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Tech-Giganten nutzen ihr Monopol: Der Großangriff auf den Mittelstand hat begonnen

Lesezeit: 5 min
19.09.2021 12:16  Aktualisiert: 19.09.2021 12:16
Große Tech-Monopolisten saugen den Mittelstand aus - solange, bis dieser zusammengebrochen ist. Ernst Wolff schildert die drastische Entwicklung, wie hinterlistig die Tech-Konzerne vorgehen, welchen historischen Fehler der Mittelstand begannen hat und was Sie tun können, um den Mittelstand zu unterstützen.
Tech-Giganten nutzen ihr Monopol: Der Großangriff auf den Mittelstand hat begonnen
Ein Kurier des Essenslieferdienstes Lieferando in Berlin. (Foto: dpa)

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Keine andere Branche hat es in der Geschichte der Weltwirtschaft in so kurzer Zeit zu so viel Geld und so viel Marktmacht gebracht wie die Plattform-Ökonomie. Nie zuvor haben es Unternehmen geschafft, innerhalb von weniger als einem Vierteljahrhundert zu Monopolisten zu werden – und zwar weltweit.

Populärstes Beispiel dürfte der Konzern Amazon sein, der im Juli 1994 von Jeff Bezos als Buchversand gegründet wurde und in weniger als zwei Jahrzehnten zum Weltmarktführer im online-Handel aufgestiegen ist. Den Geschwindigkeitsrekord beim Aufstieg dürfte Facebook halten, das erst 2004 gegründet wurde und es innerhalb von siebzehn Jahren auf einen Börsenwert von über einer Billion Dollar gebracht hat.

Auch Uber, airbnb, booking.com, Takeaway oder die chinesischen Unternehmen Alibaba und Tencent gehören zu den großen Gewinnern dieser rasanten Entwicklung, die bereits mehr als ein Zehntel des Welt-Bruttosozialprodukts in die Plattformmärkte verschoben hat.

Einen gewaltigen Aufschwung hat die Branche durch die Corona-Maßnahmen in den vergangenen eineinhalb Jahren erhalten. Das Jahr 2021 hat diesen Prozess noch einmal beschleunigt. Die einhundert größten Plattform-Unternehmen der Welt haben seit Jahresbeginn 1,6 Billionen Dollar an Börsenwert zugelegt und verkörpern momentan einen Gesamtwert von 15,5 Billionen Dollar – bei steigender Tendenz.

Was steckt hinter dieser märchenhaft klingenden Erfolgsgeschichte?

Das Geschäftsprinzip der Plattformökonomie ist simpel: Ein Plattform-Unternehmen managt kein Produkt und keine Dienstleistung, sondern lebt davon, dass es Marktakteure miteinander verknüpft. Plattformen stehen also zwischen dem Produzenten einer Ware auf der einen Seite und dem Konsumenten dieser Ware auf der anderen Seite.

Das Prinzip existierte schon lange vor dem Internet-Zeitalter: Messegesellschaften haben Ausstellungsflächen zur Verfügung gestellt, auf denen Produzenten ihre Waren anbieten und Kunden sie kennenlernen und kaufen konnten. Plattformunternehmen sind im Grunde nichts anderes als Messegesellschaften, die das Internet als Ausstellungsfläche nutzen.

Im Gegensatz zu den klassischen Anbietern findet die Plattform-Messe allerdings an 365 Tagen im Jahr statt, und zwar rund um die Uhr. Ihre Online-Unternehmen brauchen kein Personal, das zur Arbeit ausrückt, sondern nur einige junge IT-Spezialisten, die in der Lage sind, eine Website zu erstellen, sie zu hosten und vor allem an prominenter Stelle in den Internet-Suchmaschinen zu platzieren.

Ihr unternehmerisches Risiko ist gering, dafür aber halten sie einen unübertroffenen Trumpf in der Hand: die weltweite Verfügbarkeit des Internets. Für sie geht es nicht nur um die Erschließung regionaler oder nationaler Märkte, sondern um die Eroberung des Weltmarktes. Die sich so ergebende Aussicht auf die Weltmarktführerschaft wiederum lockt große Geldgeber an, die in den vergangenen Jahren aberwitzige Summen in die Plattformökonomie gepumpt haben.

Die Schattenseite: Der Großangriff auf den Mittelstand

Hinter diesen Erfolgsstorys steckt jedoch eine zerstörerische Dynamik, die insbesondere den Mittelstand betrifft und auf dessen Zukunft dunkle Schatten wirft.

Der Erfolg von Amazon zum Beispiel hat verheerende Auswirkungen auf den weltweiten Einzelhandel gehabt. Wie viele Einzelhändler haben empfindliche Einbußen hinnehmen, Personal entlassen und sich verkleinern müssen und wie viele haben ihre Geschäfte schlussendlich als unrentabel aufgeben müssen? Die Zahl dürfte in die Hunderttausende gehen.

Dasselbe gilt auch für andere Bereiche. Wie viele Taxiunternehmen haben wegen Uber und Lyft Fahrgäste verloren, Teile ihrer Flotte stilllegen, Fahrer entlassen oder den Betrieb ganz schließen müssen? Wie viele Restaurants sind durch die Pandemie-Maßnahmen gezwungen worden, auf Lieferdienste wie Lieferando zurückzugreifen und kämpfen heute damit, dass sie sich aus deren Umklammerung nicht befreien können?

Die Beispiele zeigen: Ein wichtiges Prinzip der Plattform-Unternehmen besteht darin, kleine und mittelständische Unternehmen in ihre Abhängigkeit zu bringen, sie auszunutzen und notfalls auch in den Ruin zu treiben. Das Ganze geschieht übrigens auf raffinierte Art und Weise. Die Plattformen beginnen nämlich in vielen Fällen damit, dass sie eine Art Unterstützung oder Hilfestellung anbieten.

Die „Hilfestellung“ erweist sich als Falle

Lieferando zum Beispiel hat im Zuge des Lockdowns kleinen und mittleren Restaurants, die plötzlich auf Catering umstellen mussten, angeboten, die Lieferung des Essens zum Kunden zu übernehmen. Das war aber nur der Einstieg. Schon bald hat Lieferando selbst für Bestellungen gesorgt und seine Gebühren kräftig erhöht.

Nach einiger Zeit mussten viele Inhaber feststellen, dass Lieferando für sie – und zwar ohne ihr Wissen und ihr Einverständnis - Webseiten erstellt hatte, auf die sie keinen Einfluss haben und durch die Lieferando ihr Geschäft mittlerweile fast vollständig kontrolliert.

Nicht anders ergeht es den Betreibern von Gasthäusern und familiengeführten Hotels und Pensionen. Booking.com, der Weltmarktführer, zu dem auch Trivago und Expedia gehören, bietet zunächst ganz unverbindlich an, bei der Suche nach Gästen zu helfen und verlangt dafür eine Vermittlungsgebühr.

Schon bald stellen die Betreiber jedoch fest, dass fast alle Gäste über booking.com zu ihnen kommen, weil booking.com es geschafft hat, im Internet immer vor der Webseite der Betreiber aufzutauchen, und zwar dadurch, dass es Google Millionen bezahlt, um in den Suchmaschinen ganz vorn zu erscheinen – eine Investition, die sich kein Mittelstandsunternehmen leisten kann.

Das alles zeigt: Wir haben es bei der Plattformökonomie mit einer ausgeklügelten Strategie zu tun, hinter der auch noch sehr viel Geld lauert. Das wiederum bedeutet, dass Plattformunternehmen notfalls auch extremes Preisdumping betreiben, jahrelange Verluste hinnehmen und den Mittelstand so zusätzlich unter Druck setzen können.

Ist der Mittelstand ausgeliefert?

Bisher scheint der Mittelstand kein Mittel gegen diese verheerende Entwicklung gefunden zu haben. Das verwundert, wenn man sich folgende Zahlen ansieht:

99,6 % aller Unternehmen in Deutschland sind kleine und mittlere Betriebe. Sie schöpfen fast 60 % des wirtschaftlichen Wertes, beschäftigen mit 19,3 Millionen Mitarbeitern fast 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer und bilden dazu mit 1,1 Millionen mehr als 83 % aller Lehrlinge aus. Darüber hinaus tragen sie die höchste Steuerlast.

Das ist in der Tat eine gigantische Leistung und gleichzeitig ein unvorstellbares Missverhältnis zu dem, was die Plattformökonomie leistet, die selbst nur vermittelt, keine produktive, also wertschöpfende, Arbeit leistet, kaum Steuern zahlt und dort, wo sie Menschen beschäftigt, keinerlei soziale Verantwortung trägt, sondern nur die Kosten minimiert.

Das Verhältnis zwischen Plattformökonomie und Mittelstand gleicht im Grunde dem zwischen einem Parasiten und seinem Wirt. Da der Parasit aber den Wirt braucht, während ein Wirt auch sehr gut ohne den Parasiten leben kann, fragt man sich: Wieso entledigt sich der Mittelstand nicht der Plattformökonomie, ohne die er doch jahrzehntelang ausgekommen ist?

Das historische Versäumnis des Mittelstands

Das große Problem des Mittelstands besteht darin, dass er die Zeichen der Zeit - die Auswirkungen der Digitalisierung, - nicht rechtzeitig erkannt hat. Viele Mittelständler sehen den Ernst der Lage bis heute nicht und hoffen einfach nur darauf, dass der Trend zur Unterwerfung unter die digitalen Plattformen auf wundersame Art und Weise an ihnen vorübergeht.

Aber diese Hoffnung trügt. Was wir in den vor uns liegenden Monaten und Jahren erleben werden, wird alles Bisherige in den Schatten stellen, und zwar aus einem einzigen Grund: Wie ein Parasit sich nach und nach immer mehr Nahrung verschaffen und seinem Wirt dabei immer mehr Lebenskraft entziehen muss, so muss auch die Plattformökonomie den Mittelstand auf Grund ihrer inneren Logik immer weiter aussaugen. Das allerdings bedeutet nichts anderes, als dass das Projekt der Plattformökonomie schlussendlich zum Scheitern verurteilt ist, denn wenn der Wirt stirbt, stirbt auch der Parasit.

Gibt es eine Rettung?

In welche Richtung die weitere Entwicklung verläuft, hängt vor allem vom Mittelstand ab. Kleine und mittlere Betriebe müssen die Zeichen der Zeit erkennen und einsehen, dass sie nicht in erster Linie im Wettkampf miteinander stehen, sondern zuerst und vor allem in einem erbitterten Kampf gegen einen gemeinsamen Gegner. Und dass dieser Gegner nur dann besiegt werden kann, wenn alle Kräfte mobilisiert und gebündelt gegen ihn eingesetzt werden.

Konkret heißt das: Es wäre an der Zeit, eigene regionale und lokale Plattformen zu erstellen und so gegen die übermächtige Konkurrenz gegenzuhalten. Das wichtigste Ziel müsste dabei die Aufklärung sein.

Unendlich viele Menschen wissen ja nicht, dass sie, wenn sie bei den großen Plattformen einkaufen, nicht nur das Geschäft örtlicher Anbieter zerstören, sondern auch ihre eigene Zukunft, denn die meisten von ihnen arbeiten ja für mittelständische Unternehmen und sind deswegen wirtschaftlich von ihnen abhängig.

Die Erfolgsaussichten einer solchen Kampagne dürften nicht so schlecht sein. Wer will schon Innenstädte, in denen es keine Läden, sondern nur noch digitale Terminals gibt, an denen man seine Bestellungen aufgeben kann? Wer möchte schon in sogenannten „Smart Citys“, wohnen, in denen das Internet der Dinge herrscht, Roboter miteinander kommunizieren und lebendige Menschen wie Fremdkörper wirken?

Genau das ist die Zukunft, in die uns die Plattformökonomie zu führen droht.

 

                                                                            ***

Ernst Wolff, 69, befasst sich mit der Wechselbeziehung zwischen internationaler Politik und globaler Finanzwirtschaft.


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