Politik

Wie Politiker die Inflation mit gut gemeinten Aktionen weiter anfachen

Lesezeit: 6 min
22.07.2022 13:17  Aktualisiert: 22.07.2022 13:17
Erweist sich das vermeintliche Gegenmittel gegen Inflation als Treibstoff? DWN-Kolumnist Ronald Barazon über einen möglicherweise folgenschweren Fehler.
Wie Politiker die Inflation mit gut gemeinten Aktionen weiter anfachen
Die Inflation im Euroraum wird auch von gut gemeinten Aktionen angefacht. (Foto: iStock.com/ photoschmidt)

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Angesichts der in die Höhe jagenden Preise wird überall der Ruf nach einem Ausgleich laut. Kein Wunder, während die Statistiker bereits von erschreckenden 7 oder 8 Prozent Inflation reden, kann sich jede und jeder selbst ein Bild machen und feststellen, dass der tatsächliche Prozentsatz sogar weit höher ist. Das aktuelle Schlagwort lautet daher: Inflationsabgeltung!

Leider löst jeder Inflationsausgleich über höhere Löhne, höhere Renten und alle sonstige Anpassungen einen weiteren Inflationsschub aus und beschleunigt die Geldentwertung über noch höhere Preise. Das Gebot der Stunde müsste also lauten: Nur ja keinen Inflationsausgleich. Kaum etwas ist noch unpopulärer als dieser Aufruf und daher wird es zum Schaden aller Teuerungsabgeltungen geben. Damit nicht genug. Es kündigt sich eine Welle von Zinserhöhungen an, die die Kredite verteuern werden, und auch diese Kosten treiben die Preise in die Höhe. Der zusätzliche Schub ist den aktuellen Preisen noch nicht enthalten.

Lohnerhöhungen ohne entsprechende Leistung werden über noch höhere Preise ausgeglichen

Die Inflation ist bei 7 und 8 Prozent, also erhöhen wir die Löhne um 7, 8 Prozent, lautet die Devise. Man indexiert die Einkommen nach der Teuerung und alles ist wieder gut. Leider nein. Die zusätzlichen Bezüge werden nicht erwirtschaftet, also landen diese Mehrkosten prompt in den Preisen, die den vermeintlichen Preisausgleich wieder aufzehren, also eine noch höhere Inflation auslösen.

Was bedeutet das viel strapazierte Wort „erwirtschaften“? Es gibt nur zwei Elemente, die mit diesem Wort ausgedrückt werden:

- Die Produktivität steigt, Erwerbstätige erwirtschaften in einer Stunde mehr als früher im Gefolge einer effizienteren, effektiveren Arbeitsweise.

- Es wird insgesamt mehr geleistet, es werden mehr Produkte, mehr Dienstleistungen geschaffen und verkauft.

In beiden Fällen wird die Volkswirtschaft reicher und die Einzelnen können mehr verdienen und auch höhere Preise bezahlen. Von einem Wachstumsschub ist aber derzeit nicht die Rede, also führt jede Lohnerhöhung zu mehr Inflation und nicht zu einem Inflationsausgleich. Die Löhne sind die Hauptquelle der Steuereinnahmen und der Sozialversicherungsbeiträge, sodass derzeit kein Geld für höhere Renten und andere Sozialleistungen erwirtschaftet wird.

Die Politik ist ausnahmsweise gefordert, nichts zu tun

Die Preise sind das Fieberthermometer der Volkswirtschaft und zeigen an, ob das verfügbare Geld den Leistungen entspricht. Die aktuelle Teuerung von 7,8 und mehr Prozent bedeutet, dass das Gleichgewicht zwischen Geld und Leistung gestört ist. Folglich muss man warten bis das Gleichgewicht wieder hergestellt ist und die Preise nicht mehr steigen. Ausnahmsweise ist die Politik gefordert, jetzt nichts zu tun, weil Inflationsabgeltungen die Lage nur verschlimmern. Man kann getrost eine Wette abschließen, dass die oft untätige Politik jetzt unter dem Druck der verärgerten Konsumenten aktiv wird. Es ist zu hoffen, dass sich die Politik auf unbedingt notwendige, nicht als Dauereinrichtung installierte, Nothilfen beschränkt.

Das beste und wirksamste Mittel gegen die Inflation ist die Inflation selbst: Bei hohen Preise steigen die Verbraucher auf die Konsumbremse und die Anbieter, die derzeit so unbekümmert die Preise in die Höhe jagen, werden bald durch Umsatzeinbrüche wieder zur Räson gebracht. Das gilt auch für Ölkonzerne, die aktuell wie Raubritter an den Tankstellen agieren.

Einen Sonderfall bilden die Energiemärkte in Deutschland und Österreich. Die beiden Länder haben sich in die vollständige Abhängigkeit von russischem Erdgas begeben und an die Schimäre geglaubt, dass Wind und Sonne als Energieträger ausreichen würden. Es gibt also keine Alternativen, Kohle, Öl, Atom oder andere Quellen sorgen nicht für einen gesunden Wettbewerb und die schleppenden Gaslieferungen bestimmen die Versorgung und in der Folge alle Energiepreise. Diese absurde, von einer verantwortungslosen Politik ausgelöste Situation wird nun vielfach als alleinige Ursache der Teuerung bezeichnet.

Lesen Sie dazu: Sachsen: Energiewende ist gescheitert, das Kartenhaus bricht zusammen

Man darf aber nicht den Haupttreiber übersehen ­ die seit über zehn Jahren betriebene, durch keine Wirtschaftsleistung abgesicherte Geldschwemme. Zuerst zur Rettung der Staaten vor dem Bankrott und dann in weit übertriebenem Umfang zum Ausgleich der Wirtschaftslähmung in den Lock-Downs der Corona-Pandemie.

Automatische Preisanpassungen geraten in den Fokus der Kritik

Jene Bereiche der Wirtschaft, die seit jeher mit Indexierungen arbeiten, rücken nun in den Fokus der Kritik. Steigen die Preise um x, dann steigen im Folgejahr die Mieten um y. Das Gleiche geschieht bei den Renten. Und in einigen anderen Sparten. Diese Vorgangsweise ist nur in Phasen moderater Teuerungsraten zu vertreten. In der aktuellen Situation ergeben sie einen weiteren Preisschub, der die Bewältigung der Krise dramatisch erschwert. Schnellen die Mieten nun in die Höhe, dann sinkt die Kaufkraft der Privathaushalte, die Nachfrage geht zurück und die Umsätze und Gewinne der Unternehmen fallen. Es wäre also angebracht, eine Bremse bei den Indexierungen einzuziehen.

Auch hier müsste gelten, dass die Inflation ungestört in einer Übergangsphase die Wiederherstellung echter Geldwerte besorgen soll. Leider treten in dieser Situation immer Politiker auf den Plan, die eine öffentliche Fixierung der Mieten fordern. Diese Übung hat sich in der Vergangenheit als letal für die Häuser erwiesen, weil dann die Hauseigentümer die Objekte angesichts ungenügender Erträge verfallen lassen. Erforderlich ist eine flexible Politik, die die Bewältigung der aktuellen Schwierigkeit ermöglicht, aber nicht auf Dauer eine ganze Branche ruiniert.

Inflation ist nicht gleich Inflation

Inflation ist nicht gleich Inflation. In einer aktiven, erfolgreichen Volkswirtschaft kommt es laufend zu Neuerungen, sei es in Form neuer Produkte, neuer Dienstleistungen oder neuer Techniken, die bestehende Abläufe optimieren. In einer derartigen Situation trifft ein attraktives Angebot auf eine rege Nachfrage, der Motor der Wirtschaft brummt. In diesem Umfeld gibt es ebenfalls keine Preisstabilität, weil neue Angebote in der Regel mehr kosten und die Verbilligungen, die sich durch Rationalisierungen ergeben, weniger stark greifen. Bleibt das Wachstum überschaubar, kann man davon ausgehen, dass sich die Teuerung bei etwa 2 Prozent bewegt. Gewinnt die Konjunktur an Tempo, dann steigen die Preise stärker: Die Waren und Dienstleistungen werden knapp, die Interessenten sind bereit jeden Preis zu bezahlen, die Arbeitnehmer können höhere Löhne durchsetzen und das Gefüge beginnt zu überhitzen. Auch in dieser Situation können Preiserhöhungen von 7 und 8 Prozent auftreten, doch haben diese eine andere Ursache als der aktuelle Inflationsschub.

Um eine derartige Überhitzung zu dämpfen, empfiehlt sich ein Eingriff der Zentralbank. Eine Anhebung der Zinsen bewirkt eine Verteuerung der Kredite, die benötigt werden, um eine boomende Konjunktur in Gang zu halten. Die höheren Zinsen sorgen für eine Reduktion der Kreditnachfrage und somit für eine Beruhigung des Booms. In der Folge kommt es zu einer Dämpfung der Preisentwicklung.

All das ist derzeit nicht der Fall, doch fühlt man sich in der Europäischen Zentralbank bemüßigt, irgendetwas zu tun, um nicht zugeben zu müssen, dass man keine Waffe gegen die jetzt herrschende Inflation hat. Also greift man grotesker Weise zu einer Anhebung der Zinsen, die anzuwenden ist, wenn die Wirtschaft zu stark blüht. Diese Woche wurden die Kosten einer Mittelbeschaffung bei der Zentralbank von 0 auf 0,5 Prozent angehoben. Weitere Zinsschritte sollen folgen. Die Zinssätze der Zentralbank sind Orientierungsgrößen, die letztlich die Kreditkosten mitbestimmen, also werden jetzt, in einer schwierigen Phase, die Kredite teurer, wodurch ein weiterer Inflationsschub entsteht.

Diese Verhaltensweise ist allerdings keine Spezialität der Europäischen Zentralbank. Alle Währungsbehörden neigen dazu, Inflation – wie sie auch immer sie zustande gekommen sein mag - mit Zinserhöhungen zu bekämpfen.

Offensichtlich ist allerdings, dass es sich bei der aktuellen Korrektur nur um Aktionismus handelt. Mit 0,5 Prozent kann man bei einer Inflation von 7 bis 8 Prozent auch nicht punkten, wenn man den Theorien folgt, die behaupten, dass man immer mit Zinserhöhungen gegen Inflation vorgehen muss. 0,5 Prozent dürften auch an der Preisfront keinen größeren Schaden anrichten. Es geht also den Währungspolitikern nur um eine Stützung der Legende, dass sie stets wüssten, wie man die Bestie Inflation bändigt.

Nicht vergessen sei, dass die von der Zentralbank jahrelang durchgesetzten Null- und Minuszinsen in Verbindung mit der schon zitierten Geldschwemme nur dazu dienten, den Staaten die Finanzierung ihrer Schulden zu erleichtern. In der Folge kommt es seit zehn Jahren zu gravierenden Verwerfungen auf den Finanzmärkten und nun zur hohen Inflation. Die EZB betreibt also schon seit längerem die jeweils falsche Strategie. Die Niedrig- und Nullzinspolitik und die Geldschwemme waren dem Umstand geschuldet, dass man nicht frei agiert hat, sondern entgegen allen Grundsätzen einer unabhängigen Notenbank die Staaten unterstützte. Jetzt wird mit Zinsanhebungen Aktionismus betrieben, um die eigene Hilflosigkeit zu kaschieren.

Die Euro-Rettungen ruinieren den Euro

Man verabschiedet sich auch nicht von der üblen Politik der Staatenförderung. Zwar wurde zuletzt betont, dass man die Geldschwemme reduzieren werde, doch hielt diese redliche Absicht nicht lange. Diese Woche wurde ein neues Programm beschlossen, mit dem wieder den finanzschwachen Staaten geholfen werden kann. Allen voran wieder Italien, aber auch Spanien, Portugal, Griechenland und letztlich auch Frankreich. Als Begründung wird angeführt, dass man einen großen Abstand zwischen den Geldkosten etwa in Deutschland und in Italien verhindern möchte. Warum? Schuldner mit schlechter Bonität müssen immer höhere Zinsen zahlen und dies hat auch seinen Sinn. Wenn Italien kein Geld mehr oder nur zu horrenden Zinsen auf den Märkten bekommt, dann werden endlich die überfälligen Reformen in dem Land umgesetzt werden müssen. Und das Gleiche gilt für die anderen, schwachen Länder. Wenn diese ständig mit billigem Geld versorgt werden, geschieht nichts.

Im Hintergrund schwelt immer die Angst vor einem Ausscheiden der Länder aus dem Euro und möglicherweise auch aus der EU. Daher werden sie mit billigem Geld zum Bleiben überredet und der Euro scheinbar gerettet. Der Markt ist aber gnadenlos: Laufend sinkt der Wert der stolzen Europa-Währung– wie der aktuelle Kurs von 1,01 Dollar für einen Euro zeigt.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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