Finanzen

KUBIN ANALYSIERT: Ein kleines Land und eine schon abgeschriebene Branche - die sollten Sie im Börsenjahr 2022 im Blick haben

Lesezeit: 6 min
14.01.2022 09:00
DWN-Aktien-Experte Andreas Kubin glaubt nicht an einen Börsencrash, im Gegenteil. Er sieht vielerlei Chancen - vorausgesetzt, man lässt die notwendige Vorsicht walten.

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In den finalen Tagen des auslaufenden alten Jahres war es wieder so weit: Genau wie bereits einige Male in der Zeit zwischen dem 2. und dem 16. November lagen die Schlussnotizen des Dow Jones (DJ) mehrmals jenseits der 36.000 Zähler. Niemals zuvor in der Geschichte waren sie in derart astronomische Höhen vorgestoßen.

Der 30 US-Unternehmen umfassende Kursindex schloss das Jahr 2021 deutlich über der 36.000er Marke ab und ging am 31. Dez. mit 36.338 Punkten aus dem Handel. Ein gigantisches Allzeithoch! Ganz sicher geschuldet (beziehungsweise das Ergebnis) der ultralockeren stark inflationären Geldpolitik der US-Notenbank Federal Reserve, die eine ähnliche Geldpolitik fuhr wie die EZB und viele andere Zentralbanken weltweit.

Wer hätte das drei oder fünf Jahre zuvor überhaupt für möglich gehalten?

Summa summarum hat der DJ letztes Jahr um sage und schreibe 18,72 Prozent zugelegt. Was den DAX angeht: Er beschloss das Jahr mit 15.884,86 Punkten, ein Plus von 15,78 Prozent auf Jahressicht. Geschlagen hat sie aber alle der ATX! Der wichtigste österreichische Index, der die Entwicklung der 20 größten Unternehmen des Landes darstellt, kommt auf einen Jahres-Endstand von 3.861 Punkten, was einer gewaltigen Jahresperformance von plus 38,86 Prozent entspricht. Eine Zunahme von mehr als einem Drittel! Im Durchschnitt circa 0,1 Prozent alle 24 Stunden - Tag für Tag für Tag.

Die Energiepreise steigen rasant!

Laut Österreichischem Gaspreisindex (ÖGPI) sind die Gas-Großhandelspreise im bisherigen Verlauf dieses Monats sieben Mal so hoch wie im vorherigen Jahr:

Erst vor wenigen Monaten hieß es, Spekulanten würden auf einen Barrel-Preis von 200 Dollar für Rohöl setzen. Aktuell käme das nicht mehr überraschend - der Preis steigt, was die Kurse der Öl-Konzerne nach oben treiben könnte ... Ich denke hier an Royal Dutch Shell, auch an ConocoPhillips. Der - nach Exxon Mobil und Chevron - drittgrößte US-Ölkonzern legte an der Wall Street binnen Jahresfrist um gigantische 80 Prozent zu. Sollte das Barrel auf 100 Dollar steigen, so ist es gut möglich (ich nehme es sogar an), dass der Kurs von 84,4 Dollar (Stand Donnerstag, 13. Januar) auf 100 Dollar klettern wird. Das Papier wird derzeit an der Wall Street heftig gehandelt.

Zunehmend besorgniserregende Nachrichten aus dem Reich der Mitte!

In China nimmt das Schreckgespenst „Evergrande“ unterdessen immer mehr Gestalt an! Am 30. Dezember 2021 schreibt „Der Standard“, dass der Immobilienkonzern offenbar erneut Zahlungsfristen nicht bedienen kann: „Insidern zufolge konnte der Wohnbaukonzern zuletzt Kuponzahlungen im Wert von 255 Millionen Dollar nicht bedienen“......[1]

Gemessen am Umsatz ist Evergrande das zweitgrößte Immobilienunternehmen in China - und das wohl höchstverschuldete weltweit. Am 1. Januar dieses Jahres lautet eine Reuters Meldung, dass der Konzern Insidern zufolge erneut Zahlungsfristen ungenutzt hatte verstreichen lassen und angeblich Verbindlichkeiten in Höhe von mehr als 300 Milliarden Dollar bestehen.

In der zweiten Oktoberhälfte 2021 hatte Evergrande mit der Bedienung fälliger Zinszahlungen in Höhe von 83,5 Millionen Dollar für eine Anleihe eine Pleite vorerst abgewendet. Keine Frage: Es kracht im Gebälk, und zwar gewaltig - eine Insolvenz kann nicht ausgeschlossen werden.

Alibaba und Baozun

Man muss konstatieren, dass der Wachstumsmotor in der Volksrepublik ganz schön ins Stottern gekommen ist. Zugegebenermaßen ich bin ja auch etwas auf diesen China-Hype aufgesprungen. Im Januar letzten Jahres pendelte der Kurs von Alibaba um die 200 Dollar. Zu Jahresende beschloss der Anteilsschein mit 98,90 Euro („Tradegate Exchange“ in Berlin) den Handelstag. Etwas mehr als ein Jahr zuvor hatten Anleger noch erwartet, das Papier würde sich eher bei 250 Dollar einpendeln - aber 98,90 Euro sind leider nur circa 113 Dollar, also noch nicht mal die Hälfte.

Alibaba stellte noch im vergangenen Dezember (2021) seinen Turnaround-Plan vor: Aber wird der funktionieren?

Der Konzern von Super-Milliardär Jack Ma (der bei der Kommunistischen Partei allerdings etwas - oder auch etwas mehr - in Ungnade gefallen ist) plant Investitionen in Märkte der unteren Ebenen, die sich auf die Alibaba-Marktplätze „Taobao Deals“ und „Taocaicai“ für den Gruppeneinkauf konzentrieren. Alibaba hat in diesen Märkten etwa 270 Millionen Nutzer erreicht - von einem potenziell adressierbaren Gesamtmarkt von 600 Millionen -, was einer Steigerung von 200 Prozent im letzten Jahr entspricht. Der Wettbewerb in diesem Bereich ist jedoch hart, so dass abzuwarten bleibt, ob der Konzern, der 2021 einen Umsatz von circa 100 Milliarden Euro erreicht haben soll, eine führende Rolle in den weniger bedeutenden Märkten übernehmen kann.

Das Logistiksegment „Cainiao“ von Alibaba ist ebenfalls ein Wachstumszentrum, das derzeit Geld verliert; ein wichtiger Schlüssel werden jedoch mehr fahrerlose Lieferfahrzeuge und Abholstationen sein. Das könnte die Arbeitskosten senken und diesen Bereich in Zukunft möglicherweise in die Gewinnzone bringen, so dass man diese Automatisierungsinvestition ebenfalls im Auge behalten sollte. Manche wissen vielleicht auch nicht, dass Cainiao ein riesiges internationales Geschäft hat, das im vergangenen Halbjahr um 40 Prozent gewachsen ist.

Schließlich bleibt das Cloud Computing die vielleicht größte Chance für Alibaba außerhalb seiner Kernmarktplätze. Es ist derzeit das einzige dieser neuen Segmente, das auf bereinigter EBITDA-Basis profitabel ist. Es ist auch eines, in dem Alibaba tatsächlich die Marktführerschaft innehat, und seine Wachstumsaussichten sind recht gut. Das Management geht davon aus, dass der chinesische Cloud-Markt in den nächsten drei Jahren eine jährliche Wachstumsrate von 42 Prozent und in den nächsten fünf Jahren von 37 Prozent aufweisen wird - das sind Raten, die über denen des US-amerikanischen Cloud-Geschäfts liegen.

Aufmerksame Beobachter gaben an, eine lange und umfangreiche Präsentation gesehen zu haben, kritisierten aber gleichzeitig, dass zu wenig Neues dabei war.

Negative Schlagzeilen drückten den Alibaba-Aktienkurs nachhaltig nach unten!

Hier zwei Ereignisse, die Alibabas Börsenwert minderten:

10. April 2021: Chinas Wettbewerbshüter verhängen eine Strafe in Höhe von 18 Milliarden Yuan, umgerechnet 2,3 Milliarden Euro, gegen den Konzern. Die größte Online-Handelsplattform der Welt habe ihre marktbeherrschende Position ausgenutzt, um Händler zu bestrafen, die ihre Waren über konkurrierende Dienste angeboten hätten, zitieren Staatsmedien die Marktaufsichtsbehörde.

22. Dezember 2021: Das Ministerium für Industrie und Informationstechnik beendet seine Zusammenarbeit mit dem Cloud-Dienst des Tech-Konzerns, nachdem Alibaba es versäumte, der chinesischen Telekommunikationsaufsicht eine Sicherheitslücke mitzuteilen.

Die Aktie hat Zeiten hinter sich, die deutlich vielversprechender waren. Offenbar kommen harte Zeiten auf den Konzern zu.

„MarketScreener“ wirft für 2022 ein KGV von 21 aus und geht gleichzeitig - im Vergleich zum vergangenen Jahr - von einer niedrigeren Ergebnisentwicklung in diesem Jahr und im nächsten Jahr aus.

Zahlen zum dritten Quartal 2021, endend mit dem 30. September

Das mit Ende September abgelaufene dritte Quartal 2021 war bezüglich Nettogewinn und freiem Cashflow überhaupt nicht berauschend für die Anleger. Die Einnahmen beliefen sich auf 200,69 Milliarden Yuan (31,147 Milliarden Dollar), was einem Anstieg von 29 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Der den Stammaktionären zurechenbare Nettogewinn betrug 5,367 Milliarden Yuan (833 Millionen Dollar), der verbleibende Nettogewinn 3,377 Milliarden Yuan (524 Millionen Dollar).

Der Nicht-GAAP-Nettogewinn betrug 28,524 Milliarden Yuan (4,427 Milliarden Dollar), ein Rückgang von 39 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Der freie Cashflow (Non-GAAP) betrug 22,239 Milliarden Yuan (3,451 Milliarden Dollar), ein Rückgang im Vergleich zu 40,54 Milliarden Yuan (6,29 Milliarden Dollar) im entsprechenden Quartal von 2020, was vor allem einem Gewinnrückgang als Folge gestiegener Investitionen in strategische Schlüsselbereiche geschuldet ist.

Betrachtet man den Kurs-Chart, so gleicht dieser seit beinahe einem Jahr anhaltende kontinuierliche Kursrückgang bei Alibaba nicht dem sanften Landeanflug eines Segelflugzeugs, sondern eher einer Propellermaschine mit Motoraussetzer; zugegeben noch in Richtung einer Hochebene.

Immerhin: Im neuen Jahr hat es endlich die lang herbeigesehnte Gegenbewegung von plus 21,3 Prozent innerhalb der ersten 12 Kalendertage gegeben. Ob’s das schon war, oder ob die Tendenz weiter nach oben geht, wird sich noch zeigen.

Die Marketing- und E-Commerce-Services-Plattform „Baozun“

Am 30. November letzten Jahres meldete Baozun ein erneut schwächeres Wachstum samt einem Verlust. Die Aktie ging dann gleich mal auf Talfahrt.

Die „Shanghai IT-Times“ schreibt zusammengefasst folgendes: Der Umsatz von Baozun Inc. (Nasdaq: BZUN) erhöhte sich im dritten Quartal des Geschäftsjahres 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 3,8 Prozent auf knapp 1,9 Milliarden Yuan (rund 294,7 Millionen Dollar).

Damit verlangsamte sich das Wachstum der chinesischen E-Commerce-Services- und Marketing-Plattform erneut. Im zweiten Quartal hatte das Wachstum noch 7,1 Prozent und im ersten Quartal sogar 32,6 Prozent betragen.

Das Nettoergebnis von Baozun betrug im dritten Quartal des Geschäftsjahres 2021 minus 293,01 Millionen Yuan (Vorjahr: plus 64,97 Millionen), was einem Rückgang von 45,47 Millionen Dollar entspricht - einem Minus von 0,62 Dollar je Aktie (verwässert).[2]

Keine guten Nachrichten für all jene, die das Papier gerade halten!

Immerhin zeigt Baozun zu Beginn dieses Jahres ein ähnliches Bild der Erholung wie Alibaba. Wir hoffen, dass die Kurserholung nachhaltig ist. Baozun legte deutlich zu, nämlich gut elf Prozent.

Fazit

Wir sollten das Reich der Mitte gut im Auge behalten. Sollte die Wirtschaft der Volksrepublik halbwegs robust bleiben und vor allem der Immobilienmarkt nicht crashen, so sollten wir weiter leicht steigende Kurse auch in Europa und den USA sehen.

Den Januar schloss der Dax in den 20 Jahren von 2001 bis 2020 insgesamt elfmal mit einem Gewinn ab. Wir werden sehen, ob das auch diesmal der Fall sein wird. Wenn, wäre das ein Anstieg auf sehr hohem Niveau, denn die Aktien stehen ja bereits sehr hoch. Es bleibt spannend …

[1] [www.derstandard.at] id="ftn1">

[2] www.it-times.de/news/baozun-marketing-und-e-commerce-services-plattform-waechst-erneut-langsamer-und-meldet-verlust-aktie-faellt-deutlich-142021/?utm_source=finanznachrichten.de&utm_medium=CustomFeed

Andreas Kubin lebt in Oberösterreich, hat ein MBA mit Schwerpunkt "Finanzen" und verfügt über drei Jahrzehnte Börsen-Erfahrung. 

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