Deutschland

Regierungsberater warnen: Das Sozialsystem ist gefährdet

Die Finanzierbarkeit der deutschen Sozialkassen steht auf dem Spiel, warnen Regierungsberater. Für die nächsten Generationen könnte das teuer werden.
Autor
03.10.2022 08:52
Aktualisiert: 03.10.2022 08:52
Lesezeit: 3 min

Regierungsberater warnen davor, dass die Finanzierbarkeit der Sozialkassen in Gefahr ist. Das berichtet das aerzteblatt unter Bezugnahme auf Informationen der Katholischen Nachrichtenagentur kna.

Demnach sei der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium in einem neuen Gutachten zur „Nachhaltigen Finanzierung von Pflegeleistungen“ zu dem Ergebnis gekommen, dass steigende Kosten für die Altenpflege und ein wachsender Anteil pflegebedürftiger Menschen die Sozialversicherung in wenigen Jahren an die Grenzen ihrer Finanzierbarkeit bringen dürften.

Deutliche Erhöhung des Beitragssatz

Bis 2040 müsse der Beitragssatz zur Pflegeversicherung, dem Gutachten zufolge, aufgrund der steigenden Zahl an Leistungsbeziehern in der Generation der Babyboomer von derzeit drei Prozent auf etwa fünf Prozent des Bruttolohns steigen – und das wohlgemerkt noch ohne die von der Bundesregierung geplante Ausweitung der Sozialkassenleistungen für Pflegebedürftige.

Weil sowohl mit einem Anstieg der Renten- als auch der Krankenkassenbeiträge zu erwarten sei, rechnet der Beirat mit einer nötig werdenden Erhöhung des Gesamtbeitragssatz von 49 auf 53 Prozent des Bruttolohns. Gleichsam bezweifelt der Beirat, dass die Beitragszahler „des Jahres 2040 bereit sein werden, einen so großen Anteil ihres Arbeitseinkommens abzutreten.“ Darum sei die Finanzierbarkeit der Sozialversicherung „insgesamt in Gefahr“.

Anstieg wird Beitragszahler Milliarden kosten

Bislang liegt der Gesamtbeitragssatz bei 40 Prozent. Ein Anstieg um 9 Prozent, wie das Gutachten ihn prognostiziert, dürfte die Beitragszahler um mindestens 140 Milliarden Euro mehr im Jahr belasten. Der aus 41 Ökonomen und Juristen bestehende Beirat rät dementsprechend von den Plänen der Ampelkoalition, beitragsfinanzierte Pflegeleistungen auszubauen, ab.

Stattdessen empfiehl der Rat, Pflegebedürftige dazu zu verpflichten, ergänzende Privatversicherungen gegen das Pflegerisiko abzuschließen. Für eine diese Variante einer kapitalgedeckte Vorsorge spreche, dass damit auch die Angehörigen der geburtenstarken Jahrgänge, also circa 1957 bis 1969, an der Finanzierung der hohen Pflegeausgaben für ihre Generation beteiligt werden könnten.

Umverteilung von Jung nach Alt

Klaus Schmidt, Ökonomieprofessor und Vorsitzender des Beirats, wird vom aerzteblatt mit der Warnung zitiert, dass die Generation der Babyboomer noch zwei Jahrzehnte Zeit habe, „zusätzliche Pflegeleistungen durch eigene Vorsorge abzusichern“. Der von der Ampel geplante Ausbau der Sozialversicherung hingegen würde erst später über höhere Beitragssätze spürbar, was die nachfolgende Generation von Beitragszahlern laut dem Gutachten dann umso stärker belaste.

Schmidt spricht in diesem Zusammenhang von einer „erheblichen Umverteilung von den jüngeren zu den älteren Generationen“. Zudem würden unter den älteren Leistungsbeziehern so vor allem die Vermögenden begünstigen. Stattdessen fordert der Ökonom den Ausbau eines Pflegevorsorgefonds ein, der vor einem vorzeitigen Zugriff für andere Zwecke geschützt werden müsse. Das Problem selbst ist jedenfalls alles andere als neu.

Deutschland kaum auf demografischen Wandel vorbereitet

So warnte zuletzt unter anderem der Bundesrechnungshof davor, dass das deutsche Sozialsystem nicht ausreichend auf den demografischen Wandel vorbereitet sei. Die Politik, so schrieb die Behörde in einem im Mai veröffentlichten Bericht, könne nicht Stabilität bei Beiträgen versprechen und gleichzeitig Steuererhöhungen oder neue Schulden ausschließen. Schließlich dürften es in knapp 40 Jahren nur noch etwa zwei Personen im Erwerbsalter sein, die einer Person im Seniorenalter gegenüberstünden, während es derzeit noch drei Personen wären.

Die Gesamtausgaben der Sozialversicherung würden sich laut dem Bericht künftig auf mehr als 29 Prozent der Wirtschaftsleistung belaufen, sieben Prozent mehr als heute. Die Sozialversicherungsbeiträge würden demnach bis 2060 von rund 40 auf etwa 53 Prozent steigen und die Bundesmittel sich von 121 Milliarden Euro im Jahr 2019 auf 454 Milliarden Euro mehr als verdreifachen.

Bedrohung nicht länger ignorieren

Das alles sind Zahlen, die heute noch abstrakt und weit von unserer politischen Gegenwart entfernt erscheinen mögen. Und doch deuten Sie auf eine handfeste Bedrohung unseres Sozialsystems und unseres Gesundheitssystems hin, die besonders in Zeiten vielfacher, sich überlagernder Krisen nicht länger ignoriert werden darf.

Dazu zählt auch der demografische Wandel, der sowohl die Finanzierbarkeit der Rente- als auch der Pflegeversicherung untergräbt. Wenn die Politik diesen nicht wenigstens zu hemmen versucht, setzt sie unseren Wohlstand aufs Spiel.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Politik
Politik Krankenkassen schlagen Alarm: Zusatzbeiträge könnten deutlich steigen
01.07.2025

Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) warnen vor Druck zu neuen Beitragserhöhungen ohne eine rasche Bremse für steigende Kosten....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Thyssenkrupp-Umbau betrifft Tausende – Betriebsräte fordern Klarheit
01.07.2025

Angesichts weitreichender Umbaupläne bei Thyssenkrupp fordern die Beschäftigten klare Zusagen zur Zukunftssicherung. Betriebsräte pochen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Neues Werk für NATO-Kampfjet: Rheinmetall startet Produktion in NRW
01.07.2025

Der Rüstungskonzern Rheinmetall hat in Weeze (Nordrhein-Westfalen) eine hochmoderne Fertigungsanlage für Bauteile des Tarnkappenbombers...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Investitionsstau: Kaputte Straßen, marode Schulen – Kommunen am Limit
01.07.2025

Viele Städte und Gemeinden stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand: Allein die Instandhaltung von Straßen, Schulen und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Alt gegen Jung: Wie die Generation Z das Arbeitsleben umkrempelt – und was zu tun ist
01.07.2025

Alt gegen Jung – und keiner will nachgeben? Die Generationen Z und Babyboomer prallen aufeinander. Doch hinter den Vorurteilen liegen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Arbeitsmarkt ohne Erholung im Juni: Warten auf den Aufschwung
01.07.2025

Die erhoffte Belebung des Arbeitsmarkts bleibt auch im Sommer aus: Im Juni ist die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland nur minimal um...

DWN
Politik
Politik Schlachtfeld der Zukunft: Die Ukraine schickt ihre Kampfroboter ins Gefecht
01.07.2025

Die Ukraine setzt erstmals schwere Kampfroboter an der Front ein. Während Kiew auf automatisierte Kriegsführung setzt, treiben auch...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnen bleibt Luxus: Immobilienpreise steigen weiter deutlich
01.07.2025

Die Preise für Wohnimmobilien in Deutschland sind erneut gestiegen. Laut dem Statistischen Bundesamt lagen die Kaufpreise für Häuser und...