Deutschland

Ostdeutschland könnte zur neuen Industrie-Hochburg der Bundesrepublik werden

Lange galten die neuen Bundesländer wirtschaftlich betrachtet als Sorgenkinder. Doch mit dem Einzug mehrerer Big Player der E-Auto-Industrie in Brandenburg scheint sich der Wind zu drehen.
03.07.2022 10:36
Aktualisiert: 03.07.2022 10:36
Lesezeit: 2 min
Ostdeutschland könnte zur neuen Industrie-Hochburg der Bundesrepublik werden
Bundeskanzler Olaf Scholz und Tesla-Chef Elon Musk bei der Eröffnung der Tesla-Fabrik Berlin Brandenburg in Grünheide. (Foto: dpa) Foto: Patrick Pleul

Mit einem „Dornröschen im Schlaf“, das wachgeküsst wurde, vergleicht Gubens Bürgermeister Fred Mahro seine Stadt. Und das ist keine Übertreibung: Seit das Cleantech-Unternehmen Rock Tech Lithium angekündigt hat, sich in dem knapp 20.000 Einwohner zählenden, an der deutsch-polnischen Grenze gelegenen Guben mit einer Fabrik anzusiedeln, steht der Ort immer wieder im medialen Rampenlicht. Knapp 24.000 Tonnen Lithiumhydroxid sollen künftig in Guben produziert werden. Genug für etwa 500.000 Autos mit Lithium-Ionen-Batterien. 2024 soll der Lithium-Konverter in Betrieb gehen. Doch was für Guben gilt, gilt auch für Brandenburg insgesamt.

So sieht Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) in seinem Land, in dem auch der Tech-Tycoon Elon Musk seine erste Tesla-Gigafactory in Europa angesiedelt hat, ein künftiges „Zentrum für die Entwicklung der Elektromobilität“. Auch Bundeskanzler und Steinbachs Parteikollege Olaf Scholz bezeichnete Ostdeutschland bereits als „eine der attraktivsten Wirtschaftsregionen Europas“. Das scheint sich inzwischen auch außerhalb Deutschlands herumgesprochen zu haben: So berichtete die britische Financial Times jüngst von dem „überraschenden Revival Ostdeutschlands“. Die Ankunft des deutsch-kanadischen Unternehmens Rock Tech Lithium in Guben stehe „sinnbildlich für den massiven Zustrom von Investitionen in den ehemals kommunistischen Osten, der sich zur Heimat des rasch expandierenden Elektroauto-Sektors in Europa entwickelt hat.“

Von der Sozialismus-Brache zum „heißen“ Industriestandort

Eine Region, die einst als Synonym für wirtschaftlichen Niedergang gegolten habe, entwickle sich „zu einem der heißesten Industriegebiete des Kontinents“. In den letzten Jahren, heißt es im Artikel, sei die Region mit neuen Projekten und Investitionen überschwemmt worden. Die Financial Times prognostiziert sogar: „Die Investitionen könnten der Vorbote eines tiefgreifenden Wandels in der deutschen Industriegeografie sein.“ Jahrzehntelang habe sich die wirtschaftliche Stärke des Landes auf den Süden und Südwesten konzentriert, wo Automobilhersteller wie Mercedes und BMW und Maschinenbaugiganten wie Siemens zu Hause sind. „Doch das könnte sich mit der Re-Industrialisierung des Ostens ändern.“ Diese Re-Industrialisierung des Ostens – dessen Industrie zusammen mit dem Sozialismus unterging – wiederum werde durch mehrere Faktoren angeheizt.

Einerseits das geplante Verbrenner-Verkaufsverbot der EU ab 2035, das die E-Auto-Industrie kräftig ankurbeln könnte. Andererseits aber auch die schleichende Rückbesinnung der EU auf heimische Produktion und kürzere Lieferketten, insbesondere in den Bereichen der Pharmazie, Daten-Clouds, Batterien und Halbleitern. Passend dazu hatte bereits der Chiphersteller Intel im März angekündigt, in Magdeburg mindestens zwei Halbleiterfabriken im Wert von 17 Milliarden Euro zu bauen und somit laut der Financial Times die größte ausländische Direktinvestition in Deutschland überhaupt zu tätigen. Hinzu kämen die Tesla-Gigafactory in Grünheide und zwei Elektrofahrzeugwerke von VW in Zwickau und Dresden.

Rosige Zukunft für den Osten?

Steinbach zeigt sich gegenüber der Financial Times optimistisch: „Lange Zeit waren die ostdeutschen Bundesländer in der unteren Hälfte der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Ich glaube, dass sich diese Rangliste in den nächsten fünf Jahren noch viel stärker in Richtung Osten verschieben wird.“ Ein weiterer Grund für den Investitions-Boom im Osten, schlussfolgert die Financial Times, sei schließlich – neben einer gut ausgebauten nicht-fossilen Energieversorgung – der viele „leere Raum“: Bei einem Ausflug ins brandenburgische Umland merke man sofort, dass es dort „viel mehr frei verfügbare Flächen als in anderen Teilen Deutschlands, insbesondere im dicht besiedelten, hoch industrialisierten Südwesten“ gäbe.

Dieser Raum dürfte in naher Zukunft bereits gefüllt werden: So würden sich die neuen Bundesländer derzeit mit 28 Interessensbekundungen befassen, die 11,5 Milliarden Euro an potenziellen Neuinvestitionen versprechen, wohingegen die großen Autowerke im Westen der Republik immer öfter Stellen streichen oder gar Werke schließen. Immer öfter ist auch von der Krise der deutschen Automobilindustrie die Rede. Eine Krise der ostdeutschen E-Auto-Industrie hingegen scheint vorerst eher unwahrscheinlich – nicht unwahrscheinlich erscheint es jedoch, dass die letztere der ersteren zunehmend ihren Rang abzulaufen droht.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Fachkräftemangel hausgemacht: Nach Corona-Lockdown und Dauermigration fast 3 Millionen Menschen ohne Berufsabschluss
19.05.2025

Trotz leerer Lehrstellen, immenser Zuwanderung und großem Bedarf an Fachkräften: Fast 3 Millionen junge Erwachsene in Deutschland haben...

DWN
Politik
Politik Gasfunde in der Schwarzmeerregion: Türkei meldet strategischen Energieerfolg – Erdgasvorkommen mit enormem Wert
19.05.2025

Die Türkei entdeckt im Schwarzen Meer neue Erdgasvorkommen von enormem Wert. Der Fund unterstreicht Ankaras anhaltenden Kurs in Richtung...

DWN
Panorama
Panorama Zwei Tote bei Unfall in New York: Segelschiff rammt Brooklyn Bridge – was wir wissen
19.05.2025

Dramatische Szenen am East River: Ein Segelschulschiff der mexikanischen Marine stößt mit der weltberühmten Brooklyn Bridge in New York...

DWN
Politik
Politik Russland-Sanktionen: Ukraine-Partner erhöhen den Druck auf Moskau
19.05.2025

Kurz vor einem geplanten Telefonat zwischen US-Präsident Donald Trump und Kremlchef Wladimir Putin haben Deutschland, die USA sowie...

DWN
Politik
Politik Pro-Europäischer Sieg bei Rumänien-Wahl: Nicusor Dan wird Präsident
19.05.2025

Erleichterung von Brüssel bis Kiew: Nach dem Triumph des pro-europäischen Kandidaten Nicusor Dan bei der Rumänien-Wahl äußerten sich...

DWN
Panorama
Panorama Auswandern in die Schweiz: Die Sehnsucht nach dem besseren Deutschland
19.05.2025

Immer mehr Deutsche denken daran, das Land zu verlassen – besonders oft AfD-Wähler. Das bevorzugte Ziel: die Schweiz. Was offenbart...

DWN
Panorama
Panorama Papst Leo XIV.: Kapitalismuskritik bei der Amtseinführung
19.05.2025

Papst Leo nutzt seine erste große Bühne für klare Worte. Zwischen Applaus und Kritik: Was bedeutet seine Kapitalismus-Kritik für die...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Berkshire Hathaway nach Buffett: Ein Imperium ohne seinen Architekten – droht der Zerfall oder folgt ein neuer Aufstieg?
19.05.2025

Mit dem Rückzug von Warren Buffett endet eine Ära – und möglicherweise beginnt eine neue. Doch die Märkte reagieren nervös: Wie viel...