Präsidentenwahl gegen Lukaschenko hatten antreten wollen, aber davor inhaftiert worden waren. Die Opposition sieht Swetlana Tichanowskaja, die in der EU im Exil lebt und für ihren inhaftierten Mann gegen Lukaschenko angetreten war, als wahre Siegerin der Abstimmung.

Tichanowskaja hatte das Interview mit Protassewitsch ebenfalls als Ergebnis von Folter bezeichnet. Sie traf sich wie schon am Freitag auch am Samstag erneut in Polen mit den Eltern des Bloggers. Die 38-Jährige forderte wiederholt die Freilassung aller politischen Gefangenen, darunter auch ihre Mitstreiterin im Wahlkampf, Maria Kolesnikowa, einer ehemaligen Kulturmanagerin aus Stuttgart.


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