Politik

Die DWN zeigen auf: Darum geht es wirklich in Kasachstan

Über die Ereignisse in Kasachstan wird viel spekuliert, nicht zuletzt in den deutschen Medien. DWN-Korrespondent Mathias v. Hofen setzt dem ein Ende - er liefert eine gründliche Analyse der Proteste und ihrer Hintergründe.
16.01.2022 10:21
Aktualisiert: 16.01.2022 10:21
Lesezeit: 3 min
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Die DWN zeigen auf: Darum geht es wirklich in Kasachstan
Almaty, Kasachstan: Demonstranten leuchten mit ihren Smartphones, während sie sich in der Innenstadt versammeln. (Foto: dpa)

Kasachstan erklärte sich im Dezember 1991 für unabhängig. Der bis dahin als Generalsekretär der kommunistischen Partei Kasachstans amtierende Nursultan Nasarbajew etablierte sich als autoritärer Alleinherrscher.

In der Außenpolitik verfolgte Nasarbajew eine eher ausgleichende Linie. Das Land lehnte sich eng an Russland an, unterhielt zugleich aber von Anfang an auch enge Beziehungen zu China und dem Westen. So ist Kasachstan beispielsweise Mitglied der russisch dominierten Eurasischen Union, hat gleichzeitig aber auch gute Kontakte zur EU und schloss mit der deutschen Regierung eine bilaterale Rohstoffpartnerschaft ab.

Das Verhältnis zu Russland

Russland erscheint den Kasachen als Hegemon, der zwar in den letzten Jahren teilweise wiedererstarkt ist, aber nicht die Dynamik Chinas besitzt, das von vielen Kasachen als übermächtiger, fast unheimlicher Nachbar betrachtet wird. Ein Teil der Kasachen sieht Russland sogar als Gegengewicht zu China. Auch die Mitgliedschaft Kasachstans in der Eurasischen Union war bisher kaum umstritten.

Belastend im russisch-kasachischen Verhältnis ist allerdings die Vergangenheit. Das Gebiet des heutigen Kasachstans wurde im 19. Jahrhundert Teil des russischen Zarenreiches. Anschließend wurden die ersten Städte in Kasachstan gegründet, darunter mit Almaty die heute größte Stadt des Landes. Das Regime der Zaren war autoritär, doch wirtschaftlich profitierte Kasachstan.

Ab 1928 trieb jedoch der sowjetische Diktator Josef Stalin die Kollektivierung des Landes rücksichtslos voran. Zugleich sollten die überwiegend nomadisch lebenden Kasachen gezwungen werden, ihre traditionelle Lebensweise und ihre Viehherden aufzugeben. Neben der Ukraine und der Wolgaregion litt Kasachstan am stärksten unter der Zwangskollektivierung. Historiker gehen davon aus, dass zwischen einer bis anderthalb Millionen Menschen starben. Die Repressionen Stalins belasten bis heute das russisch-kasachische Verhältnis, auch wenn das Thema nach dem Ende der Sowjetunion in Kasachstan weit weniger thematisiert wurde als in der Ukraine.

Nach der Eingliederung der Krim in die russische Föderation fürchteten viele Kasachen, dass auch der Norden des eigenen Landes von Russland annektiert werden könnte. Hier lebt der Großteil der russischen Minderheit Kasachstans. Allerdings hat Moskau bisher nie territoriale Ansprüche gegenüber Kasachstan erhoben. Putin begnügt sich mit politischer Kontrolle über die kasachische Regierung.

Offensichtlich entspringt diesem Wunsch nach Kontrolle auch die Entscheidung, nach Beginn der Proteste russische Truppen im Rahmen des Militärbündnisses OVKS aus verschiedenen postsowjetischen Staaten nach Kasachstan zu entsenden. Russland hat ein Interesse an politischer Stabilität in Kasachstan. Russische Truppen auf den Straßen Almatys wären jedoch vor dem Hintergrund der Geschichte problematisch. So sollen die Truppen dann auch vor allem strategische Einrichtungen schützen und ansonsten nicht sonderlich präsent sein. Zudem ist der Abzug der russischen Einheiten und der verbündeten Truppen bereits eingeleitet. Allerdings könnten diese bei einem Wiederaufflammen der Gewalt in Kasachstan erneut verstärkt werden.

Die Rolle Chinas

Der Einfluss Chinas ist seit etwa 2000 immer stärker geworden. Mittlerweile ist das Reich der Mitte neben Russland für Kasachstan der wichtigste Außenhandelspartner. Zudem ist Kasachstan ein Haupttransitland der Neuen Seidenstraße.

Die Beziehungen Chinas zu Kasachstans sind allerdings durch die Lage der kasachischen Minderheit in der Volksrepublik belastet. Teile der kasachischen Volksgruppe werden in China verfolgt und in Lager gesperrt. Meist werden ihnen islamistische und terroristische Bestrebungen zur Last gelegt. Im kasachischen Parlament wurde über die Lage der Kasachen in China debattiert, doch die kasachische Regierung vermeidet es, Probleme öffentlich anzuprangern. Zu groß ist die Furcht vor einer negativen Reaktion des übermächtigen Nachbarn.

Im Gegenzug hatte China es bisher vermieden, sich in die kasachische Innenpolitik einzumischen, entsprechend der von Peking immer wieder betonten Nichteinmischungspolitik in die Angelegenheiten anderer Staaten. Im Fall der aktuellen Unruhen hat sich die Volksrepublik allerdings an die Seite der kasachischen Regierung und Russlands gestellt. Das Vorgehen der Regierung gegen die Demonstranten wurde von China ausdrücklich gebilligt. Nach Angaben chinesischer Staatsmedien haben sich der chinesische und der russische Außenminister in einem Telefongespräch auf eine gemeinsame Linie geeinigt. Sie wollen sich „der Einmischung externer Kräfte in die inneren Angelegenheiten der zentralasiatischen Länder widersetzen“ und verhindern, dass die „drei bösen Mächte“ Chaos verursachen. Die drei bösen Mächte“ sind nach chinesischer Definition religiöser Extremismus, Separatismus und Terrorismus.

Islamistische Revolte?

Sowohl von Seiten Russlands wie auch von China wird auf eine Beteiligung islamistischer Kräfte an den Protesten in Kasachstan verwiesen, insbesondere dort, wo diese in Gewalt umschlugen. In diese Richtung zielte auch eine Aussage Putins im Hinblick auf die Demonstrationen: „Die Bedrohung der Staatlichkeit Kasachstans entstand nicht durch spontane Proteste und Kundgebungen wegen der Treibstoffpreise. Es liegt daran, dass destruktive Kräfte von innen und von außen die Situation ausgenutzt haben.“

Der kasachische Menschenrechtsaktivist Evgeni Jovtis sieht in einem Interview mit dem Zentralasienportal „Novostan“ durchaus eine Beteiligung von Islamisten an den Unruhen. Allerdings stellten diese nur einen kleineren Teil der Demonstranten und solltenkeineswegs als einheitlich oder organisiert angesehen werden“. Die gewaltbereiten Demonstranten setzten sich „aus Islamisten und kriminellen Elementen zusammen, die von Loyalisten der lokalen Eliten unterwandert werden“, so Jovtis weiter.

Diese Aussagen deuten darauf hin, dass auch ein Teil der politischen Führung des Landes die Straßenkämpfe unterstützt haben könnte. So wird über einen Machtkampf zwischen dem jetzigen Präsidenten Kassim-Schomart Tokajew und dem früheren Präsidenten Nursultan Nasarbajew spekuliert. Dafür spricht, dass mehrere Vertraute Nasarbajews, beispielsweise der Leiter des Geheimdienstes, Karim Masimow, von Tokajew entlassen und inhaftiert wurden.

Fazit

Auslöser für die Proteste war letztendlich eine weit verbreitete soziale Unzufriedenheit. Diese friedlichen Proteste wurden dann sowohl durch islamistische Gruppen als auch durch konkurrierende Fraktionen im kasachischen Machtapparat gekapert. Ziel war es offensichtlich, die Regierung mit Gewalt zu stürzen.

Für ein gezieltes Vorgehen spricht auch die zeitweise Besetzung des Flughafens von Almaty durch die Putschisten sowie die bewaffneten Angriffe auf die Sicherheitskräfte. Die Vorgänge in Kasachstan sind ein trauriges Beispiel dafür, wie ein anfangs absolut legitimer und friedlicher Protest in Anarchie und brutalste Gewalt abstürzen kann.

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