Unternehmen

Gasrationierung im BASF-Werk Ludwigshafen würde Europa in die Krise stürzen

Sollte die Bundesregierung im Winter gezwungen sein, Gas für industrielle Nutzung zu rationalisieren, dann hätte dies schwerwiegende Folgen für das BASF-Werk Ludwigshafen. Eine Gasrationierung würde ganz Europa treffen.
17.09.2022 08:44
Aktualisiert: 17.09.2022 08:44
Lesezeit: 3 min

Ein Stillstand des Gasverbrauchs im BASF-Werk Ludwigshafen hätte dem britischen Guardian zufolge weitreichende Auswirkungen auf alle Sektoren, von Windeln bis hin zu Medikamenten. Auf dem Gelände des Chemiekonzerns, einem zehn Quadratkilometer großen Industriekomplex, der so weitläufig ist, dass BASF ein eigenes Busnetz betreibt, um seine Mitarbeiter von den Toren zu ihren Arbeitsplätzen zu bringen, ist alles miteinander verbunden.

Nebenprodukte aus der Ammoniakherstellung beispielsweise werden durch ein 2.850 km langes Pipelinenetz von einem Ende des Werks zum anderen geleitet, wo sie zur Produktion von Düngemitteln, Desinfektionsmitteln, Dieselabgasen oder Kohlendioxid für kohlensäurehaltige Getränke wiederverwendet werden.

Ammoniakproduktion bereits reduziert

Das so genannte Verbundprinzip war der Schlüssel zum 157-jährigen Aufstieg der BASF von der „Badischen Anilin- und Soda-Fabrik“ zum größten Chemieunternehmen der Welt. Jetzt, da Wladimir Putin die Energieexporte nach Europa stark eingeschränkt hat, könnte die Verbundenheit zu Russland zum Verhängnis werden. Der Standort im Südwesten Deutschlands ist auf den Rohstoff und Energieträger Gas angewiesen und verbraucht jährlich etwa so viel wie die gesamte Schweiz, und die BASF war aktiv daran beteiligt, dass ein großer Teil dieses Gases billig aus Russland importiert wurde.

Sollte der deutsche Staat in diesem Winter gezwungen sein, Gas für die industrielle Nutzung zu rationieren, kann die BASF laut Guardian nach eigenen Angaben ihren Verbrauch bis zu einem gewissen Grad reduzieren, indem sie einzelne Anlagen drosselt oder in einigen Produktionsschritten Gas gegen Heizöl austauscht. Die BASF hat bereits die Produktion von Ammoniak vor Ort reduziert und die Chemikalie stattdessen aus dem Ausland angeliefert.

Stillstand wäre europaweit spürbar

Da die 125 Produktionsanlagen in Ludwigshafen Teil einer zusammenhängenden Wertschöpfungskette sind, gibt es jedoch einen Punkt, an dem ein Ausfall der Gasversorgung zu einem standortweiten Stillstand führen würde. „Sobald wir deutlich und dauerhaft weniger als 50 Prozent unseres Maximalbedarfs beziehen können, müssten wir den gesamten Standort stilllegen“, sagt Daniela Rechenberger, eine Sprecherin des Unternehmens gegenüber dem Guardian. „Das hat es in der Geschichte der BASF noch nie gegeben und das will hier auch niemand. Aber wir hätten kaum eine andere Wahl.“

Da die deutschen Gasspeicher zu 87 % gefüllt sind, wächst der Optimismus, dass eine Rationierung in diesem Winter abgewendet werden kann. Aber selbst dann könnten die hohen Gaspreise Unternehmen wie die BASF dazu zwingen, die Produktion einzustellen. Da große Teile des Verbundstandorts seit den 1960er Jahren rund um die Uhr in Betrieb sind, ist laut BASF unklar, ob die Produktion danach einfach wieder angefahren werden kann oder ob der Druckabfall zum Ausfall einiger Maschinen führen würde.

Die Folgen eines Stillstands in Ludwigshafen wären weitreichend, nicht nur in Europas größter Volkswirtschaft, sondern auf dem ganzen Kontinent spürbar. Die Initialen der BASF werden immer noch mit Audio- und Videokassetten in Verbindung gebracht, aber das Unternehmen hat dieses Geschäft Mitte der 90er-Jahre verkauft und verkauft nun hauptsächlich im Business-to-Business-Bereich; seine Produkte sind unsichtbarer, aber auch unverzichtbarer geworden.

Herstellung von Zahnpasta bis zu Vitaminen

Die von der BASF hergestellten Chemikalien werden zur Herstellung von Zahnpasta bis zu Vitaminen, von Gebäudeisolierungen bis zu Windeln verwendet. Sie ist einer der weltweit größten Hersteller von Ibuprofen für Schmerzmittel, und ihr größter Kunde ist die Automobilindustrie, was bedeutet, dass die Zerstörung der Pipelines in Ludwigshafen direkte Auswirkungen auf Automobilregionen wie die Emilia-Romagna, Katalonien oder Hauts-de-France hätte.

Eines der wenigen Endprodukte, die noch in Ludwigshafen hergestellt werden, ist AdBlue, eine Flüssigkeit, die zur Reduzierung der Luftverschmutzung durch Dieselmotoren verwendet wird. AdBlue ist für Lkw gesetzlich vorgeschrieben, so dass eine Verknappung den Lkw-Verkehr in ganz Europa zum Erliegen bringen könnte. Nach deutschem Recht wären Haushalte von der Gasrationierung ausgenommen, ebenso wie andere „geschützte“ Kunden wie Pflegeheime und Krankenhäuser. Die Hauptlast der Kürzungen müsste die Industrie tragen, auf die etwa ein Drittel der Nachfrage im Lande entfällt.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen EZB-Zinsen: Warum Europas Geldpolitik zur Falle werden könnte
17.12.2025

Die EZB signalisiert das Ende der Zinssenkungen – und plötzlich zieht die Eurozone die Risiken einer neuen Straffung an. Europas...

DWN
Politik
Politik Drohnenabwehrzentrum startet: Bund und Länder bündeln Kräfte zur Gefahrenabwehr
17.12.2025

In Berlin startet ein neues Drohnenabwehrzentrum, das Behörden, Bundeswehr und Nachrichtendienste enger verzahnen soll. Drohnensichtungen...

DWN
Politik
Politik EU-Parlament macht Weg für Verzicht auf russisches Gas frei
17.12.2025

Die EU steuert auf einen harten Schnitt zu: Spätestens 2027 soll Schluss sein mit russischem Gas. Doch Ausnahmen, LNG und der Streit mit...

DWN
Politik
Politik Aus Bürgergeld wird Grundsicherung: Kabinett schickt mehrere Reformen auf die Strecke
17.12.2025

Letzte Kabinettsrunde vor Weihnachten: Von Grundsicherung über Rente bis Kurzarbeitergeld treibt die Regierung mehrere Reformen an. Auch...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Deutsche Bank bringt den Wero-Bezahldienst zu Millionen Kunden
17.12.2025

Der Wero-Bezahldienst erreicht jetzt Millionen Bankkunden: Deutsche Bank und Postbank schalten den vollen Funktionsumfang frei. Europa...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Eurozone: Inflation im November bei 2,1 Prozent
17.12.2025

Die Eurozone-Inflation wirkt auf den ersten Blick stabil – doch eine neue Eurostat-Schätzung verändert den Blick auf den November. Auch...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Steve Jobs und die Zukunft der Führung: Warum Chefs jetzt umdenken müssen
17.12.2025

Der Mittelstand arbeitet noch nach Regeln von gestern – doch die Herausforderungen von heute lassen sich damit kaum lösen. Der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschland: Ifo-Index schwach – Jahr endet ohne Aufbruchsstimmung
17.12.2025

Der Ifo-Index sendet zum Jahresende ein klares Warnsignal für Deutschlands Wirtschaft. Sinkende Erwartungen, enttäuschte Hoffnungen und...