Die USA haben ihren Einsatz in Afghanistan nach 20 Jahren beendet. Die letzten Truppen verließen kurz vor Mitternacht (Ortszeit) das Land und damit vor Ablauf der für Dienstag gesetzten Frist. Die radikal-islamischen Taliban feuerten Freudenschüsse ab. "Der letzte US-Soldat hat den Flughafen von Kabul verlassen und unser Land hat seine vollständige Unabhängigkeit erlangt", sagte Taliban-Sprecher Kari Jusuf dem TV-Sender Al Jazeera zufolge. Auf undeutlichen Bildern der Taliban waren Kämpfer zu sehen, die in den Flughafen vorrückten. Das US-Militär veröffentlichte ein mit einer Nachtsichtkamera aufgenommenes Foto des letzten US-Soldaten beim Einstieg in das letzte Evakuierungsflugzeug.
"Unser Militärpräsenz in Afghanistan ist nun nach 20 Jahren zu Ende", erklärte US-Präsident Joe Biden. Er kündigte eine Rede noch für Dienstag an. Biden verteidigte erneut sein Festhalten an der gesetzten Frist zum Abzug der US-Truppen. Der Krieg in Afghanistan war der längste für die USA. Fast 2500 US-Soldaten kamen dabei ums Leben sowie geschätzt 240.000 Afghanen. Seit dem Beginn des Abzugs ausländischer Truppen waren die Taliban auf dem Vormarsch. Am 15. August übernahmen sie die Hauptstadt Kabul und damit faktisch wieder die Macht in Afghanistan.
Seither versuchten zahlreiche Menschen das Land zu verlassen. Teilweise herrschten am Flughafen in Kabul chaotische Zustände. Zahlreiche Betroffene schafften es nicht rechtzeitig für die Evakuierungsflüge dorthin. Derzeit laufen internationale Bemühungen, Menschen weiterhin ausfliegen zu können. Die Bundesregierung versucht nach Angaben von Bundesaußenminister Heiko Maas in einer zweiten Phase noch Zehntausende Afghanen aus dem Land nach Deutschland zu bringen.
Nach Angaben von Frank McKenzie, Leiter des US-Zentralkommandos, brachten die USA und ihre Verbündeten seit dem 14. August mehr als 122.000 Zivilisten außer Landes. Allerdings habe man nicht alle evakuieren können, die man hatte evakuieren wollen. Die Bundeswehr hatte am Donnerstag ihren Evakuierungseinsatz abgeschlossen. "Mit diesem Abzug ist eine Menge Herzschmerz verbunden", sagte McKenzie. "Wir haben nicht alle rausgeholt, die wir rausholen wollten. Aber ich denke, auch wenn wir noch zehn Tage länger geblieben wären, hätten wir nicht alle rausbekommen." Die USA hatten unter Präsident Donald Trump einen Abzug ausgehandelt. Sein Nachfolger Biden setzte die Frist bis Dienstag für einen vollständigen Abzug.
Die Bundeswehr, die in Kundus im Norden stationiert war, hatte am 30. Juni ihren Einsatz beendet und die letzten Soldaten abgezogen. Rund 150.000 Bundeswehr-Soldaten waren am Hindukusch im Einsatz, 59 von ihnen kamen dort ums Leben.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) rechnet damit, dass die Taliban "in Kürze" eine neue afghanische Regierung vorstellen werden. Dann werde sich auch zeigen, ob die neuen Machthaber in Afghanistan dazu bereit sind, mit der personellen Besetzung auch andere Bevölkerungsgruppen zu repräsentieren, sagte der SPD-Politiker am Dienstag in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad.
Liveticker Afghanistan
17.20 Uhr - Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock zeigt sich bei einer Wahlkampfveranstaltung in Potsdam offen für die Aufnahme von Flüchtlingen. "Wir haben Platz. "Wir können Menschenleben retten." Man müsse auch im Wahlkampf Haltung zeigen. Die europäische Flüchtlingspolitik funktioniere nicht, sagt Baerbock weiter. Einzelne Länder müssten deswegen gemeinsam vorangehen.
12.08 Uhr - Eine mit den Taliban verfeindete Miliz hat nach eigenen Angaben einen Vorstoß der neuen Machthaber auf die einzige von diesen noch nicht eroberte afghanische Provinz Pandschir abgewehrt. Bei den Kämpfen am westlichen Eingang zum Pandschir-Tal seien acht Taliban-Kämpfer getötet worden, teilt ein Vertreter der Nationalen Widerstandsfront mit. In den eigenen Reihen seien zwei Kämpfer gefallen. Die Taliban waren für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen. Pandschir liegt nordöstlich von Kabul. Es ist die einzige Provinz, die seit der Eroberung der afghanischen Hauptstadt durch die Taliban am 15. August noch nicht in deren Hand gefallen ist. Allerdings gab es auch in der benachbarten Provinz Baghlan Kämpfe zwischen den Taliban und lokalen Milizen.
11.55 Uhr - Die usbekische Regierung bestätigt, dass sie den Transit von Afghanen zulassen wird, die auf einer Evakuierungs-Liste der deutschen Bundesregierung stehen. Sie werde die Menschen auch unterstützen. Gleichzeitig betont die Regierung in Taschkent aber, dass sich das Hilfsangebot auf Personen beschränke, die nur für eine kurze Zeit nach Usbekistan kommen - und zwar ausschließlich über den Luftweg. Die Grenze zu Afghanistan bleibe geschlossen, sämtliche Versuche, über den Landweg nach Usbekistan zu gelangen, würden unterbunden.
10.10 Uhr - Afghanistan wird nach Auffassung des Nachbarlandes Pakistan in den nächsten Tagen eine Regierung bilden. Das sagt Außenminister Shah Mehmood Quereshi in Islamabad.
09.35 Uhr - Die "große Lehre" aus dem Scheitern des Afghanistan-Einsatzes muss nach Ansicht von Außenminister Heiko Maas sein, dass künftig "Ziele und Dauer" von Militäreinsätzen neu beurteilt werden müssen. "Militärische Interventionen sind nicht geeignet, um langfristig eine Staatsform zu exportieren", sagt er. "Das ist offensichtlich in Afghanistan gescheitert."
09.15 Uhr - Bundesaußenminister Heiko Maas stellt den Nachbarstaaten Afghanistans auch Hilfen beim Grenzmanagement und bei der Terrorismus-Prävention in Aussicht. Dies biete Deutschland über die zugesagten 100 Millionen Euro humanitäre Hilfe und 500 Millionen Euro für die Nachbarstaaten hinaus an, sagt Maas bei einem Besuch in Islamabad.
09.10 Uhr - Pakistan fordert die internationale Gemeinschaft dazu auf, Afghanistan nach dem Sieg der Taliban nicht alleine zu lassen. Das sagt Außenminister Shah Mehmood Quereshi nach einem Treffen mit Außenminister Heiko Maas in Islamabad. "Wir dürfen keinen wirtschaftlichen Kollaps zulassen. Er ist im Interesse von niemanden."
08.25 Uhr - Die Zahl der britischen Staatsbürger, die sich noch in Afghanistan befinden, siedelt Außenminister Dominic Raab im "niedrigen Hunderter"-Bereich an. Das sei ein "sehr niedriges Niveau" angesichts dessen, dass 5000 Menschen aus Afghanistan herausgeholt worden seien, sagt Raab dem Sender Sky News.
08.15 Uhr - Die Taliban führen nach französischen Regierungsangaben mit Vertretern Katars und der Türkei Gespräche über die Steuerung des Flughafens von Kabul. "Wir müssen einen sicheren Zugang zum Flughafen verlangen", sagt Außenminister Jean-Yves Le Drian dem TV-Sender France 2. Auf die Taliban müsse weiter Druck ausgeübt werden. Frankreich verhandle aber nicht mit ihnen.
07.40 Uhr - Die US-Botschaft in Kabul stellt ihren Betrieb ein. Das Personal sei abgezogen, teilt die Vertretung auf ihrer Internetseite mit. US-Bürger in Afghanistan und ihre Familien werden demnach nunmehr von Doha in Katar aus unterstützt.
02.12 Uhr - Nach dem Willen von Luxemburgs Minister für Immigration und Asyl, Jean Asselborn, sollte die Europäische Union (EU) "40.000 bis 50.000 Resettlement-Plätze für afghanische Flüchtlinge" zur Verfügung stellen. "Damit würden wir Mädchen, Frauen, ehemalige Richterinnen, Menschenrechtsaktivisten oder andere Personen, deren Leben unmittelbar bedroht ist, im Rahmen von Umsiedlungen auf einem legalen und sicheren Weg in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in die EU holen. Das sollte nicht unmöglich sein", sagt Asselborn der Zeitung "Welt" vor dem Sondertreffen der EU-Innenminister zu Afghanistan am Dienstag in Brüssel. Allein Großbritannien und Kanada nähmen jeweils 20.000 schutzbedürftige Afghanen auf.
02.00 Uhr - Die USA werden auch nach dem Abzug der US-Truppen "solide" Möglichkeiten zur Terrorismusbekämpfung in der Region aufrechterhalten, gibt US-Außenminister Antony Blinken ohne nähere Einzelheiten bekannt. Gleichzeitig kündigt er eine mögliche Zusammenarbeit mit der neuen afghanischen Regierung an. "Wenn wir auf eine Weise zusammenarbeiten können, die unsere nationalen Interessen sichert, dann werden wir es tun", sagt Blinken. Die Regierung um Präsident Joe Biden werde ihre Bemühungen "unermüdlich" fortsetzen, ausreisewilligen Amerikanern, Afghanen und anderen Personen zu helfen. Man habe die diplomatischen Aktivitäten angesichts der unsicheren Sicherheitslage nach Doha (Katar) verlegt. Er gehe derzeit davon aus, dass weniger als 200 US-Bürger in Afghanistan verblieben sind.
01.12 Uhr - Vertreter der Opposition im Deutschen Bundestag üben Kritik an der Afghanistan-Mission von Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD). "Die Reise kommt ein oder zwei Jahre zu spät", sagt Alexander Graf Lambsdorff (FDP) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Dienstag). Die Gespräche die man heute führe, hätten schon viel früher geführt werden müssen. "Es wird klar, dass es keine Strategie gab." Deutschland habe sich in Abhängigkeit der Taliban begeben. "Die Taliban haben nun die Entscheidungshoheit darüber, was mit den deutschen Staatsbürgern und den Ortskräften passiert." Auch Grünen-Politiker Jürgen Trittin äußert Zweifel am Erfolg der Reise. "Heiko Maas möchte mit dieser Reise nachträglich den Eindruck erwecken, dass er etwas tut", sagt Trittin dem RND. "Doch die Versäumnisse die bei der Evakuierung und der Visa-Erteilung gemacht wurden, kann man nicht mehr aufholen." Die deutsche Regierung habe sich durch ihr Verhalten erpressbar gemacht. "Dieses Versagen hat uns in die Situation gebracht, dass wir nun mit autoritären Herrschern wie Erdogan und den radikalen Taliban verhandeln müssen." Insgesamt habe Deutschland rund 5000 Menschen ausgeflogen, darunter knapp 100 Ortskräfte. "Private Retter haben rund 300 Menschen ausgeflogen - das heißt, sie haben mehr Menschen gerettet als Heiko Maas."
00.27 Uhr - US-Präsident Joe Biden kündigt an, am Dienstag Nachmittag (Ortszeit) über Afghanistan zum amerikanischen Volk zu sprechen. Er habe den US-Außenminister gebeten, die Koordinierung mit internationalen Partnern zu leiten, um eine sichere Passage für alle zu gewährleisten, die Afghanistan verlassen wollen. Die Taliban werden an der Einhaltung ihrer Zusage gemessen, den Menschen, die das Land verlassen wollen, eine sichere Ausreise zu ermöglichen.